Was ist für Euch die grösste politische Rede? Churchills Blut Schweiss und Tränen oder I had a dream?

[Admin]

Auch mal was zur Lockerung aber eben auch zur Besinnung: Was ist für Euch die bedeutendste politische Rede der Geschichte?

Manche mögen denken, Marc Antons Rede zur Bestattung Julius Cäsars oder Churchills "Blut Schweiss und Tränen"? Oder Robert F. Kennedys "I had a dream"? Oder Kennedys "ick bin ein Berliner? Oder Reagans "Mr. Gorbachov, let us tear this wall down?

[Marek1964]

Zweifellos eine grosse Rede war diejenige von Ernst Reuter 1948:

Hier die Rede, weiter unten an der Seite hat es auch einen Verweis auf eine Audio Datei.
http://www.berlin.de/berlin-im-ueberbli ... de.de.html

Eine Rede rund um den Kampf West-Berlins um Verbleib beim Westen, während der Blockade. Reuter war damals von der SPD nominierter Kandidat für den Posten des Oberbürgermeisters.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Reut ... _in_Berlin

Wikipedia sagt dazu:

Diesen Widerstandswillen machte Reuter anschließend gegenüber General Clay deutlich, der von Reuters Festigkeit und vom Willen der Berliner Bevölkerung, Entbehrungen in Kauf zu nehmen, beeindruckt war.[44] Reuter bat Clay, die amerikanischen Pläne zur Versorgung Berlins aus der Luft in die Tat umzusetzen. Am 28. Juni 1948 gab Präsident Harry S. Truman den amerikanischen Standpunkt bekannt: Berlin werde versorgt, die Amerikaner zögen sich keinesfalls aus Berlin zurück. Die Luftbrücke entwickelte sich zum nachhaltigen Erfolg und führte zu einer Solidarisierung förderte. Ihm gelang es mit seinen Ansprachen zudem, die Westalliierten gelegentlich moralisch so unter Druck zu setzen, dass sie seinen Wünschen entsprachen. Das bekannteste Zeugnis dafür ist die berühmte Rede Reuters am 9. September 1948 vor dem Reichstagsgebäude. Mit ihr appellierte er vor ungefähr 300.000 Menschen an die „Völker der Welt“, auf die Stadt zu schauen und Berlin nicht preiszugeben.[46] Gut zwei Jahre später, am 18. September 1950, erschien Reuter auf dem Titel des Time Magazine,[47] das ihm zugleich die Titelstory widmete.[48]



Hier die Abschlusspassage der Rede:

Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, daß ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt! Es gibt nur eine Möglichkeit für uns alle: gemeinsam so lange zusammenzustehen, bis dieser Kampf gewonnen, bis dieser Kampf endlich durch den Sieg über die Feinde, durch den Sieg über die Macht der Finsternis besiegelt ist.

Das Volk von Berlin hat gesprochen. Wir haben unsere Pflicht getan, und wir werden unsere Pflicht weiter tun. Völker der Welt! Tut auch ihr eure Pflicht und helft uns in der Zeit, die vor uns steht, nicht nur mit dem Dröhnen eurer Flugzeuge, nicht nur mit den Transportmöglichkeiten, die ihr hierherschafft, sondern mit dem standhaften und unzerstörbaren Einstehen für die gemeinsamen Ideale, die allein unsere Zukunft und die auch allein eure Zukunft sichern können. Völker der Welt, schaut auf Berlin! Und Volk von Berlin, sei dessen gewiß, diesen Kampf, den wollen, diesen Kampf, den werden wir gewinnen!"

[Marek1964]

Die Rede von Otto Wels zweifelsohne eine besonders mutige, da man eigentlich schon fast nicht mehr von freien Verhältnissen sprechen konnte nach dem Reichstagsbrand und den Einschüchterung. Hier kann die Rede nachgehört werden und die Reaktion Hitlers darauf: https://www.youtube.com/watch?v=LKkqEOJzad4 (29 min).

Ziemlich schonungslos stellte er klar, das jewede Abstimmung die Realität der gewaltsamen Machtsicherung Hitlers nicht mehr entgegenzusetzen ist. Und so kam es dann auch.

Otto Wels floh ja dann nach Prag, wo er die Exil-SPD (Sopade) aufbaute, nach dem Münchner Diktat floh er nach Paris, wo er 1939 verstarb.

[wfwbinder]

der Robert F. Kennedys "I had a dream"?  

War das nicht Martin Luther King? "I have a dream."

