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Gibt es einen Nationalcharakter?

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Beitrag von Wallenstein Fr Mai 08, 2015 2:12 pm

Ob es so etwas wie einen Nationalcharakter gibt, ist es eine interessante und strittige Frage. Der österreichische Sozialdemokrat Otto Bauer schlug einmal folgende Definition vor:
"Die Nation ist die Gesamtheit der durch Schicksalsgemeinschaft zu einer Charaktergemeinschaft verknüpften Menschen."
(Otto Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, Bauer, Werke, Bd.8, Frankfurt 1960, S,135)

Und der Historiker Dinzelbach erläutert den damit zusammenhängenden Begriff Historische Mentalität:

„Historische Mentalität ist das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist. Mentalität manifestiert sich in Handlungen“.
Dinzelbacher, europäische Mentalitätsgeschichte, Stuttgart 1953, S.265

Und Marx schrieb irgendwo in den Theorien über den Mehrwert, Bd. I, dass die psychische Prädisposition eines Volks durch zwei Komponenten entsteht:
1.) Durch die natürliche Umwelt des Menschen und
2.) Durch die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen er lebt.

Der Nationalcharakter ist also keine biologische „Rasseneigenschaft“, sondern hat sich historisch entwickelt.
Man muss natürlich dazu sagen, dass es „Den Italiener“ oder „Den Deutschen“ so nicht gibt, genauso wenig wie den „homo oeconomicus“ oder den „homo politicus“. Er ist ein konstruierter Idealtypus, ähnlich wie der arithmetische Durchschnittswert in der Statistik. Auch ihm entspricht praktisch kein Wert genau, alle weichen sie mal mehr, mal weniger davon ab, die sogenannten Varianzen. Doch an Hand der Standardabweichung lässt sich die Streuung um den Mittelwert errechnen und dann zeigt sich, dass viele doch dem Durchschnitt nahe kommen.

Wie könnten nun bestimmte Mentalitäten entstanden sein? Der Jurist Mueller-Graaf machte 1948 über Preußen eine interessante Bemerkung.

Altpreußisch“, das bedeutete einfach, bescheiden, schlicht, gewissenhaft, treu, fleißig bedürfnislos und hart gegen sich selbst zu sein. „Altpreußisch“, das sind jene sittlichen Kräfte, aus denen heraus vom Großen Kurfürsten  bis auf den Vater Friedrichs, den „Soldatenkönig“, die Hohenzollern, aus der namenlosen Enge und Armut ein blühendes Land zu machen wußten…Doch meinen die Preußenhasser wohl vor allem einen Geist der Eroberung, der Gewalt, der Unterdrückung…
C.H. Mueller-Graaf, Irrweg und Umkehr, Stuttgart 1948, S.19 f.)

Er erklärt den preußischen Charakter also aus zwei Ursachen:
1. Aus der Umwelt:ein armes, unfruchtbares Land zwingt die Menschen zur harten Arbeit und Gewissenhaftigkeit und
2. Der autoritäre, militaristische Staat tut sein Übriges, um die Menschen zu disziplinieren und zu drillen. Bleiben diese beiden Faktoren über einen langen Zeitraum unverändert wirksam, kann daraus ein Nationalcharakter entstehen.

Natürlich kann man Preußen nicht auf ganz Deutschland übertragen, schon die Bayern sehen dies sicherlich ganz anders, aber möglichweise hat das preußische Wesen ausgestrahlt oder in anderen Regionen Deutschlands gab es ähnliche Verhältnisse. Gerade auch in den vielen Kleinstaaten waren die autoritären Strukturen stark ausgebildet und die Menschen konnten ihnen schlechter entkommen als in großen Flächenstaaten wie Frankreich.

Man sollte diese Erklärungen vielleicht nicht überbewerten, aber sie sind auch nicht ganz falsch. Ich denke bei den Russen immer an die Weite der Taiga und das harte Klima. Vielleicht rührt daher die slawische Schwermut, auf jeden Fall aber wohl die Liebe zum Wodka und die häufig überschäumende Gastfreundschaft. Wenn man in der unendlichen Weite so wenig Besuch bekommt….

