Die islamische Revolution im Iran 1979
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Marek1964
Moschusochse
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Die islamische Revolution im Iran 1979
Hallo Leute,
bin wieder mal da. Trotz schönstem Sommerwetter möchte ich folgendes Thema reinstellen:
Wie ordnet Ihr die islamische Revolution im Iran von 1979 ein? Hätte sie verhindert werden können? Oder war es eine Bewegung, die früher oder später ihren Durchbruch gefünden hätte, als fundamentalistische Bewegung, die ja auch anderswo auf dem Vormarsch zu sein scheint seither?
Die Diskussion ist eröffnet.
bin wieder mal da. Trotz schönstem Sommerwetter möchte ich folgendes Thema reinstellen:
Wie ordnet Ihr die islamische Revolution im Iran von 1979 ein? Hätte sie verhindert werden können? Oder war es eine Bewegung, die früher oder später ihren Durchbruch gefünden hätte, als fundamentalistische Bewegung, die ja auch anderswo auf dem Vormarsch zu sein scheint seither?
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Moschusochse- Anzahl der Beiträge : 267
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Re: Die islamische Revolution im Iran 1979
Ich kann mich erinnern, ich war 15 als sie losbrach und es war schon bald ein Horror. Hände wurden abgehackt, junge Mädchen wurden hingerichtet, weil sie Mullahs gegenüber nicht genug Respekt zeigten, Schwule sowieso. In den Strassen, in denen auch Miniröcke üblich waren, sah man nun wieder Frauen im Tschador. Das sah man zuvor höchstens auf dem Lande.
Ich kann mich erinnern, als meine Schwester Ansichten von Chomeiny zu Sexualpraktiken vorlas - ein Horror zwischen Perversion und Prüderie.
Und dann natürlich die Besetzung der amerikanischen Botschaft - ein ungeheuerer Vorgang, wo ich mich daran erinnere, dass meine Mutter gesagt hat, das hats nicht einmal zwischen den Sowjets und den Nazis gegeben, wiewohl Stalin allen Grund gehabt hätte, die Deutsche Gesandschaft nach Sibirien oder gleich zum Henker von Ljubjanka zu schicken - aber auch der sonst ruchlose Hitler liess die sowjetische Gesandschaft ausreisen.
Die Amerikaner unter Carter, so finde ich, waren sehr schwach. Da hätte man viel härter reagieren dürfen, aber vielleicht lag das auch an der nahen Sowjetunion - schwer zu sagen. Es gab dann den Befreiuungsversuch unter sehr schweren Umständen, aber der missriet.
Auch Helmut Schmidt beschrieb Carter als sehr unentschlossenen und ängstlichen Politiker.
Irgendwie erinnert mich die Auseinandersetzung an die heutige seltsame Hofierung des Islam.
Ich kann mich erinnern, als meine Schwester Ansichten von Chomeiny zu Sexualpraktiken vorlas - ein Horror zwischen Perversion und Prüderie.
Und dann natürlich die Besetzung der amerikanischen Botschaft - ein ungeheuerer Vorgang, wo ich mich daran erinnere, dass meine Mutter gesagt hat, das hats nicht einmal zwischen den Sowjets und den Nazis gegeben, wiewohl Stalin allen Grund gehabt hätte, die Deutsche Gesandschaft nach Sibirien oder gleich zum Henker von Ljubjanka zu schicken - aber auch der sonst ruchlose Hitler liess die sowjetische Gesandschaft ausreisen.
Die Amerikaner unter Carter, so finde ich, waren sehr schwach. Da hätte man viel härter reagieren dürfen, aber vielleicht lag das auch an der nahen Sowjetunion - schwer zu sagen. Es gab dann den Befreiuungsversuch unter sehr schweren Umständen, aber der missriet.
Auch Helmut Schmidt beschrieb Carter als sehr unentschlossenen und ängstlichen Politiker.
Irgendwie erinnert mich die Auseinandersetzung an die heutige seltsame Hofierung des Islam.
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Marek1964- Admin
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Re: Die islamische Revolution im Iran 1979
Der „Kalte Krieg“ brachte sicher einiges im Nahen Osten ins Rollen. Da wurde um Einfluß gerungen und die Potentaten des Nahen Ostens wurden hellwach. Vor allem der Hunger nach Öl wurde ganz groß in den aufstrebenden Wirtschaften des Westens.
Aus „Licht aus dem Osten“ von Peter Frankopan:
… Muammar Gaddafi war mit Sicherheit außerordentlich findig. Ende 1969, kurz nach der Machtübernahme, forderte er eine drastische Erhöhung der Einkünfte aus libyschem Öl - das damals dreißig Prozent des europäischen Gesamtbedarfs abdeckte.
Die Ölkonzerne schrien auf vor Empörung, als das neue Regime darauf bestand, einen fairen Preis für das Öl zu bekommen.
… Der Ölpreis vervierfachte sich innerhalb von drei Jahren, was die Volkswirtschaften Europas und der Vereinigten Staaten erheblich belastete.
… Allein in den Jahren 1972 und 1973 stiegen die Öleinnahmen des Iran um das Achtfache. Im Laufe eines Jahrzehnts schnellten die Staatseinnahmen auf das Dreißigfache.
