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Marx Vorstellung vom Kommunismus

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Beitrag von Wallenstein So März 13, 2016 11:04 am

Marx hat sich selten über den Kommunismus geäußert, da er, wie er selber schreibt: „Keine Kochrezepte für die Küche der Zukunft liefern wollte.“ Während  die Frühsozialisten sich ausgiebig über die zu schaffende Gesellschaft ausgelassen haben,  hat er sich selten dazu geäußert und seine Bemerkungen hierzu sind in seinem Werk weit verstreut.
Folgendes lässt sich aber herausfinden:

Der Kommunismus beinhalt zwei Aspekte: 1.) den ökonomischen und 2.) den politischen Aspekt.

1.)  ökonomischer Aspekt:
An die Stelle des Privateigentums tritt das vergesellschaftete Eigentum der „freien, unmittelbaren Produzenten“. Was das bedeuten soll, wird nicht näher ausgeführt.

In den sozialistischen Staaten gab es aber lediglich eine Eigentumsübertragung von Privatpersonen an den Staat. Das Eigentum gehörte anschließend nicht den Produzenten, sondern der Nomenklatura, die zwar nicht de jure, aber de facto nun die neuen Eigentümer darstellten. Und die Heere der Zwangsarbeiter unter Stalin, Mao oder Pol Pot waren nun das Gegenteil von „freien, unmittelbaren Produzenten“, sondern es handelte sich um eine Neuauflage der Staatssklaverei, die in diesen Ländern eine lange Tradition hat. Sklaven besaßen oder besitzen selber nichts, aber nur deshalb weil sie selbst zusammen mit ihren Arbeitsmitteln Eigentum sind, in diesem Falle Eigentum des Staates. Sklaverei von besitzlosen Arbeitern, kaschiert oder nicht, ist nun aber das Gegenteil von Kommunismus.

Sucht man nach Beispielen, die vielleicht ansatzweise der Vorstellung von Marx entsprechen könnten, fällt mir im Moment nur der israelische Kibbuz ein. In den sechziger Jahren habe ich einmal in einem solchen für einige Wochen gewohnt. Hier besitzen die Mitglieder kein Privateigentum, alles gehört der Gemeinschaft. Diese teilt ihnen Wohnungen, Kleidung etc. zu. Es gibt Einheitsgehälter, Essen und Kindererziehung erfolgt gemeinschaftlich. Die gesamte Sozialversicherung, Gesundheitsfürsorge etc. ist kostenlos. Beschlüsse werden von der Gemeinschaft gefasst, alle Ämter werden gewählt und es gibt meist eine Ämterrotation.

Es gibt verschiedene Formen im Kibbuz-System, nicht alle werden so streng gehandhabt, in einigen ist Privateigentum in Grenzen erlaubt.
Ein Kibbuz entspricht in etwa einer Gemeinschaft aus freien und unmittelbaren Produzenten auf vergesellschaftetem Eigentum. Die Teilnahme ist freiwillig, jeder kann beitreten oder wieder gehen.
Für mich ist das nichts, in Israel lebt auch nur ein Bruchteil der Bevölkerung in einem Kibbuz.

Marx knüpft zudem den Kommunismus an Bedingungen, die bis heute nicht vorhanden sind. Sehr wichtig ist für ihn die

a.) Die Zurückdrängung der Arbeitsteilung und

b.) die Verkürzung des Arbeitstages.

Zu a.) Im Kapitalismus wird die Tätigkeit des Arbeiters auf einige Detailfunktionen beschränkt. Dies soll geändert werden „..durch das total entwickelte Individuum, für welches verschiedene gesellschaftliche Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen sind.“ (Marx, Kapital Bd.I, MEW 23, 511 f, Berlin 1960). Schon in der „Deutschen Ideologie“ hatte er geäußert, das in der kommunistischen Gesellschaft die Arbeitsteilung zwar weiterhin existiert, das aber die notwendige Arbeit, die erforderlich ist für die Reproduktion der Gesellschaft in kurzer Zeit erledigt werden kann und nun besteht ausreichend Gelegenheit, sich in allen möglichen Berufen zu engagieren und sie zu erlernen oder auszuüben, ohne dass ein ökonomischer Zwang dahintersteht, Arbeit ist vor allem Selbsterfüllung.

b.) Die Verkürzung der Arbeitszeit: „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist…Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das eben nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung.“ (Marx, Kapital Bd. III, MEW 25, S.611, Berlin 1960).
Erst wenn sich das Verhältnis zwischen notwendiger Arbeit und der Arbeit als Selbsterfüllung (sinnvoll genutzte Freizeit) radikal ändert, sind die Grundlagen für den Kommunismus vorhanden.