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Beitrag von Atzec Fr Mai 08, 2015 3:07 pm

Hehe, die Definition von "Altpreussisch" erfolgt eigentlich nach dem gleichen Strickmuster wie die von Eigenschaften der Sternkreiszeichenträger: Finde nur ausreichend indifferente Eigenschaften mit leidlich positiver Konnatation und jeder Dorftrottel wird verblüfft feststellen, dass das alles ja auch irgendwie auf ihn zutrifft... Very Happy Very Happy Very Happy
Bezogen auf uns Deutsche scheitern solch albernen Versuche der Bestimmung eines uniformen "Nationalcharakters" eigentlich schon an den kultivierten Animositäten der einzelnen Volksstämme, die sich ja sehr widersprüchlich wahrnehmen - nur um sich dann doch wieder einen gemeinschaftlichen Nationalcharakter andichten lassen zu müssen. Very Happy

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Beitrag von Rübezahl Fr Mai 08, 2015 3:48 pm

Da bereits das Wort "Nation" ein nicht definierbares Kunstwort ist, kann es auch keinen "Nationalcharakter" geben. Die Zeiten, wo man Menschen unterschiedlicher Herkunft, Sprache, Religion usw. in eine einheitliche Nation pressen wollte, sollten eigentlich vorbei sein, sind es aber leider nicht, wie der zunehmende Zentralismus in vielen europäischen Staaten zeigt.

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Beitrag von Besucher Fr Mai 08, 2015 4:30 pm

Was zumindest den preußischen „Nationalcharakter“ betrifft, so ist dieser meiner Meinung nach eher ein Ergebnis des Dreißigjährigen Krieges, des in diesem Zusammenhang erfolgten Übertritts der Hohenzollern zum Calvinismus und deren Bündnis mit den Pietisten in Preußen.

Deren Tugendterror und deren Weltfeindlichkeit, die überall Sünde und Verderbnis witterten, waren ganz nach dem Geschmack des Soldatenkönigs, der seinen Staat mit eiserner Hand disziplinierte und mit Geiz, die "Langen Kerls" mal ausgenommen, die Staatskasse sanierte. Damit konnte sein „missratener“ Sohn dann Kriege führte, wo Papa sonst nur Krieg spielte.

Spener und vor allem Francke waren die Vorreiter bei der „Auferziehung der Stände“ nach pietistischer Vorstellung. August Hermann Franckes Anstalten in Halle entwickelten sich zu einem Großunternehmen, in denen harte körperliche Arbeit und schwere Prügel den Alltag der Zöglinge bestimmten. Sein Erziehungsziel beschrieb Francke 1772: „Durch den herzlichen Gehorsam wird die Herrschaft des eigenen Willens und Fürwitzes niedergelegt, und das Herz immer mehr und mehr erniedrigt und demütig gemacht und auch zu einer ungeheuchelten Bescheidenheit und Freundlichkeit angewiesen.“ So erzieht man willige Untertanen.

Der Obrigkeit diente sich Francke so an: „Und was sind dieses anders als angelegte Baumschulen und seminaria für das ganze Land: denn da werden christliche Handwerk und Handelsleute, gute Schulmeister, ja auch christliche Prediger und Ratsleute praeparieret, welch in ihrem Leben hernach desto mehr sich verbunden achten, jedermann zu dienen, weil sie Gottes sonderbare Fürsorge von Kindheit auf erfahren.“

Da ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Friedrich Wilhelm I. das Potenzial dieses Konzepts erkannte. Er machte Franckes Anstalten zur preußischen Kaderschmiede, die nicht nur Lehrer, Verwaltungsbeamte und Pfarrer, sondern auch einen Großteil der preußischen Offiziere und höhere Staatsbeamte hervorbrachte.

Die Ablehnung allen Müßiggangs ist pietistisches Arbeitsethos und das finden wir in ähnlicher Weise auch bei den angelsächsischen Puritanern. Nur mit einem Unterschied, bei den Puritanern wird die Arbeit geheiligt und der gottgefällig Lebende, wird mit Vermehrung seines Reichtums belohnt. Der preußische (deutsche) Pietist heiligt die Arbeit für andere (!) und erwartet im diesseitigen Leben dafür nichts.