… Im Irak war der Anstieg ebenso spektakulär, die Einnahmen erhöhten sich von 1972 bis 1980 auf das Fünfzigfache, von 575 Mill. Dollar auf 26 Milliarden Dollar.
… Die Gesamteinnahmen der erdölexportierenden Länder stiegen von 23 Milliarden Dollar im Jahre 1972 auf 140 Milliarden Dollar nur fünf Jahre später.
… Jetzt kaufte der Nahe Osten Waffen, Waffen, Waffen. Und man lieferte gerne.
… Der Schah mußte nicht lange überredet werden, wenn es darum ging, Waffen zu kaufen. Er interessierte sich geradezu leidenschaftlich für Flugzeuge, Raketen und Artillerie. An den britischen Botschafter im Iran wandte er sich einmal mit der Frage: „Wieviel PS hat der Panzer Chieftain?"
… Obwohl der Iran den Atomwaffensperrvertrag von 1968 unterschrieben hatte, kursierten Gerüchte über den Aufbau eines geheimen Atomwaffenprogramms.
… Ein CIA-Bericht aus dem Jahre 1974 über die verbreitung von Atomwaffen kam zu dem Schluß, daß sich der Iran zwar in einem frühen Stadium der Entwicklung befinde, der Schah sein Ziel aber vermutlich erst Mitte der achtziger Jahre erreichen werde - wenn er dann noch lebt.
… Selbst Kissinger kamen Zweifel: „Ich habe, offen gesagt, allmählich die Nase voll von dem Iran-Deal“.
… "Ich habe es gebilligt, aber in jeder Region, die man näher betrachtet, ist es ein Schwindel.“
… Obwohl die Kritik an dem iranischen Regime immer lauter wurde, unterstützte die US-Regierung den Schah weiterhin offen und konsequent.
… Carter war Silvester 1977 Ehrengast bei einem Bankett in Teheran: „Der Iran ist eine Insel der Stabilität in einer der unruhigeren Regionen der Welt. Das liege an der großen Führungsstärke des Schahs. Der Erfolg des Landes sei zum großen Teil Eurer Majestät und Eurer Führung zu verdanken sowie dem Respekt und der Bewunderung und der Liebe, die Ihr Volk Ihnen entgegenbringt.“
… Das war weniger ein Blick durch die rosarote brille als vielmehr die schlichte Leugnung der Realität.
… Eine allgegenwärtige Korruption, wobei die Königsfamilie und jene, die dem Regime nahestanden, Hunderte Millionen von Dollar an „Provision“ einstrichen für jeden einzelnen Reaktor.
.. Die wachsende Unruhe spielte Ayatollah Khomeini in die Hände. Er bemächtigte sich der Situation, indem er die Übel im Iran dagnostizierte und eine Vision anbot, die deren Heilung versprach.
… Als sich die Lage immer mehr zuspitzte, fuhr der Schah zum Flughafen von Teheran. Dort erklärte er in einer kurzen Stellungnahme: „Ich fühle mich müde und brauche eine Rast“, ehe er zum letzten Mal aus dem Land flog.
… An „einem der schlimmsten Tage in meinem diplomatischen Leben“, wie Präsident Carter es formulierte, wurde der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt in Gesprächen über den Nahen Osten persönlich „ausfallend“ und ließ durchblicken, daß „die amerikanische Einmischung (in dieser Region) auf der ganzen Welt Probleme mit dem Öl verursacht hätte."
Aus „Licht aus dem Osten“ von Peter Frankopan:
… Muammar Gaddafi war mit Sicherheit außerordentlich findig. Ende 1969, kurz nach der Machtübernahme, forderte er eine drastische Erhöhung der Einkünfte aus libyschem Öl - das damals dreißig Prozent des europäischen Gesamtbedarfs abdeckte.
Die Ölkonzerne schrien auf vor Empörung, als das neue Regime darauf bestand, einen fairen Preis für das Öl zu bekommen.
… Der Ölpreis vervierfachte sich innerhalb von drei Jahren, was die Volkswirtschaften Europas und der Vereinigten Staaten erheblich belastete.
… Allein in den Jahren 1972 und 1973 stiegen die Öleinnahmen des Iran um das Achtfache. Im Laufe eines Jahrzehnts schnellten die Staatseinnahmen auf das Dreißigfache.
… Im Irak war der Anstieg ebenso spektakulär, die Einnahmen erhöhten sich von 1972 bis 1980 auf das Fünfzigfache, von 575 Mill. Dollar auf 26 Milliarden Dollar.
… Die Gesamteinnahmen der erdölexportierenden Länder stiegen von 23 Milliarden Dollar im Jahre 1972 auf 140 Milliarden Dollar nur fünf Jahre später.
… Jetzt kaufte der Nahe Osten Waffen, Waffen, Waffen. Und man lieferte gerne.
… Der Schah mußte nicht lange überredet werden, wenn es darum ging, Waffen zu kaufen. Er interessierte sich geradezu leidenschaftlich für Flugzeuge, Raketen und Artillerie. An den britischen Botschafter im Iran wandte er sich einmal mit der Frage: „Wieviel PS hat der Panzer Chieftain?"