Offensichtlich kann so etwas nur einer hochentwickelten Gesellschaft geschehen, nicht aber in primitiven Agrarstaaten. Aber auch wir sind noch weit davon entfernt. Vielleicht später.

Im Moment stehen wir am Anfang der vierten industriellen Revolution. In der dritten industriellen Revolution stand im Mittelpunkt die Kommunikation Mensch-Computer. In der vierten industriellen Revolution handelt es sich um eine Kommunikation Maschine zu Maschine, auch manchmal „Internet der Dinge“ genannt. In der Zukunft sollen Maschinen andere Maschinen konstruieren, produzieren und programmieren, weltweit sind alle System vernetzt, Produktion, Zirkulation, Zahlungsverkehr, alles soll in Zukunft von Automaten gemacht werden. Schiffe und Autos steuern sich selbst, beladen und entladen, all dies ist automatisiert.

Die Konsumgegenstände, Autos, Kühlschränke, Heizungen, Klimaanlagen, auch Verkehrsampeln, sie alle sollen „intelligent“ werden mit Hilfe einer smart Technologie. Sie werden miteinander kommunizieren und sich aufeinander abstimmen. Welche Funktion der Mensch dann haben wird, das ist noch unklar. Auch wissen wir nicht, wie lange diese neue Revolution dauern wird, doch sie wird auf jeden Fall kommen.
Wie wird die Gesellschaft dann aussehen? Marx hoffte, dass die Automatisierung dem Menschen die Freiheit gibt, um die kommunistische Zukunftsgesellschaft zu errichten. Ob das aber so kommen wird, das mag man bezweifeln.

2.) politischer Aspekt:

Der Staat ist für Marx ein Produkt der Arbeitsteilung. Allgemeine gesellschaftliche Funktionen wurden ausgegliedert und sind nun Angelegenheit einer besonderen Institution geworden, dem Staat und seinen Angestellten. Im Kommunismus wird die Gesellschaft die staatlichen Funktionen wieder an sich ziehen und den Staat überflüssig machen.

Wie soll das aber geschehen? Dies wird nicht erläutert. Mir fällt hier wieder der Kibbuz ein. Beschlüsse werden dort gemeinschaftlich gefasst, für bestimmte Aufgaben Personen gewählt. Die üben gesellschaftliche Funktionen praktisch in ihrer Freizeit aus, nebenher gewissermaßen. Solche kleinen Gruppen brauchen auch keine Polizei, keine Beamten nichts. Das funktioniert allerdings auch nur, weil sie in eine Superstruktur eingebunden sind, schließlich gehören sie zu Israel und dieser Staat erfüllt die Aufgaben, die für die Existenz des Kibbuz notwendig sind. Ich glaube nicht, dass sich die Selbstverwaltung in einem Kibbuz dafür eignet, größere Gebiete zu kontrollieren.

Sollen in einer Zukunftsgesellschaft überall solche kleinen Gemeinden existieren, ohne dass es einen übergreifenden Staat braucht? Kann ich mir im Moment nicht vorstellen, es würde allen Erfahrungen in der Menschheitsgeschichte zuwider laufen. Das funktioniert vielleicht bei Jägern und Sammlern, aber heute?

Notwendigkeit einer Übergangsgesellschaft

Marx geht davon aus, dass es zwischen dem Kapitalismus und dem Kommunismus eine Übergangszeit geben muss. Ab 1850 verwendet er gelegentlich den Begriff „Diktatur des Proletariats“, den er offensichtlich von Blanqui übernommen hat. In dieser Zeit soll die Gesellschaft umgebaut werden, so wie es bereits im Kommunistischen Manifest beschrieben wurde:

„Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.
Es kann dies natürlich zunächst nur geschehen vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind.“
http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_459.htm

Das kann aber offensichtlich nur durch eine Diktatur geschehen. In seiner Kritik des Gothaer Programms kritisiert er die Forderung der Sozialdemokraten nach einem „freien Volksstaat“ und schreibt stattdessen:

„Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ http://www.mlwerke.de/me/me19/me19_013.htm

Ihm ist offensichtlich klar, dass die Meinung der Kommunisten nicht von allen geteilt wird und deshalb können sie ihre Ziele nur durch eine Diktatur durchsetzen. Und genau hier liegt der springende Punkt.