Der Gemeinnutz ist pietistischer Arbeitsantrieb, die Interessen des Einzelnen haben sich den Interessen des Staates unterzuordnen. Die Puritaner hingegen ziehen ihren beruflichen Antrieb aus Eigennutz, aus dem Glauben, dass ihre gottgefällig vonstattengehende Arbeit automatisch auch dem Wohl der Nächsten dient und somit sie ihrer Verantwortung für die Mitmenschen Genüge getan haben.

Damit legt der preußische Pietismus einen Grundstein für „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ und ein damit verbundenes „preußisches Pflichtbewusstsein“. Er legte damit aber auch einen Grundstein für eine ganz spezielle Auslegung dieses Prinzips, die Untertanen und Obrigkeit in einem Boot wähnt – die „Volksgemeinschaft“.

Der Pietismus ist eine Quelle des preußisch-deutschen Untertanengeistes, den man durchaus als Merkmal eines tatsächlichen oder vermeintlichen Nationalcharakters sehen kann.

Wenn man jetzt den Puritanismus und sein Arbeitsethos näher beleuchtet, kommt man auch schnell zu einem angelsächsischen „Nationalcharakter“, der sich natürlich nicht nur auf den Puritanismus gründet. An dem darf sich der nächste austoben.  Smile

Literatur:

• Carl Hinrichs: Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiös-soziale Reformbewegung, Göttingen 1971.
• Peter Menck: Die Erziehung der Jugend zur Ehre Gottes und zum Nutzen des Nächsten.
• Die Pädagogik August Hermann Franckes, Tübingen 2001.
• Justus Wertmüller: Die toten Seelen von Brandenburg. In: Bahamas 48/2005.

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Beitrag von wfwbinder Fr Mai 08, 2015 9:00 pm

Ich stimme mit Wallenstein und den anderen Schreibern weitestgehend überein.

den "Deutschen" gibt es ebenso wenig, wie "den Franzosen," "den Spanier," oder "den Briten" udn die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.

Ich habe ja das Glück gehabt, schon einige Länder besuchen zu dürfen. Dort wo es näheren Kontakt zu Bevölkerung gab, schlug mir ein (unausgesprochenes) "aha ein Deutscher" entgegen und die Definition über Schuhplattler und Bier. Schnell merkten die dann, dass ein Norddeutscher was anderes ist. Zwar "ein Deutscher," aber nicht aus der TV Idylle.

Kein Problem, aber so gibt es eben Eigenschaften, die bei Mitteleuropäern häufig vorkommen, bei allen Unterschieden, aber bei den Briten muss man auch sehen, das Waliser wirklich andere Menschen sind, als Schotten, Engländer und Nordiren.

Das man "Russen" als Sammelbegriff für Menschen verwendet, die in einem Land leben(geboren, aufgewachsen) sind, was früher zur UdSSR gehörte, davon gar nicht zu reden.

Also, was ist ein "Nationalcharakter" in unserer Zeit?

Natürlich bin ich Deutscher (was immer das zu bedeuten haben mag, steht ja in meinem Pass), aber ich bin Heidjer, aus der Südheide in Niedersachsen und der Menschenschlag ist eindeutig anders, als der der Niederbayern, Pfälzer, oder Kurhessen.
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Beitrag von Gontscharow Sa Mai 09, 2015 9:36 am

Lesenswerte Beiträge in diesem Thema !
Mir fällt noch ein Aspekt ein, den ich gerne hier hinzufügen möchte. Beruflich bedingt habe ich sehr viel mit Auländern zu tun, die nach Deutschland kommen, um hier ein neues Leben zu beginnen. Wenn man abseits der allgemeinen bürokratischen Pflichten die Gelegenheit hat,
sich kurz mit ihnen über ihre Erahrungen im neuen Land auszutauschen, stellt man folgendes fest : Wenn sie erst kurze Zeit hier sind, mischt sich in ihrer Wahrnehmung Deutschlands eine quasi "touristische Perspektive" mit den Klischees über unser Land, das sie aus ihren Heimatländern kennen. Das geht dann soweit, daß sie Pünktlichkeit, Ordnung und Disziplin überall am Werk sehen (auch dort, wo es gar nicht der Fall ist Very Happy ), also genau das sehen, was sie erwarten .........Sind sie länger da, bekommen sie eine differenzierte und realistischere Perspektive und sie wundern sich beispielsweise zunächst über unordentliche, unpünktliche und undisziplinierte deutsche Jugendliche, um dann festzustellen, daß sie dieses Phänomen aus ihrer Heimat kennen und daß das wohl überall gleich sei.
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Beitrag von wfwbinder Sa Mai 09, 2015 10:04 am