… Obwohl der Iran den Atomwaffensperrvertrag von 1968 unterschrieben hatte, kursierten Gerüchte über den Aufbau eines geheimen Atomwaffenprogramms.
… Ein CIA-Bericht aus dem Jahre 1974 über die verbreitung von Atomwaffen kam zu dem Schluß, daß sich der Iran zwar in einem frühen Stadium der Entwicklung befinde, der Schah sein Ziel aber vermutlich erst Mitte der achtziger Jahre erreichen werde - wenn er dann noch lebt.
… Selbst Kissinger kamen Zweifel: „Ich habe, offen gesagt, allmählich die Nase voll von dem Iran-Deal“.
… "Ich habe es gebilligt, aber in jeder Region, die man näher betrachtet, ist es ein Schwindel.“
… Obwohl die Kritik an dem iranischen Regime immer lauter wurde, unterstützte die US-Regierung den Schah weiterhin offen und konsequent.
… Carter war Silvester 1977 Ehrengast bei einem Bankett in Teheran: „Der Iran ist eine Insel der Stabilität in einer der unruhigeren Regionen der Welt. Das liege an der großen Führungsstärke des Schahs. Der Erfolg des Landes sei zum großen Teil Eurer Majestät und Eurer Führung zu verdanken sowie dem Respekt und der Bewunderung und der Liebe, die Ihr Volk Ihnen entgegenbringt.“
… Das war weniger ein Blick durch die rosarote brille als vielmehr die schlichte Leugnung der Realität.
… Eine allgegenwärtige Korruption, wobei die Königsfamilie und jene, die dem Regime nahestanden, Hunderte Millionen von Dollar an „Provision“ einstrichen für jeden einzelnen Reaktor.
.. Die wachsende Unruhe spielte Ayatollah Khomeini in die Hände. Er bemächtigte sich der Situation, indem er die Übel im Iran dagnostizierte und eine Vision anbot, die deren Heilung versprach.
… Als sich die Lage immer mehr zuspitzte, fuhr der Schah zum Flughafen von Teheran. Dort erklärte er in einer kurzen Stellungnahme: „Ich fühle mich müde und brauche eine Rast“, ehe er zum letzten Mal aus dem Land flog.
… An „einem der schlimmsten Tage in meinem diplomatischen Leben“, wie Präsident Carter es formulierte, wurde der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt in Gesprächen über den Nahen Osten persönlich „ausfallend“ und ließ durchblicken, daß „die amerikanische Einmischung (in dieser Region) auf der ganzen Welt Probleme mit dem Öl verursacht hätte."
Skeptik- Anzahl der Beiträge : 1364
Anmeldedatum : 01.10.15
Alter : 85
Re: Die islamische Revolution im Iran 1979
Jetzt wollte ich mich hier motiviert einbringen, aber Skeptik hat das alles schon wirklich kompetent auf den Punkt gebracht. Die Frage ob es denn zu verhindern gewesen wäre ist damit zwar immer noch nicht zu beantworten - das sind hypothetische Fragen aber ohnehin nie. Im Rückblick und in Anbetracht all der Entwicklungen, die Skeptik nannte, ist die Revolution aber zumindest nicht überraschend.
Re: Die islamische Revolution im Iran 1979
Möge Chomeini in der Hölle schmoren !
Gontscharow- Gründungsmitglied
- Anzahl der Beiträge : 939
Anmeldedatum : 18.01.15
Re: Die islamische Revolution im Iran 1979
In den siebziger Jahren bin ich mehrmals im Iran gewesen. Das Land war äußerlich sehr modern, hervorragende Straßen, lauter neue Bahnhöfe, das Fernsehen hatte mehr Programme als damals in Deutschland. Es machte einen viel besseren Eindruck als die Nachbarländer, aber der Schein trog, wie wir heute wissen.
Der Vater des Schah, Reza Schah Pahlavi, (Regierung 1921 – 1941) war durch einen Putsch an die Regierung gekommen und betrieb nach dem türkischen Vorbild einen harten Modernisierungskurs, um sein Land nach vorne zu bringen. Er bekämpfte die Geistlichkeit und entwickelte die Wirtschaft. Doch eine uralte Kultur umzukrempeln, auch gegen den Willen der meisten Menschen, ist schwierig. Er verordnete seinen Bürgern moderne Kleidung, doch die Männer empfanden die europäische Kleidung als unbequem und dem Klima nicht angemessen, die Frauen fühlten sich ohne Schador halbnackt und den Blicken der Männer ausgeliefert. Es dauerte lange, bis zumindest die entstehende Mittelklasse auch die neuen Chancen sah, aber das platte Land blieb von den Reformen weitgehend unberührt.
Unter dem Sohn des Schah ging die Modernisierung rapide weiter. Eine gewaltige Landflucht setzte in den sechziger Jahren ein, verstärkt durch ein kräftiges Bevölkerungswachstum. Teheran wuchs zu einem gewaltigen Moloch an. Die Oberschicht und die Mittelklasse wohnten in eigenen Vierteln, getrennt vom Rest der Bevölkerung und völlig abgehoben in ihrer eigenen Welt. Mental lebten die Slumbewohner noch in ihrer ländlichen Umwelt und verstanden die Moderne nicht, an der sie auch keinen Anteil hatten.
