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Beitrag von Wallenstein Fr März 10, 2017 12:50 pm

Es ist immer wieder erstaunlich, wie Leute ihre politische Meinung radikal ändern können. Hier einige Beispiele:

Horst Mahler, geb. 1936

In den sechziger Jahren begann er eine glänzende Karriere als Anwalt und war vor allem für Unternehmen in Wirtschaftsfragen aktiv. Mit Beginn der Studentenrebellion 1968 vertat er zahlreiche prominente Aktivisten wie Fritz Teufel, Rudi Dutschke, Rainer Langhans, Beate Klarsfeld, Andreas Baader und Gudrun Ensslin.

1970 tauchte er ab und gründete zusammen Baader und Ulrike Meinhof die RAF, geriet aber schon im gleichen Jahr in Gefangenschaft und wurde zu 14 Jahren verurteilt. Eine Befreiungsaktion durch das Kommando 2.Juni 1975 lehnte er ab.

Der Anwalt von Mahler, der spätere Bundesinnenminister Otto Schily, schenkte ihm im Gefängnis eine Gesamtausgabe von Hegel. Daraufhin entwickelte er sich laut eigenen Angaben immer weiter nach rechts.

1980 erreichte es der spätere Bundeskanzler Schröder, das Mahler die restlich Strafe erlassen wurde und Schröder setzte sich auch dafür ein, das er wieder als Anwalt tätig sein konnte.

1997 trat er in der Öffentlichkeit mit extremen Ansichten auf. Die BRD sei ein „besetztes Land“, müsse die „nationale Identität“ wiederfinden und sich aus der „Schuldknechtschaft“ befreien. Er wollte das „Deutsche Reich“ wiederbegründen und er leugnete später auch den Holocaust. Im Jahre 2000 trat er der NPD bei und verteidigte sie vor dem Bundesverfassungsgericht. Er wollte das „4.Reich“ gründen und betrachtete das Grundgesetz als ungültig. 2005 trat er aus der NPD wieder aus, vermutlich aus taktischen Gründen. Später erhielt er wegen Volksverhetzung eine Freiheitsstrafe.

Peter Schütt, geb. 1939


Vielleicht nicht so bekannt, ich kenne ihn von früher. Vormals Mitglied im SDS gehörte er Ende der sechziger Jahre zu den Gründungsmitgliedern der DKP. Er schrieb eine Reihe Bücher und wurde deshalb als „Hofdichter“ der DKP bezeichnet. Seine Reiseberichte über die Ostblockländer waren völlig unkritisch. Schütt galt als Stalinist.

Ende der achtziger Jahre sympathisierte er mit Gorbatschow und wurde aus der DKP ausgeschlossen. In seinen neuen Reiseberichten über die Ostblockstaate wiederrief er alles, was er vorher geschrieben hatte und bezeichnete dies als großen Irrtum. Anfang der neunziger Jahre konvertierte er zum Katholizismus.

Das genügte ihm aber wohl nicht, er trat wieder aus und konvertierte zum schiitischen Islam. Seine Berichte über Persien sind genauso unkritisch wie damals über die UDSSR. Inzwischen hat er sich wohl auch vom Islam wieder etwas getrennt und bezeichnet sich nun als „wertkonservativ.“

Ruth Fischer (geb. Ruth Eisler) 1895-1961


Ruth Fischer war früher eine radikale Kommunistin und von 1924-1925 Vorsitzende der KPD, weltweit als erste Frau einer kommunistischen Massenpartei.

Ihre beiden Brüder waren ebenfalls Zeit ihre Lebens politisch aktiv: Hanns, ein bekannter Komponist, verbringt die Jahre der Nazi-Herrschaft im Exil und komponiert später die Hymne der DDR. Gerhart wird Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Rundfunk der DDR und Mitglied des Zentralkomitees der SED.

Während ihre Brüder später in der DDR hoch angesehen waren, wurde Ruth Fischer zur Unperson erklärt.

Aufgrund ihres radikalen Kurses und eines Zerwürfnisses mit Stalin wurde sie entmachtet und aus der Partei ausgeschlossen, politisch stand sie weiterhin weit links. Es folgte nach 1933 eine Flucht aus Nazi-Deutschland, dann nach Frankreich und anschließend in die USA. Als ihr Lebenspartner Maslow durch stalinistische Geheimdienste 1941 in Havanna ermordet wird, entwickelte sie sich zu einer fanatischen Antikommunistin und galt nach dem Krieg als amerikanisches Sprachrohr im Kalten Krieg. In den USA war sie treibende Kraft gegen ihre Brüder Gerhart und Hanns Eisler sowie gegen Bertolt Brecht, als diese von den Komitees gegen antiamerikanische Umtriebe angeklagt wurden. (Gerhart Eisler wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, aber auf Kaution entlassen.)

