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Die Ideenwelt von Leo Trotzki

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Beitrag von Wallenstein Sa Mai 09, 2015 1:46 pm

Ich habe mich kürzlich noch einmal mit Leo Trotzki beschäftigt, dem großen Gegner von Stalin, der ihn 1940 im mexikanischen Exil ermorden ließ. Seine Ideenwelt ist sehr komplex. Ich werde nur drei von ihnen kurz behandeln.

Die permanente Revolution

Die Marxisten gingen davon aus, das in den zurückgebliebenen Ländern, den Kolonien und Halbkolonien, die Entwicklung ähnlich verlaufen würde wie in Europa. Es würde dort eine bürgerliche Revolution geben mit Überwindung des feudalen Rests, das Land industrialisiert sich und zu einem späteren Zeitpunkt käme es dann zu einer proletarischen Revolution.

Das Problem war nur: Es gab dort kein revolutionäres Bürgertum. In Ländern wie China dominierte das Auslandskapital, es gab nur wenige einheimische Unternehmer und die waren eng verknüpft mit den Großgrundbesitzern. Die Arbeiterklasse war klein, aber hochkonzentriert in den Großbetrieben und den Küstenstädten. Sie stand einem Block aus ausländischen und inländischen Unternehmern und Großgrundbesitzern gegenüber. An eine bürgerliche Revolution war nicht zu denken.

Trotzkis Idee: Arbeiterklasse und Bauern müssen sich verbünden. Angesichts der desolaten Lage in diesen Ländern war eine soziale Revolution sogar eher möglich als in den Metropolen. Doch eine solche Revolution würde nicht in einem bürgerlichen Stadium stehen bleiben, sie würde nicht nur die Grundbesitzer, sondern auch die Kapitalisten wegfegen. Eine solche Revolution ist permanent. Sie geht von einer bürgerlichen sofort in eine sozialistische Revolution über. So etwas passierte in Russland, in China und anderen Ländern.

Dann gibt es aber ein Problem. Die Kommunisten herrschen über ein rückständiges Land, welches gar nicht die Voraussetzungen für den Sozialismus hat. Deshalb sei nach Trotzki der Sieg in einem solchen Land zwar möglich, nicht aber der Sozialismus. Für ihn gab es nur eine Strategie: Die Weltrevolution vorantreiben. Stalin hingegen setzte auf den Aufbau des Sozialismus in einem Land. Er hatte fortan nur geringes Interesse an der Ausbreitung der Revolution, wenn überhaupt, dann ohne Risiko und unter sowjetischer Kontrolle. Stalin besaß einen richtigen Instinkt. Die selbständige Machtübernahme von Kommunisten in Jugoslawien und China sah er als Bedrohung und nicht als Gewinn. Das sollte sich als richtig herausstellen.

Der Stalinismus

Die Entstehung des Stalinismus wirkte auf viele Marxisten irritierend und erklärungsbedürftig. Trotzki glaubte, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Er verglich ihn mit dem Thermidor 1794 in Frankreich. Der leitete eine Entwicklung ein, die später zur Diktatur von Napoleon führte. Der Thermidor und der Bonapartismus sind aber keine Rückkehr zur absoluten Monarchie der Bourbonen, da die soziostrukturellen Grundlagen der Revolution und die Entmachtung der alten Eliten bestehen bleiben, wohl aber wird die Demokratie beseitigt. Es handelt sich hier um eine Konterrevolution in der Revolution.

Damit verglich er Stalin. Die Oktoberrevolution hat die alten Eliten vernichtet, doch unter dem Ansturm der inländischen Gegner, die mit Unterstützung des Auslands die Sowjetrepublik vernichten wollten, hat die Bürokratie, bestehend aus der Partei, Teilen der russischen Intelligenz und Resten des zaristischen Apparats sich zu einer Diktatur entwickelt. Es hätte sich ein Patt gebildet. Die Arbeiterräte wurden entmachtet, sie üben keine Kontrollen mehr aus. Weder die Arbeiter noch die alten Eliten herrschen, dieses Vakuum füllt jetzt die Bürokratie aus.

Sie kann sich halten, da die Sowjetgesellschaft in zahlreiche Gruppen zerfallen ist und die Bürokraten eine Art Schiedsrichterrolle spielen. Mit der Industrialisierung ab 1929 schafft die Bürokratie zwar die Grundlagen für den Sozialismus, aber in völlig verzerrter und widersprüchlicher Form. Um jeden Widerstand zu brechen, entwickelt sie ihre Diktatur immer weiter bis hin zu den gigantischen Verbrechen des Stalinismus. Trotzki hält die Bürokratie aber nicht für eine neue Klasse. Er glaubt, dass es für die Sowjetunion nur zwei Möglichkeiten gibt. Eine neue Revolution der Arbeiter oder die Rückkehr zum Kapitalismus.

Der Faschismus


Das plötzliche Auftreten des Faschismus nach dem ersten Weltkrieg irritierte ebenfalls die Marxisten, denn mit einer reaktionären Massenbewegung hatte niemand gerechnet.