Volksbewegungen gegen die vielen Tyrannen im Nahen Osten wurden früher meistens von Kommunisten und Nationalisten angeführt und in ihnen sah man auch die Hauptgefahr. Religiöse Bewegungen wurden nicht ernst genommen und völlig unterschätzt. Der Schah bekämpfte daher auch vor allem die kommunistische Tudeh Partei. Die Monarchie hatte alle Bestrebungen hin zu einer Zivilgesellschaft massiv unterdrückt und Parteien und Gewerkschaften zerschlagen. Das Regime war selbst unfähig zu Reformen. Nur die Religion wurde geduldet, da sie wesentlicher Bestandteil der iranischen Gesellschaft war und nur die renitenten Geistlichen wie Chomeini wurden ins Exil getrieben. So organisierte sich der Widerstand in den Moscheen und hier entstand auch der religiöse Fanatismus, ein Phänomen, mit dem sich auch der Westen jetzt erstmalig konfrontiert sah. Die Geistlichen konnten die konservativen Unterschichten anführen und den Schah in die Flucht treiben. Sie wollten zurück in die vermeintlich bessere Zeit vor Beginn der Modernisierung, für viele durchaus ein verlockendes Ziel.
Wer sind die Mullahs? Hierzu hatte ich früher schon etwas geschrieben.
Noch bis zur islamischen Revolution und auch noch eine Zeit danach, war dies folgendermaßen geregelt: Ein Mullah kann eigentlich jeder männliche Gläubige werden. Man muss dazu eine theologische Hochschule besuchen, die keine Aufnahmeprüfung kennt und keine Vorbedingungen stellt. Auch arme Bauernjungen mit geringer Schulbildung können sie besuchen. Es gibt auch keine Zeugnisse, keine Abschlussprüfungen, keine akademischen Grade.
In den ersten Jahren lernt der Student die arabische Schriftsprache und die Grundbegriffe der islamischen Theologie. Meistens schließen sie sich zunächst einem Lehrer an, der sie mit Unterkunft und Verpflegung versorgt. Doch schon kurze Zeit später müssen sie lernen, sich selbst zu versorgen. Sie geben Kurse für Neueinsteiger oder versuchen Gläubige zu finden, denen sie predigen können. Von den Gaben ihrer Zuhörer leben sie dann. Ein Mullah bekommt kein Gehalt, er muss versuchen, möglichst gut und interessant zu predigen, je mehr Gläubige, desto mehr Geld. Das alte Spiel von Angebot und Nachfrage. Ist man ein guter Mullah, kommen die Leute zu einem und wollen Rat und Auskünfte, er wird zu einer Vertrauensperson und gewinnt dadurch schon einen beträchtlichen Einfluss. Ein System von Prüfungen und eine festgelegte Hierarchie in der Geistlichkeit mit Zugangs-und Aufstiegsregelungen gibt es nicht. Natürlich existiert aber trotzdem eine Rangordnung. Welchen Rang man aber besetzen kann, entscheiden die Gläubigen. Ihre Zustimmung oder Ablehnung ersetzt das System von Prüfungen, wie es anderswo üblich ist.
Zwischen den Lehrern und Studenten kommt es immer zu heftigen Diskussionen. Der Lehrer muss versuchen, in den Diskussionen die besseren Argumente zu liefern, die Studenten müssen sich profilieren mit kritischen Beiträgen, sie sind aufgefordert, sich mit der Meinung des Lehrenden auseinanderzusetzen und sie zu hinterfragen. Wer dies besonders gut kann, steigt in der Rangordnung auf. Dies entscheiden die Studenten und die Gläubigen. Da keine Prüfungen stattfinden und der Lehrer keine Noten vergeben kann, muss er seine Autorität durch bessere Argumente und rhetorisches Geschick unter Beweis stellen.
Die Ausbildung kennt drei Stufen. Nach dem Erlernen der arabischen Sprache erfolgt das Erlernen der Rechtslehre und in der dritten Stufe, die von unbegrenzter Dauer sein kann, werden der Koran und die klassischen Texte interpretiert. In welche Stufe man aufsteigt, entscheiden ebenfalls die Gläubigen und die Studenten, da es keine Prüfungen gibt und nur die Argumentationsfähigkeit und das Geschick des Studierenden entscheidend sind und der Eindruck, den sie auf ihre Umgebung machen.
So ein Mullah hatte es also nicht unbedingt leicht. Reichtümer konnte man damit nicht anhäufen. Er musste sich ständig vor den Gläubigen profilieren, da er von deren Spenden abhängig war. Versagte er in deren Augen, wurde er von ihnen finanziell nicht unterstützt und erlebte ein schnelles Ende als Geistlicher.
Die alte Ober-und Mittelschicht im Iran hatte oftmals keine sehr gute Meinung von den Mullahs, da diese meistens aus der Unterschicht kamen und nur ein niedriges Bildungsniveau besaßen. Für junge Männer aus armen Verhältnissen bot die Karriere als Geistlicher aber oftmals die einzige Möglichkeit für einen sozialen Aufstieg. Viele Mullahs waren in der einfachen Bevölkerung oftmals beliebt, da sie die Sprache des Volkes redeten und ständig unter ihnen lebten. So wurden sie für viele zur ersten Anlaufstelle, wenn die Menschen Rat benötigten.