Gontscharow schrieb: .........Sind sie länger da, bekommen sie eine differenzierte und realistischere Perspektive und sie wundern sich beispielsweise zunächst über unordentliche, unpünktliche und undisziplinierte deutsche Jugendliche, um dann festzustellen, daß sie dieses Phänomen aus ihrer Heimat kennen und daß das wohl überall gleich sei.

Das ist da, was ich meine (in dem anderen Thema mit den Vorurteilen). Ich denke, dass sich in den letzten 50 Jahren etwas in der Erziehung grundsätzlich geändert hat.

Als ich zur Schule ging, bekam man auf den Schulweg mit: höre zu, lerne schön, mache was der Lehrer sagt ....................
Kam man nach Hause und hatte eine Strafarbeit aufbekommen, war die Reaktion klar "ich habe Dir doch gesagt, Du sollst Dich ordentlich benehmen."

Die Schüler werden heute völlig anders erzogen. Ich will das auch gar nicht den Schülern anlasten, was da passiert, denn viele Dinge, die die Welt der Schüler veränderten hatten wir nicht (Gameboy, Mobiltelefon usw.).

Aber die "typisch deuten Eigenschaften" werden heute in vielen Elternhäusern anscheinend nicht mehr vermittelt, oder aber die Eltern dringen nicht durch, weil die Kinder gegenüber Klassenkameraden einem Gruppendruck unterliegen, der heute auch größer ist als vor 50 Jahren.
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Beitrag von Wallenstein Sa Mai 09, 2015 12:08 pm

Ein Nationalcharakter entsteht vermutlich zumindest teilweise durch die subjektive Betrachtungsweise des Beobachters. Bei einem Italiener legen wir unsere Wertmaßstäbe an und beurteilen ihn danach. Ich könnte mir aber vorstellen, dass ein Russe, ein Türke oder ein Araber die Italiener völlig anders wahrnimmt. Leider weiß ich darüber nicht viel.

Es war noch die Frage, wie ein solcher Nationalcharakter entsteht. Vermutet wird, dass er das Produkt ist von natürlicher Umwelt und gesellschaftlichen Bedingungen.

In puncto Italien würde ich behaupten: Das mediterrane Klima mit der Sonne und dem blauen Himmel, die Vegetation usw. all dies bewirkt zumindest bei mir, dass ich mich sofort wohler fühle als unter einem bleiernen Himmel, Dauerregen und Temperaturen um den Gefrierpunkt. Ich fühle mich ausgeglichener, gelassener, lasse mich nicht sofort stressen. Vielleicht geht es den Menschen dort ähnlich.

Und in Italien gibt es auch keine Tradition von Obrigkeitsstaaten mit ihrer strengen Disziplin. Der Staat war schlampig und korrupt, ihn zu betrügen, war normal. Kaum einer hatte Achtung vor ihm. Gesetze wurden „kreativ“ interpretiert. Die Familie, Verwandtschaftsbeziehungen, gute Freunde, also zivile Netzwerke, das war viel wichtiger. Das hat sicherlich auch den Nationalcharakter geprägt.

Es wird gesagt, das die größte Leistung des italienischen Faschismus darin bestand, dafür zu sorgen, dass die Züge in Italien pünktlich abfahren. Das ist bezeichnend.