Als sie sich dann später immer mehr mit rechtsradikalen Kräften und ehemaligen Nazis einließ, bemerkte sie plötzlich, dass sie jetzt einen falschen Kurs eingeschlagen hatte. Nach Stalins Tod 1953 sieht sie den Kommunismus wieder positiver, hofft auf Reformen in der UDSSR und sympathisiert mit Mao, Tito, Sukarno, Nasser etc. also mit den Führern der „Dritten Welt“

Das Menschen von einem Extrem ins andere fallen, ist offensichtlich gar nicht so selten, auch wenn dies hier jetzt nur eine Auswahl darstellt und nicht alle ehemaligen Kommunisten sind nach rechts abgewandert. (In der Praxis waren das wohl auch nicht so viele). Es ist aber offensichtlich einfach, eine totalitäre Weltanschauung gegen eine andere auszutauschen, denn solche Ideologie besitzen viele Gemeinsamkeiten.

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Beitrag von ArnoldB. Fr März 10, 2017 6:57 pm

Wenn man, wie ich, z. B. das Buch von Götz Aly über die 1968er Bewegung gelesen hat, dann bin ich jedenfalls über solche Wandlungen eigentlich nicht verwundert. Extreme politische Einstellungen scheinen sich vom Prinzip her nur marginal zu unterscheiden und deutliche Ähnlichkeiten aufzuweisen.

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Beitrag von Marek1964 Mo März 13, 2017 11:27 pm

Man kann es ja immer wieder bei Mitmenschen beobachten, wenn sie von einem Extrem ins andere schwanken, auch in nicht politischen Dingen.

Meist aber ist ein Schwank vom jungen wilden zum alten und gesetzten viel häufiger.

So sagte auch Churchill, wer als Junger kein Sozialist ist, hat kein Herz. Wer als Alter immer noch Sozialist ist, hat keinen Verstand.

Ich stimme dem insofern zu, dass wer genug Lebenserfahrung sammelt, weit weniger frei von Illusionen ist, die man als Linker hat.

Allerdings gibt es viele Linke, die Berufe ausüben, in denen vor allem die wirtschaftliche Realität nicht durchschlägt, weil man in staatlichen Stellen Unterschlupf gefunden hat.

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Beitrag von Lux:-? Di März 14, 2017 12:53 am

Es ist schon ein Unterschied darin zu erkennen, woher diese Leute stammen, wie sie sozialisiert wurden, und zu welcher der 3 Gruppen von Menschen, die die Psycho-Sozio-logen in jeder menschlichen Gesellschaft feststellen können, egal ob Steinzeit oder Moderne, sie gehören. Das wären ...
1. die Pioniere oder Macher, ieS kaum mehr als 12%*;
2. die Bürokraten oder mehr oder weniger exakte Ausführer von Anweisungen und Vorschriften, ca 35%;
3. die Enthusiasten oder Schwärmer, leicht für alles Mögliche zu begeistern und dann ggf fanatische Umsetzer dessen, gut 40%.
*  iwS ggf der ganze Rest, falls nicht noch eine Gruppe für Gleichgültige, Intransparente bzw Gelegenheitsmitläufer aufgemacht werden sollte.

Ein Schwärmer wird seine Ansichten ändern, wenn ihn ein neuer charismatischer Anführer überzeugt oder ihm vom alten Böses widerfährt. Einem Bürokraten ist es egal, wer anführt; sein Ehrgeiz besteht darin, gute Arbeit im Sinne der Vorschriften zu leisten. Unter den Pionieren finden wir sowohl Wissenschaftler und Ingenieure mit neuen Ideen, Politiker und andere Macher mit Visionen (sterben wohl langsam aus), Künstler und viele Schriftsteller und Musiker. Leider gehören hierzu oft auch charismatische Anführer ins Verderben.
Die Schwärmerei jugendlicher bürgerlicher Intellektueller des Westens ist oft mit zunehmendem Alter in reinen Gesellschaftspragmatismus umgeschlagen. Im Osten war die Situation oft eine andere. Man wollte keine Schwärmer, sondern versuchte zu überzeugen, wobei stete Wiederholung auch abstumpfend wirken kann, sonst hätte volk im Osten besser wissen müssen, wohin sich auch die westliche Demokratie entwickeln kann. Demokratie an sich besteht aus Regeln und ist eigentlich an keine bestimmte Gesellschaftsordnung gebunden. Letztere kann aber ihre Wirksamkeit und Qualität beeinflussen. Das hat die Menschheit immer wieder erlebt - Rückfall in die Tyrannis, möglicherweise ein (biologisches) Erbe der Urzeit.