Im Übrigen ist es für mich die von Reuter : "Völker der Welt ....." weil damit der Grundstein der Luftbrücke gelegt wurde, was Auswirkungen auf praktisch die gesamte Welt der nächsten 40 Jahre hatte, denn wären damals die Amerikaner eingeknickt, hätte mit den anderen Westalliierten Berlin aufgegeben, so wäre die Sowjetunion und den folgenden Jahren eindeutig anders verfahren.

[Marek1964]

der Robert F. Kennedys "I had a dream"?  

War das nicht Martin Luther King? "I have a dream."

Richtig, das habe ich etwas verwechselt, aber Robert F. Kennedy hielt eine andere ähnliche Rede:

Some men see things as they are and say why - and I dream things that never were and say why not.

Worte bei 2.36:

https://www.youtube.com/watch?v=OG4vJxi9Kis

Auf Deutsch: einige Menschen sehen die Dinge so wie sie sind und sagen warum - und ich träume von Dingen die nie waren und sage warum nicht.

[wfwbinder]

War ja nicht Dein Fehler, sondern der vom ADMIN. ;-) :-))))))

Ausserdem waren beide für die Bürgerrechtsbewegung wichtig. Ich habe schon oft überlegt, wie es gelaufen wäre, wenn nciht Nixon, sondern Robert F. Kennedy Präsident geworden wäre.

[Gontscharow]

Die zitierten Reden haben eines gemeinsam : Sie sind allesamt sehr pathetisch.
Ich habe ein Problem mit Pathos - kann ihn nur so schwer ertragen, daß ich mich
zwingen muß, weiter zuzuhören oder zu lesen ..... Woran es liegt,daß Pathos mich einfach nicht ereicht bzw. das Gegenteil des Bezweckten bewirkt ( ich wende mich peinlich berührt ab) weiß ich nicht so genau. Wahrscheinlich ist die Antwort auf der Gefühlsebene zu suchen.
Jedenfalls mißfallen mir alle bislang hier genannten Reden (aber nicht wegen des Inhalts).

[Marek1964]

Die zitierten Reden haben eines gemeinsam : Sie sind allesamt sehr pathetisch.
Ich habe ein Problem mit Pathos - kann ihn nur so schwer ertragen, daß ich mich
zwingen muß, weiter zuzuhören oder zu lesen ..... Woran es liegt,daß Pathos mich einfach nicht ereicht bzw. das Gegenteil des Bezweckten bewirkt ( ich wende mich peinlich berührt ab) weiß ich nicht so genau. Wahrscheinlich ist die Antwort auf der Gefühlsebene zu suchen.
Jedenfalls mißfallen mir alle bislang hier genannten Reden (aber nicht wegen des Inhalts).

Diese Reden sind in der Tat pathethisch. Ich selbst habe ein deutlich besseres Verhäaltnis zu Pathos als Gontscharow.

Die Rede von Otto Wels war ein letzter verzweifelter Versuch, das unvermeidbare der nationalsozialistischen Diktatur zu vermeiden. Da er nunmehr einer von ganz wenigen war, hatte es nur noch moralischen, symbolischen Wert. Und dennoch gerade heute unschätzbar.

Die Rede von Ernst Reuter hatte ebenfalls einen grossen Wert – es mobilisierte die Amerikaner, West Berlin zu halten. Auch dieses Signal war wichtig, denn der Entscheid, West Berlin zu halten, sollte sich langfristig als eine schwere Hypothe für die DDR darstellen, der Mauerbau hatte zwar den Exodus gestoppt, doch das Symbol blieb, letztlich war es der Vergleich mit dem Westen, der das sozialistische Experiment nach 70 Jahren Moskau selbst hat aufgeben lassen, aber der Vergleich zwischen der BRD und DDR war immer besonders aussagekräftig und Berlin spielte da eben ein wichtige Rolle-

Ich selbst ja als vierjähriger die Panzer des warschauer Pakts bin ja im Exil aufgewachsen und habe deshalb von klein auf den Befreiuungskampf als etwas mir imponierendes angesehen. Das Pathos aus dem Kampf der Freiheit gegen Unterdrückung ist mir sehr nah. Die Reden oben sind ja meist aus einer schweren Lage heruas geschehen – einzig Robert F. Kennedy mag man hier ausnehmen, war er doch der Sohn einer reichen Familie, aber die Aufhebung der Rassendiskriminierung war auch ein berechtigtes Anliegen. Martin Luther King zahlte schliesslich für sein Engagement mit dem Leben.