Nach der islamischen Revolution kam es zu vielen Veränderungen. Das Studium wurde stark reglementiert und ähnelt nun vom Aufbau her mehr westlichen Studiengängen mit ihren Prüfungssystemen. Die Mullahs werden jetzt staatlich besoldet. Viele machen zudem noch Korruptionsgewinne. Da sie nun aber nicht mehr von der Gnade der Gläubigen abhängig sind, kann es leicht zu Entfremdungen von ihrer früheren Klientel kommen, auf deren Zustimmung sie nun nicht mehr angewiesen sind. Die zukünftige Rolle der Mullahs ist unklar. Sie werden auf jeden Fall versuchen, ihren jetzigen, privilegierten Status zu behaupten.
(Angaben entnommen aus: Bahman Nirumand, Iran die drohende Katastrophe, 2006)
Der Vater des Schah, Reza Schah Pahlavi, (Regierung 1921 – 1941) war durch einen Putsch an die Regierung gekommen und betrieb nach dem türkischen Vorbild einen harten Modernisierungskurs, um sein Land nach vorne zu bringen. Er bekämpfte die Geistlichkeit und entwickelte die Wirtschaft. Doch eine uralte Kultur umzukrempeln, auch gegen den Willen der meisten Menschen, ist schwierig. Er verordnete seinen Bürgern moderne Kleidung, doch die Männer empfanden die europäische Kleidung als unbequem und dem Klima nicht angemessen, die Frauen fühlten sich ohne Schador halbnackt und den Blicken der Männer ausgeliefert. Es dauerte lange, bis zumindest die entstehende Mittelklasse auch die neuen Chancen sah, aber das platte Land blieb von den Reformen weitgehend unberührt.
Unter dem Sohn des Schah ging die Modernisierung rapide weiter. Eine gewaltige Landflucht setzte in den sechziger Jahren ein, verstärkt durch ein kräftiges Bevölkerungswachstum. Teheran wuchs zu einem gewaltigen Moloch an. Die Oberschicht und die Mittelklasse wohnten in eigenen Vierteln, getrennt vom Rest der Bevölkerung und völlig abgehoben in ihrer eigenen Welt. Mental lebten die Slumbewohner noch in ihrer ländlichen Umwelt und verstanden die Moderne nicht, an der sie auch keinen Anteil hatten.
Volksbewegungen gegen die vielen Tyrannen im Nahen Osten wurden früher meistens von Kommunisten und Nationalisten angeführt und in ihnen sah man auch die Hauptgefahr. Religiöse Bewegungen wurden nicht ernst genommen und völlig unterschätzt. Der Schah bekämpfte daher auch vor allem die kommunistische Tudeh Partei. Die Monarchie hatte alle Bestrebungen hin zu einer Zivilgesellschaft massiv unterdrückt und Parteien und Gewerkschaften zerschlagen. Das Regime war selbst unfähig zu Reformen. Nur die Religion wurde geduldet, da sie wesentlicher Bestandteil der iranischen Gesellschaft war und nur die renitenten Geistlichen wie Chomeini wurden ins Exil getrieben. So organisierte sich der Widerstand in den Moscheen und hier entstand auch der religiöse Fanatismus, ein Phänomen, mit dem sich auch der Westen jetzt erstmalig konfrontiert sah. Die Geistlichen konnten die konservativen Unterschichten anführen und den Schah in die Flucht treiben. Sie wollten zurück in die vermeintlich bessere Zeit vor Beginn der Modernisierung, für viele durchaus ein verlockendes Ziel.
Wer sind die Mullahs? Hierzu hatte ich früher schon etwas geschrieben.
Noch bis zur islamischen Revolution und auch noch eine Zeit danach, war dies folgendermaßen geregelt: Ein Mullah kann eigentlich jeder männliche Gläubige werden. Man muss dazu eine theologische Hochschule besuchen, die keine Aufnahmeprüfung kennt und keine Vorbedingungen stellt. Auch arme Bauernjungen mit geringer Schulbildung können sie besuchen. Es gibt auch keine Zeugnisse, keine Abschlussprüfungen, keine akademischen Grade.
In den ersten Jahren lernt der Student die arabische Schriftsprache und die Grundbegriffe der islamischen Theologie. Meistens schließen sie sich zunächst einem Lehrer an, der sie mit Unterkunft und Verpflegung versorgt. Doch schon kurze Zeit später müssen sie lernen, sich selbst zu versorgen. Sie geben Kurse für Neueinsteiger oder versuchen Gläubige zu finden, denen sie predigen können. Von den Gaben ihrer Zuhörer leben sie dann. Ein Mullah bekommt kein Gehalt, er muss versuchen, möglichst gut und interessant zu predigen, je mehr Gläubige, desto mehr Geld. Das alte Spiel von Angebot und Nachfrage. Ist man ein guter Mullah, kommen die Leute zu einem und wollen Rat und Auskünfte, er wird zu einer Vertrauensperson und gewinnt dadurch schon einen beträchtlichen Einfluss. Ein System von Prüfungen und eine festgelegte Hierarchie in der Geistlichkeit mit Zugangs-und Aufstiegsregelungen gibt es nicht. Natürlich existiert aber trotzdem eine Rangordnung. Welchen Rang man aber besetzen kann, entscheiden die Gläubigen. Ihre Zustimmung oder Ablehnung ersetzt das System von Prüfungen, wie es anderswo üblich ist.