Trotzki glaubt seine Entstehung in Deutschland  wie folgt erklären zu können. Er ist Ausdruck einer schweren Wirtschaftskrise, die alle bisherigen weit übertrifft. Üblicherweise ist der Parlamentarismus die beste Herrschaftsform im Kapitalismus, da sie zu geringsten Kosten einen Ausgleich der Interessen ermöglicht. In der Weltwirtschaftskrise versagen aber die üblichen Instrumente der Pazifizierung. Die Löhne müssen radikal gedenkt werden, die Sozialversicherungssysteme abgebaut, alle sozialen Errungenschaften stark reduziert werden. Es ist kein Platz mehr für Reformen. Doch angesichts der starken Arbeiterbewegung, den Gewerkschaften und der SPD und der KPD ist dies mit reinen Polizeistaatsmethoden nicht möglich, das zeigt das Scheitern von Papen und Brüning.

Das geht nur mit einer anderen Massenbewegung, die Millionen von Menschen mobilisiert und eine Diktatur aufbauen kann, die alle gesellschaftliche Bereiche bis hin zum einfachen Blockwart kontrolliert.

Diese Massenbewegung kann nur aus dem Kleinbürgertum kommen, immerhin 50% der deutschen Bevölkerung. Diese Bewegung entsteht zunächst autonom aus dem „wildgewordenen Teil“ des deklassierten Mittelstandes, ehemalige Offiziere und Frontsoldaten, die paramilitärische Bewegungen aufbauen und die Arbeiterschaft durch ständige Straßenkämpfe zermürben. Diese Bewegung verbindet einen diffusen Antikapitalismus mit Rassismus und entwirft scheinbar gesellschaftliche Perspektiven. Erst sehr spät wird sie von den alten Eliten als politische Kraft entdeckt und eingesetzt. Schließlich ermöglicht man ihnen den Weg zur Macht.

Einmal an der Regierung werden alle antikapitalistischen Forderungen beseitigt. Die Führer der faschistischen Bewegung verbünden sich mit den alten Eliten, bauen aber parallel zum Staatsapparat noch eigene Organisationen auf, um so ihre Anhänger zu belohnen. Trotzki erkennt schon 1933 sehr deutlich, dass Hitler, will er Deutschland wieder zur Weltmacht machen, über kurz oder lang einen neuen  Krieg beginnen wird. Dieser sei auch im Interesse seiner neuen Gönner, den alten Eliten, die ähnliche Vorstellungen hatten.

Viele Entwicklungen hat Trotzki recht gut erkannt, andere Analysen von ihm, die ich hier nicht erwähnte, sind nicht so gelungen. In der Zeit als er das Sagen hatte, erwies er sich aber auch als skrupelloser Machtpolitiker. Das wird auch nicht besser dadurch, dass er seine politischen Fehler im Exil bereute.

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Beitrag von Greyff So Mai 10, 2015 1:07 am

Skrupellose Machtpolitiker werden erst dann wieder erträglich, wenn sie ihre Macht verlieren.
Hätte Trotzki weiter regiert, wäre sein Bild in der Geschichte weitaus negativer ausgefallen,
als es der Fall ist.
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Beitrag von Gontscharow Mo Mai 11, 2015 12:56 am

Dem kann ich mich nur anschießen, Greyff. Die zeitweilige Heroisierung Trotzkis
durch Fraktionen der Linken verdankt dieser den Umstand seiner Gegnerschaft zu Stalin und seiner Ermordung aufgrund dieser Gegnerschaft. Die Verklärung zu einem "besseren Bolschewisten" halte ich für ausgemachten linken Quatsch, da die Gegnerschaft Trotzkis zu Stalin einfach ein Machtkampf war. Natürlich lehnte Trotzki als der Unterlegene Stalins Politik ab .... aber das dabei Abscheu vor Diktatur und Liebe zur Humanität im Vordergrund standen, glaube ich einfach nicht ! Wäre Trotzki roter Diktator geworden, hätte er Stalin übers Messer springen lassen terroristisch wäre auch seine Regierung gewesen, da sich der Bolschewismus nur mit Gewalt an die Macht bringen und diese dann auch nur mit Gewalt beibehalten konnte. Gewalt war für dieses System immanent.
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Beitrag von Atzec Mo Mai 11, 2015 1:23 pm

Marx, Engels und durchaus auch Lenin haben als scharfzüngige Analytiker und Kritiker ihres gegenwartskapitalismus durchaus einen hohen Stellenwert. Als Hellseher und Wahrsager haben sie allerdings unglaublich tief ins Klo hineingelangt... :-)
Die gingen ja alle davon aus, dass die Auflösung des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen praktisch auf der Tagesordnung stünde und folglich der kapitalismus sein Entwicklungspotential komplett ausgereizt hätte.
Knapp hundert Jahre nach der Oktoberrevolution und immerhin ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch des "real existierenden" Sozialismus drängt sich hingegen eher der Eindruck auf, dass entsprechende politische Bemühungen in etwa den Stellenwert haben von frühen Revolten gegen den Feudalabsolutismus (Wiedertäuferrevolte in Münster, Bauernkrieg).
Offenkundig ist der kapitalismus aber noch lange nicht am Ende seiner Entwiclungsfähigkeit angekommen und produziert stattdessen für immer mehr Menschen sozialere und emanzipatorischere Lebensverhältnisse...
In dieser Hinsicht wäre dann eben auch Trotzki lediglich ein voluntaristischer Trottel, der den realen Möglichkeiten unrealistisches Wollen entgegensetzt und dann unweigerlich dazu verdammt ist, bei dessen Verwirklichung über Leichenberge hinwegzuschreiten. Daher denke ich auch, dass der Erfinder des roten Terrors und Schlächter von Kronstadt sich kaum besser gemacht hätte als Stalin...

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