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Beitrag von Judas Phatre Sa Mai 09, 2015 4:29 pm

Atzec schrieb:Hehe, die Definition von "Altpreussisch" erfolgt eigentlich nach dem gleichen Strickmuster wie die von Eigenschaften der Sternkreiszeichenträger: Finde nur ausreichend indifferente Eigenschaften mit leidlich positiver Konnatation und jeder Dorftrottel wird verblüfft feststellen, dass das alles ja auch irgendwie auf ihn zutrifft... Very Happy Very Happy Very Happy
Bezogen auf uns Deutsche scheitern solch albernen Versuche der Bestimmung eines uniformen "Nationalcharakters" eigentlich schon an den kultivierten Animositäten der einzelnen Volksstämme, die sich ja sehr widersprüchlich wahrnehmen - nur um sich dann doch wieder einen gemeinschaftlichen Nationalcharakter andichten lassen zu müssen. Very Happy
Wenn ich die Worte "Nationalcharakter" oder "Schicksalsgemeinschaft" lese, erzeugt das bei mir auch eine emotionale Reaktion. Das wirkt bräunlich fadenscheinig völkisch. Dieser Hintergrund muss uns bewusst sein, bevor man über das Problem sachlich reden kann. Es ist mit der Pauschalisierung allzuviel Schindluder getrieben worden.
Wenn ich aber "Nationalcharakter" mit "Kultur" wiedergebe, kingt das schon angenehmer, obwohl sich nichts Wesentliches geändert hat. Dass Kultur nichts mit Genetik zu tun hat, muss ich relativieren. Es ist eine uralte Tatsache, dass sich gleich und gleich gern zusammentun und am Ende eine neue Art daraus wird. So mancher Aspekt der unterschiedlichen Kulturen hängt an der Genetik. Als Beispiel nehme ich 'mal den fehlenden Schweißgeruch der Indianer. Aus so etwas könnte sogar eine neue Art entstehen, wenn nicht das 24-h-Deo erfunden worden wäre. Auf der anderen Seite sind natürlich die genetischen Unterschiede des homo sapiens sapiens verschwindend gering. Es gibt wohl kaum 2 Individuen, die durch mehr als 3000 Generationen voneinander getrennt sind.
Daraus folgt, dass Menschen in fremder Umgebung die Kultur des Gastlandes vollständig übernehmen können. Ich kenne viele Beispiele dafür aus meiner direkten Umgebung. Es sind aber alles Menschen in der 2. und 3. Generation nach der Einwanderung. Ich glaube, dass sich die Übernahme der Regeln des Zusammenlebens gemeinsam mit der Sprache entwickelt und mit 10 Jahren weitgehend abgeschlossen ist. Je isolierter eine Gesellschaft ist, desto deutlicher entwickelt sich dann eine gemeinsame Kultur, die diese Menschen nicht verleugnen können. Wenn ich durch Ägypten laufe, erkennen mich die Touristennepper sofort als Deutscher, bevor ich noch ein Wort gesagt habe. Unsere Umgebung verliert aber überall auf der Welt an Isolation. Die jungen Menschen auf dem Majdan, in Hongkong und auf dem Midan etTahrir ähneln uns auf ganz erstaunliche Art. Mir scheint es so, als entstünde eine Art "Internationalcharakter" und ich verbinde große Hoffnungen damit.
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Beitrag von Greyff So Mai 10, 2015 1:18 am

Der Nationalcharakter scheint mir ein starkes Beharrungsvermögen zu haben.
Ich frage mich, woran es liegt, daß ich Niederländer oft von Deutschen unterscheiden kann,
bevor sie auch nur ein Wort gesagt haben und obwohl sich diese beiden Völker ziemlich ähnlich
sind und wirtschaftlich eng verflochten. Und doch gibt es etwas, das mir sagt "Das ist ein Niederländer".
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Beitrag von Judas Phatre So Mai 10, 2015 9:07 am