Zwischen den Lehrern und Studenten kommt es immer zu heftigen Diskussionen. Der Lehrer muss versuchen, in den Diskussionen die besseren Argumente zu liefern, die Studenten müssen sich profilieren mit kritischen Beiträgen, sie sind aufgefordert, sich mit der Meinung des Lehrenden auseinanderzusetzen und sie zu hinterfragen. Wer dies besonders gut kann, steigt in der Rangordnung auf. Dies entscheiden die Studenten und die Gläubigen. Da keine Prüfungen stattfinden und der Lehrer keine Noten vergeben kann, muss er seine Autorität durch bessere Argumente und rhetorisches Geschick unter Beweis stellen.
Die Ausbildung kennt drei Stufen. Nach dem Erlernen der arabischen Sprache erfolgt das Erlernen der Rechtslehre und in der dritten Stufe, die von unbegrenzter Dauer sein kann, werden der Koran und die klassischen Texte interpretiert. In welche Stufe man aufsteigt, entscheiden ebenfalls die Gläubigen und die Studenten, da es keine Prüfungen gibt und nur die Argumentationsfähigkeit und das Geschick des Studierenden entscheidend sind und der Eindruck, den sie auf ihre Umgebung machen.
So ein Mullah hatte es also nicht unbedingt leicht. Reichtümer konnte man damit nicht anhäufen. Er musste sich ständig vor den Gläubigen profilieren, da er von deren Spenden abhängig war. Versagte er in deren Augen, wurde er von ihnen finanziell nicht unterstützt und erlebte ein schnelles Ende als Geistlicher.
Die alte Ober-und Mittelschicht im Iran hatte oftmals keine sehr gute Meinung von den Mullahs, da diese meistens aus der Unterschicht kamen und nur ein niedriges Bildungsniveau besaßen. Für junge Männer aus armen Verhältnissen bot die Karriere als Geistlicher aber oftmals die einzige Möglichkeit für einen sozialen Aufstieg. Viele Mullahs waren in der einfachen Bevölkerung oftmals beliebt, da sie die Sprache des Volkes redeten und ständig unter ihnen lebten. So wurden sie für viele zur ersten Anlaufstelle, wenn die Menschen Rat benötigten.
Nach der islamischen Revolution kam es zu vielen Veränderungen. Das Studium wurde stark reglementiert und ähnelt nun vom Aufbau her mehr westlichen Studiengängen mit ihren Prüfungssystemen. Die Mullahs werden jetzt staatlich besoldet. Viele machen zudem noch Korruptionsgewinne. Da sie nun aber nicht mehr von der Gnade der Gläubigen abhängig sind, kann es leicht zu Entfremdungen von ihrer früheren Klientel kommen, auf deren Zustimmung sie nun nicht mehr angewiesen sind. Die zukünftige Rolle der Mullahs ist unklar. Sie werden auf jeden Fall versuchen, ihren jetzigen, privilegierten Status zu behaupten.
(Angaben entnommen aus: Bahman Nirumand, Iran die drohende Katastrophe, 2006)
Wallenstein- Gründungsmitglied
- Anzahl der Beiträge : 872
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Re: Die islamische Revolution im Iran 1979
Schön Dich hier wiederzusehen, Wallenstein. Schon lange nicht mehr gesehen.
Kennst Du Dich auch mit Ägypten aus? Ich habe vor kurzem ein Video gesehen, das Nasser in den 50er Jahre zeigt, wo er eine Rede hält und sich darüber lustig macht, dass Muslim Brüder von ihm verlangen,Frauen sollen Kopftuch tragen. Er sagte dann zu seinem Auditorium: Ich schaffe es nicht, meine Tochter zum Tragen eines Kopftuchs zu zwingen. Wie soll ich dann 10 Millionen Frauen dazu bringen. Gelächter im Publikum.
Ich meine, man ist nach Deinen Ausführungen geneigt, zu sagen, die Leute zu etwas zwingen, führe zum Backlash, wenn es gegen ganz tief verwurzelte Traditionen, noch zusätzlich religiös verstärkt, geht, schlägt quasi das Pendel doppelt so stark zurück. Beispiele liessen sich sowohl in der Türkei als auch eben im Iran finden.
Du kennst Dich ja auch sonst im Nahen Ost aus - wie war das in den anderen Ländern, bspw in Ägypten?
Kennst Du Dich auch mit Ägypten aus? Ich habe vor kurzem ein Video gesehen, das Nasser in den 50er Jahre zeigt, wo er eine Rede hält und sich darüber lustig macht, dass Muslim Brüder von ihm verlangen,Frauen sollen Kopftuch tragen. Er sagte dann zu seinem Auditorium: Ich schaffe es nicht, meine Tochter zum Tragen eines Kopftuchs zu zwingen. Wie soll ich dann 10 Millionen Frauen dazu bringen. Gelächter im Publikum.