Die Vorstellungen von Marx tendieren in eine gefährliche Entwicklung. Die nachkapitalistischen Gesellschaften waren insofern nicht klassenlos, da sie ja von einer Bürokratie oder Nomenklatura beherrscht wurden. Diese besaß zwar kein Privateigentum, jedenfalls nicht nennenswert, besetzte aber die Machtpositionen in Staat und Gesellschaft. Der ehemalige jugoslawische Kommunist Milovan Đilas hat in seinem Buch „Die neue Klasse“ diese ausführlich beschrieben.

Laut Marx  dürfte es so etwas eigentlich nicht geben, denn in seiner Theorie sollte der Staat möglichst schnell absterben. Das Gegenteil war aber der Fall. Dass die proletarische Revolution nicht zu einer Diktatur des Proletariats, sondern zu einer Diktatur über das Proletariat führen würde (und den Rest der Gesellschaft), das hat seinerzeit der Anarchist Bakunin klar erkannt und Marx deswegen heftig angegriffen. Der hat aber stets geleugnet, dass so etwas passieren könnte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass in Gesellschaften ohne Privateigentum es neue Klassen geben könnte, Funktionseliten, die alles kontrollieren.

Bakunin warf Marx vor, das die daraus entstehende Despotie noch viel schlimmer sein würde als die kapitalistische Herrschaft, denn in einem solchen System würde der Arbeiter der geballten Macht des Staates als alleinigem Besitzer der Produktionsmittel gegenüberstehen, während er es im Kapitalismus nur mit dem einzelnen Unternehmer zu tun hat.

Marx dachte, dass dies nur eine vorübergehende Phase wäre, denn mit der Abschaffung des Privateigentums verschwindet auch der Staat und wird abgelöst durch die Gesellschaft der assoziierten Produzenten. In den bisherigen gesellschaftlichen Experimenten wurde aber lediglich Privateigentum durch Eigentum des Staates ersetzt, der im Namen der Gesellschaft alles an sich riss und eine allmächtige Bürokratie schuf. Die Beseitigung des Privateigentums führte, anders als Marx glaubte, nicht zum Verschwinden des Staates, auch nicht zur Assoziation der freien Produzenten, was immer das auch sein mag, ganz im Gegenteil.
(Bei so mancher Klarsicht, Bakunin hatte allerdings selbst ziemlich konfuse Theorien).

P.S. Rosa Luxemburg hatte am Beispiel der russischen Revolution, deren Anfänge sie 1918 kurz vor ihrer Ermordung noch erlebte, gezeigt, was die angebliche „Diktatur des Proletariats in Wirklichkeit bedeutet:

„Aber mit dem Erdrücken des politischen Lebens im ganzen Lande muß auch das Leben in den Sowjets immer mehr erlahmen. Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder der öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in der die Bürokratie allein das tätige Element bleibt. Das öffentliche Leben schläft allmählich ein, einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren, unter ihnen leitet in Wirklichkeit ein Dutzend hervorragender Köpfe, und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen, im Grunde also eine Cliquenwirtschaft – eine Diktatur allerdings, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker, d. h. Diktatur im bürgerlichen Sinne, im Sinne der Jakobiner-Herrschaft (das Verschieben der Sowjet-Kongresse von drei Monaten auf sechs Monate!). Ja noch weiter: solche Zustände müssen eine Verwilderung des öffentlichen Lebens zeitigen: Attentate, Geiselerschießungen usw. Das ist ein übermächtiges objektives Gesetz, dem sich keine Partei zu entziehen vermag.
R. Luxemburg, die Russische Revolution
https://www.marxists.org/deutsch/archiv ... /teil4.htm

Wallenstein
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