Genetik und Kultur entstehen auf ähnliche Weise. Allerdings geschieht die Weitergabe von kultureller Information auf viel verflochteneren Wegen, nicht nur über 2 Eltern. Trotzdem sind wir quasi ein Stamm, der viele Wurzeln vor sich und viele Äste nach sich hat. Wenn es stimmt, dass die kulturelle Prägung in den ersten 10 Jahren stattfindet, dann ist es eigentlich kein Wunder, dass sich Holländer von Deutschen, Bremer von Kölnern unterscheiden. Doch dieser Nationalcharakter ist im Aussterben begriffen. So wie die Dialekte verschwinden, so verschwinden bei unseren Kindern auch die Unterscheidungen in der Kultur. Meine Hoffnung ist, dass dabei vor allem die Irrtümer verloren gehen.
Das Faszinierende an der Beziehung zwischen Genetik und Bewusstsein (etwas anderes ist Kultur individuell betrachtet nicht) ist, dass sich beides zu einem Ich verbindet. Diese Verbindung hat die Philosophen und Religionsstifter schon immer beschäftigt. Jesus sagt:
"Wenn das Fleisch wegen des Geistes (Bewusstsein) entstanden ist, ist das ein Wunder; wenn der Geist wegen des Körpers entstanden ist, ist das ein Wunder der Wunder. Ich persönlich wundere mich aber, wie solcher Reichtum in einer solchen Armut wohnen kann." (EvThomas Spruch 29)
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Beitrag von Rübezahl So Mai 10, 2015 9:16 pm

@ Wallenstein: In der Poebene herrscht sechs Monate im Jahr Nebel und sechs Monate drückende Schwüle, mit grauem Himmel und dem Gestank von Zehntausenden von Schweinen. Von blauem Himmel und mediterraner Vegetation ist da nichts zu spüren. Ein italienischer Nationalcharakter konnte auch deshalb nicht entstehen, weil Italien von ganz verschiedenen Völkerschaften besiedelt ist. Als vor etwas mehr als 150 Jahren mit Gewalt das italienische Königreich geschaffen wurde, musste man erst daran gehen, mit ebenso brutaler Gewalt die Italiener zu schaffen. Die Sprachen waren noch so unterschiedlich, dass man sich im ersten italienischen Parlament in Turin auf Französisch verständigen musste. Die Brutalität der Piemontesen bei der Eroberung des Südens, der vollkommen ausgeplündert wurde und etwa eine Million Tote zu beklagen hatte, wirkt auch bis heute nach. Kein Süditaliener wird sich diesem Staat verpflichtet fühlen.

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Beitrag von wfwbinder So Mai 10, 2015 11:13 pm

Judas Phatre schrieb: So wie die Dialekte verschwinden, so verschwinden bei unseren Kindern auch die Unterscheidungen in der Kultur. Meine Hoffnung ist, dass dabei vor allem die Irrtümer verloren gehen.
Das Faszinierende an der Beziehung zwischen Genetik und Bewusstsein (etwas anderes ist Kultur individuell betrachtet nicht) ist, dass sich beides zu einem Ich verbindet. Diese Verbindung hat die Philosophen und Religionsstifter schon immer beschäftigt. Jesus sagt:
"Wenn das Fleisch wegen des Geistes (Bewusstsein) entstanden ist, ist das ein Wunder; wenn der Geist wegen des Körpers entstanden ist, ist das ein Wunder der Wunder. Ich persönlich wundere mich aber, wie solcher Reichtum in einer solchen Armut wohnen kann." (EvThomas Spruch 29)

Das Dialekte verschwinden, die Besonderheiten von Regionen verloren gehen, ist schade. Es ist wertvolles Kulturgut.
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Beitrag von Judas Phatre Mo Mai 11, 2015 7:23 am

wfwbinder schrieb:
Das Dialekte verschwinden, die Besonderheiten von Regionen verloren gehen, ist schade. Es ist wertvolles Kulturgut.
Nur, weil die SPrachen und Dialekte sowie die unterschiedlichen Kulturen sich ändern und verschwinden sind sie ja nicht ganz verloren. Unsere Archive sind voll von diesen Zeugnissen. Selbst die Mayaschrift, Hieroglyphen und das Sumerische konnten entziffert werden. Israel und Griechenland zeigen, dass man tote Sprachen sogar wiederbeleben und zur Staatssprache erheben kann. Im übrigen fließen sie in unsere globale Kultur ein. Man darf vor dem Hintergrund dieser scheinbaren Verarmung nicht vergessen, dass dabei auch die Irrtümer, der Nationalismus und die Fremdheit verschwinden (hoffentlich).
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Beitrag von wfwbinder Mo Mai 11, 2015 8:11 am