Ich meine, man ist nach Deinen Ausführungen geneigt, zu sagen, die Leute zu etwas zwingen, führe zum Backlash, wenn es gegen ganz tief verwurzelte Traditionen, noch zusätzlich religiös verstärkt, geht, schlägt quasi das Pendel doppelt so stark zurück. Beispiele liessen sich sowohl in der Türkei als auch eben im Iran finden.
Du kennst Dich ja auch sonst im Nahen Ost aus - wie war das in den anderen Ländern, bspw in Ägypten?
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Marek1964- Admin
- Anzahl der Beiträge : 2394
Anmeldedatum : 18.01.15
Re: Die islamische Revolution im Iran 1979
Ja, hallo Marek,
ich bin im Moment nur selten in Deutschland, als Rentner hat man viel Zeit in der Welt herumzufahren. Unterwegs gucke ich nicht in den Computer und beantworte auch keine Mails. Bitte um Entschuldigung. Ich bin auch schon in Kürze wieder fort.
Ja, deine Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Grundsätzlich gilt wohl: Was wir für modern und fortschrittlich halten, wird nicht in allen Kulturen so gesehen. Als die Europäer nach Afrika kamen, waren sie entsetzt über die halbnackten Wilden. Das oberste Ziel der Missionare war es deshalb, sie erst einmal „zivilisiert“, also europäisch einzukleiden, was bei dem Klima häufig wenig Sinn machte.
Der Versuch, den Schador unter der Regierung des ersten Schah zu verbieten, wirkte vielleicht ähnlich, als wenn der deutsche Kaiser 1900 befohlen hätte, das alle Frauen ab sofort Miniröcke und bauchnabelfrei tragen sollen. Das hätte man damals nicht als Schritt in Richtung Emanzipation verstanden, sondern wäre auf heftigen Widerstand gestoßen. So etwas muss in der Gesellschaft selbst heranwachsen und von den Frauen auch gewollt werden, das kann man nicht von oben verordnen. Keinen Schador zu tragen galt als obszön, weil so etwas in der Regel nur die Prostituierten machten. Außerdem, das Schador-Verbot war nicht gleichbedeutend mit Freiheit oder Emanzipation, denn die Unterdrückung der Frauen und auch der Männer war damit ja in der Diktatur des Schah nicht beseitigt. Insofern empfand man es als Zwangsmaßnahme, und dann befolgt man es aus Protest nicht. Das Tragen eines Schador wird dann als revolutionärer Schritt gesehen. Nur bei den Frauen des Mittelstandes war dies anders, denn die konnten sich freier entfalten in der Gesellschaft und sahen die alte Kleidung als Rückschritt an.
In den Gesellschaften des Nahen Osten muss man unterscheiden zwischen den Ländern, die Kolonien waren und denen, die es nicht waren. (Ägypten war britische Kolonie und weiter entwickelt als andere Staaten).
Kolonien: Bezüglich der Kleidung machten die Europäer in der Regel keine Vorschriften, wer als Einheimischer aber aufsteigen wollte, musste dies auch schon äußerlich zeigen. Die Eliten, die nach der Unabhängigkeit an die Regierungen kamen, waren zumeist weltlich orientiert und sahen den Westen oder den Osten als Vorbilder an und wollten ihre Gesellschaften modernisieren, auch äußerlich. Schaut man sich die Fotographien aus den fünfziger oder sechziger Jahren an, die in den Großstädten gemacht wurden, sieht man, das die meisten Menschen oftmals wesentlich moderner gekleidet waren, als dies heute der Fall ist. Aber die Eliten waren zumeist Militärdiktaturen und als sie mit ihrer Politik scheiterten, kam es in vielen Ländern zu einer Rückbesinnung auf die Vergangenheit. Die alte Kultur drang wieder nach vorn, als Schuldiger an der ökonomischen Misere galt der Westen, den man nun ablehnte. Die Kolonialzeit und die andauernde wirtschaftliche Abhängigkeit galten als Verursacher allen Unglücks, die vermeintlich bessere Vergangenheit wurde glorifiziert. Das war die Geburtsstunde der modernen Islamisten, die vorher keine große Rolle spielten. Die Diktatoren wollten dem entgegnen und begannen nun selber mit einer Renaissance der islamischen Kultur, um den sozialen Sprengstoff zu entschärfen. So sind die Gesellschaften heute oft viel religiöser geworden, als ich sie in den sechziger und siebziger Jahren erlebt habe.
Ein ähnliches Schicksal erlitten die Modernisierungsversuche in der Türkei und dem Iran, die ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg zeigten. Vor allem die Türkei müsste noch einmal besonders behandelt werden.
Staaten wie Saudi-Arabien konnten ihre mittelalterliche Kultur bis in die Gegenwart retten. Sie waren nie Kolonie und ihr Ölreichtum, der in den vierziger Jahren entdeckt wurde, erlaubte eine Abschottung vom Rest der Welt bis in die Gegenwart.
Die ehemaligen britischen Kolonien wie die Golfemirate und Oman haben es mit ihrem Geld geschafft eine Symbiose zwischen alter und neuer Zeit herzustellen.