Ich gehe davon aus, dass ultralinke Positionen ultrarechten in bestimmten Eigenschaften, Ansichten und Verhaltensweisen (eher Taktik als Strategie) sehr nahe liegen, sozusagen unmittelbare Nachbarpositionen in einem geschlossenen Kreis der politischen Lager. Auch, wenn es sich hierbei eher um eine Spirale handeln sollte, ist doch die Basis von Links und Rechts grundverschieden, scheint der Niveau-Wechsel am Spiralenende nicht allzu schwierig zu sein, wobei es meist nach unten geht, auf das tiefliegende rechte Ende, sozusagen der "politischen Schwerkraft" folgend...

Es gibt aber auch Beispiele, dass gestandene Kommunisten, die unter Stalin verunglimpft wurden und ins Gefängnis geworfen wurden, trotzdem ihrer Überzeugung treu blieben, weil sie die Ursachen ihrer Behandlung offensichtlich im jeweiligen Zeitgeist, der durch Personenkult (der "Hofschranzen und Speichellecker"), aber auch den Kalten Krieg geprägt war, sahen. Denen sollte mehr Aufmerksamkeit gebühren als den wankelmütigen und ungefestigten Schwärmern. Wohin das alles führen kann, haben wir im letzten Jahrhundert gleich 2mal gesehen, 1mal unter rechtem und 1mal linkem Vorzeichen. Da beide von der bürgerlichen Geschichtsschreibung gern nach ihren äußerlichen Gemeinsamkeiten unter dem Begriff Totalitarismus zusammengefasst werden, ist es evtl von allgemeinerem Interesse, hier darauf aufmerksam zu machen, dass es auch so etwas wie einen invertierten Totalitarismus* zu geben scheint, einen der allmählich im Verborgenen und gesichtslos wächst, was den Vorteil hat, dem Volk nichts versprechen zu müssen und so als Deep State agieren zu können.
* Vgl hierzu:
Sheldon Wolin and Inverted Totalitarianism - http://www.commondreams.org/views/2015/11/02/sheldon-wolin-and-inverted-totalitarianism
Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism - https://cryptome.org/2013/01/aaron-swartz/Democracy-Inc.pdf

Übrigens, Churchill hat auch (sinngemäß) gesagt, Demokratie ist, wenn wir die Macht haben. Halt die angelsächsisch-großbürgerliche Variante...

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Beitrag von Marek1964 Do März 23, 2017 11:04 pm

Hallo Lux, schön Dich hier wieder zu sehen.

Ja, die Kommunisten, die an den Kommunismus glaubten, dieses Motiv findet man auch im französischen Film l´aveu wieder, den wir hier auch behandelt haben ( https://geschichte-forum.forumieren.de/t909-der-slansky-prozess-in-der-cssr-die-revolution-frisst-ihre-eigenen-kinder-mit-antisemitismus-als-motor#9578 ). Dort glaubten die Gefangenen bis zuletzt, irgendwann werde sich der Irrtum aufklären. Davon machten die skrupellosen Ankläger Gebrauch.

Das von Wallenstein oben erwähnte Beispiel von Ruth Fischer zeigt mE ein weiteres Motiv für einen radikalen Wechsel - der Schicksalschlag, der Mord an ihrem Gefährten und damit den Hass an das System - halt auch ein Motiv.

Menschen sind verschieden und können halt auch verschieden reagieren. Auch auf Schicksalsschläge.


Zuletzt von Marek1964 am So März 26, 2017 1:18 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet

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Beitrag von Gontscharow So März 26, 2017 1:00 pm

Im Falle von Horst Mahler bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß bei ihm eine Persönlichkeitsstörung die tiefere Ursache seiner mehrfachen Wandlungen sein muß. Ich habe ein Interview von Michel Friedman mit Horst Mahler gesehen ( ist auf youtube in leider schlechter Tonqualität immer noch zu sehen). Mahler begrüßt Friedman in diesem Interview mit "Heil Hitler , Herr Friedman". Das ist für mich einfach nur verrückt.
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