Judas Phatre schrieb:
wfwbinder schrieb:
Das Dialekte verschwinden, die Besonderheiten von Regionen verloren gehen, ist schade. Es ist wertvolles Kulturgut.
Nur, weil die SPrachen und Dialekte sowie die unterschiedlichen Kulturen sich ändern und verschwinden sind sie ja nicht ganz verloren. Unsere Archive sind voll von diesen Zeugnissen. Selbst die Mayaschrift, Hieroglyphen und das Sumerische konnten entziffert werden. Israel und Griechenland zeigen, dass man tote Sprachen sogar wiederbeleben und zur Staatssprache erheben kann. Im übrigen fließen sie in unsere globale Kultur ein. Man darf vor dem Hintergrund dieser scheinbaren Verarmung nicht vergessen, dass dabei auch die Irrtümer, der Nationalismus und die Fremdheit verschwinden (hoffentlich).

Zum Thema Dialekte und Landsmannschaftliche Besonderheiten ein kleines Erlebnis von vor ca. 20 Jahren.

Ein Kollege aus Westfalen und ich waren zu einem Auftrag in Niederbayern. Was natürlich passiert, die Bayern verfielen immer wieder mal in ihr Niederbayerisch, was für uns Nordlichter unverständlich war. Wir unterhielten uns dann auf Platt (das westfälische Plattdeutsch ist dem aus der Heide relativ ähnlich) und schon konnten unsere Niederbayerischen Gesprächspartner wieder hochdeutsch. Alle hatten was zu schmunzeln.

Dialekte müssen nicht trennen.

Der von Dir genannte Nationalismus und die Irrtümer können m. E. auch anders bekämpft werden, ohne dass die menschlichen Eigenheiten von verschiedenen Gegenden untergehen.
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Beitrag von Rübezahl Mo Mai 11, 2015 8:19 am

Nationalismus bedeutet ja, dass man im Namen einer hypothetischen Nation regionale Besonderheiten und Dialekte ausrotten will. Damit ist der Nationalismus selbst der größte Irrtum.

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Beitrag von Gontscharow Mo Mai 11, 2015 11:40 am

So ist es, Rübezahl. Allerdings war der Nationalismus in allen mir bekannten europäischen Ländern ziemlich erfolgreich, was die Ausrottung regionaler Eigenheiten anbetrifft. Dazu wurden die unterschiedlichsten Mittel angewandt. Der letzte, der in Deutschland davon redete, die "deutschen Stämme" zu e i n e m Volk in einem Reich zusammen "zu zwingen" ( die Formulirung sagt doch schon alles !) war Hitler. In BRd und DDR wurde dann davon nichtz mehr geredet, es war nicht mehr auf der Agenda der Politik ....da dieser Prozeß durch die Umstände der modernen Zeiten von alleine lief ( Hochdeutsche Medien erreichen alle im Land - die Aufnahme eines beachtlichen Teils von Flüchtlingen aus dem Osten, die die regionalen Dialekte nicht konnten, das WIrtschaftsleben, das oft zu Ausbildungs- und >Arbeitszwecken Umzüge in andere Regionen mit sich brachte ).
In meiner Heimatstadt ist der frühere regionale Dialekt ausgestorben, in der sie umgebenden ländlichen Region spricht fast nur noch die Generation 60 + Plattdeutsch, womit der Dialekt auch auf dem Land bald austerben wird.
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Beitrag von Judas Phatre Mo Mai 11, 2015 7:30 pm

Ich finde, man sollte das nicht so sehr aus dem "Blickwinkel" der Sprache oder bestimmter Eigenheiten sehen, sondern von den betroffenen Menschen aus. So ging früher nicht nur eine Sprache oder Kultur verloren, sondern die Menschen verloren mit ihr ihre Identität (Prärieindianer z.B.). Wenn eine Generation aus eigenem Antrieb das Alte hinter sich lässt, sehe ich das weniger kritisch. Wichtig ist die Freiheit und Selbstbestimmung dabei.
So hatten die Prärieindianer im 18. Jh. ihre neolithische Kultur gegen die mesolithische eingetauscht, weil sie es so wollten. Und wer wäre als Kind (oder auch später?) nicht gern Cheyenne oder Dakota gewesen?
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Beitrag von Greyff Mo Mai 11, 2015 9:48 pm

Deine Argumentation hat auch etwas für sich , Judas Phatre Wink
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