Die Entwicklung und Veränderung von Gesellschaften ist ein hochinteressantes Thema, das mich immer fasziniert hat und da ich seit den sechziger Jahren ständig unterwegs bin, konnte ich vieles davon selber erleben. Am meisten hat mich China beeindruckt, die Entwicklung dort ist atemberaubend. Aber das ist ein anderes Thema.
ich bin im Moment nur selten in Deutschland, als Rentner hat man viel Zeit in der Welt herumzufahren. Unterwegs gucke ich nicht in den Computer und beantworte auch keine Mails. Bitte um Entschuldigung. Ich bin auch schon in Kürze wieder fort.
Ja, deine Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Grundsätzlich gilt wohl: Was wir für modern und fortschrittlich halten, wird nicht in allen Kulturen so gesehen. Als die Europäer nach Afrika kamen, waren sie entsetzt über die halbnackten Wilden. Das oberste Ziel der Missionare war es deshalb, sie erst einmal „zivilisiert“, also europäisch einzukleiden, was bei dem Klima häufig wenig Sinn machte.
Der Versuch, den Schador unter der Regierung des ersten Schah zu verbieten, wirkte vielleicht ähnlich, als wenn der deutsche Kaiser 1900 befohlen hätte, das alle Frauen ab sofort Miniröcke und bauchnabelfrei tragen sollen. Das hätte man damals nicht als Schritt in Richtung Emanzipation verstanden, sondern wäre auf heftigen Widerstand gestoßen. So etwas muss in der Gesellschaft selbst heranwachsen und von den Frauen auch gewollt werden, das kann man nicht von oben verordnen. Keinen Schador zu tragen galt als obszön, weil so etwas in der Regel nur die Prostituierten machten. Außerdem, das Schador-Verbot war nicht gleichbedeutend mit Freiheit oder Emanzipation, denn die Unterdrückung der Frauen und auch der Männer war damit ja in der Diktatur des Schah nicht beseitigt. Insofern empfand man es als Zwangsmaßnahme, und dann befolgt man es aus Protest nicht. Das Tragen eines Schador wird dann als revolutionärer Schritt gesehen. Nur bei den Frauen des Mittelstandes war dies anders, denn die konnten sich freier entfalten in der Gesellschaft und sahen die alte Kleidung als Rückschritt an.
In den Gesellschaften des Nahen Osten muss man unterscheiden zwischen den Ländern, die Kolonien waren und denen, die es nicht waren. (Ägypten war britische Kolonie und weiter entwickelt als andere Staaten).
Kolonien: Bezüglich der Kleidung machten die Europäer in der Regel keine Vorschriften, wer als Einheimischer aber aufsteigen wollte, musste dies auch schon äußerlich zeigen. Die Eliten, die nach der Unabhängigkeit an die Regierungen kamen, waren zumeist weltlich orientiert und sahen den Westen oder den Osten als Vorbilder an und wollten ihre Gesellschaften modernisieren, auch äußerlich. Schaut man sich die Fotographien aus den fünfziger oder sechziger Jahren an, die in den Großstädten gemacht wurden, sieht man, das die meisten Menschen oftmals wesentlich moderner gekleidet waren, als dies heute der Fall ist. Aber die Eliten waren zumeist Militärdiktaturen und als sie mit ihrer Politik scheiterten, kam es in vielen Ländern zu einer Rückbesinnung auf die Vergangenheit. Die alte Kultur drang wieder nach vorn, als Schuldiger an der ökonomischen Misere galt der Westen, den man nun ablehnte. Die Kolonialzeit und die andauernde wirtschaftliche Abhängigkeit galten als Verursacher allen Unglücks, die vermeintlich bessere Vergangenheit wurde glorifiziert. Das war die Geburtsstunde der modernen Islamisten, die vorher keine große Rolle spielten. Die Diktatoren wollten dem entgegnen und begannen nun selber mit einer Renaissance der islamischen Kultur, um den sozialen Sprengstoff zu entschärfen. So sind die Gesellschaften heute oft viel religiöser geworden, als ich sie in den sechziger und siebziger Jahren erlebt habe.
Ein ähnliches Schicksal erlitten die Modernisierungsversuche in der Türkei und dem Iran, die ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg zeigten. Vor allem die Türkei müsste noch einmal besonders behandelt werden.
Staaten wie Saudi-Arabien konnten ihre mittelalterliche Kultur bis in die Gegenwart retten. Sie waren nie Kolonie und ihr Ölreichtum, der in den vierziger Jahren entdeckt wurde, erlaubte eine Abschottung vom Rest der Welt bis in die Gegenwart.
Die ehemaligen britischen Kolonien wie die Golfemirate und Oman haben es mit ihrem Geld geschafft eine Symbiose zwischen alter und neuer Zeit herzustellen.
Die Entwicklung und Veränderung von Gesellschaften ist ein hochinteressantes Thema, das mich immer fasziniert hat und da ich seit den sechziger Jahren ständig unterwegs bin, konnte ich vieles davon selber erleben. Am meisten hat mich China beeindruckt, die Entwicklung dort ist atemberaubend. Aber das ist ein anderes Thema.
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