[SarahF]

Mich hat Charlie Chaplins Rede in der letzten Sequenz des Films "Der grosse Diktator" beeindruckz - oder besser gesagt so gerührt, dass ich sie bis heute nicht vergessen habe, obwohl es schon ein paar Jahre her ist, dass ich den Film sah.

https://youtu.be/cyore4K7BjY

Dieser Film ist 1940 als US-Propagandafilm entstanden, der Brite Charlie Chaplin hat mit am Drehbuch geschrieben und er sollte helfen,
den Charakter der Nationalsozialismus zu demaskieren und die USA zum Kriegseintritt gegen Nazideutschland bewegen ( wie gesagt, Charlie
Chaplin war Brite und seine Heimat war 1940 von Deutschland an den Rand der Niederlage gebracht worden).
Eine politische Rede Charlie Chaplins war dies auf jeden Fall - politische Reden müssen ja nicht immer von Politikern stammen.

[Marek1964]

Den Begriff "US Propagandafilm" finde ich irreführend, Es war die private Initiative von Charlie Chaplin, er begann mit der Ideenentwicklung auch schon lange vor dem Krieg aufgrund des Films von Leni Riefenstahl "der Triumph des Willens". Die Dreharbeiten begann praktisch mit dem Angriff Hitlers auf Polen im September 1939.


Für mich ist Charlie Chaplin jemand der  Hitler so gut durchschaut hat wie kein anderer, noch vor seinen Untaten, herrlich die Szene mit der Erdkugel. Er war in der gleichen Woche geboren wie Hitler. Auf Arte gab es mal die Dokumentation „der Tramp und der Diktator“, sehr sehenswert.


Chaplin wusste lange nicht, ob er den Film zeigen soll oder nicht, in Grossbritannien lief er in den Tagen der Luftschlacht um England an und wurde ein voller Erfolg.

Er war sicher ein wichtiger Beitrag in der innenpolitischen Szene in den USA um zu zeigen, wer Hitler war. Die Isolationisten waren noch stark, im Kongress keine Mehrheit für einen Krieg.


Hier kann auch einiges nachgelesen werden:


http://en.wikipedia.org/wiki/The_Great_Dictator#Production

[Atzec]

Ich habe ein Problem mit Pathos - kann ihn nur so schwer ertragen, daß ich mich
zwingen muß, weiter zuzuhören oder zu lesen ..... Woran es liegt,daß Pathos mich einfach nicht ereicht bzw. das Gegenteil des Bezweckten bewirkt ( ich wende mich peinlich berührt ab) weiß ich nicht so genau. Wahrscheinlich ist die Antwort auf der Gefühlsebene zu suchen.

Du hast ja wohl auch die Sowjetunion als Migrationshintergrund. Da ist das nur allzu verständlich.. :-)))

Ich würde die Aufgabenstellung relativieren. Einen Superlativ wird man ohnehin nicht finden. Reden beschäftigen sich mit den problemen ihrer Zeit und relativieren sich daher ohnehin selbst in ihrer bedeutung. Zu den genannten würden mir spontan noch die bergpredigt von Jesu einfallen oder "Was ist der 3. Stand?" von Sieyés...

[Marek1964]

Sicher, der Titel ist plakativ gewählt. Dieser Thread soll jetzt auch nicht so super wörtlich genommen werden, aber als Anregung gedacht, aber auch jeder User hier kann so ein bisschen was von sich verraten.

[Gontscharow]

Ich habe Chaplins Film auch gesehen und er hat mir auch sehr gut gefallen. Er ist ein Lehrstück über die Nazis. Propaganda ? Eigentlich im Wortsinne schon, weil er Propaganda für die Sache der Demokratie und Menschlichkeit und gegen die Nazis betreibt. Also "gute Propaganda"
Keine Ahnung wie es in Tschechien ist - vielleicht wie in Rußland, wo man das Wort "Propaganda" nur in negativer Hinsicht gebraucht. In meinem persönlichen Sprachgebrauch sage ich bei der Arbeit beispielsweise aber auch " Jetzt muß ich aber mal Propaganda für den Basar der CARITAS machen, das ist eine gute Sache, weil ...."

@ Atzec : Meine Mutter hat einen Emigrationshintergrund aus der UdSSR, ich selbst nicht, weil ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin. Aber natürlich ist die Mutter die wichtigste Person in den ersten beiden Lebensjahrzehnten und beeinflußt ihr Kind doch schon sehr - bewußt und unbewußt. Kann also sein, daß mich Pathos deswegen abstößt - aber dann auch  gena so wegen meines Vaters, der als Hiterjunge etc. der NS-Propaganda ausgesetzt war und ebenfalls kein Pathos leiden konnte ( beide Eltern mochten es nicht, haben sich sogar drüber lustig gemacht). Mein Lebenspartner stammt ebenfalls aus der Ex-SU, so daß das Thema in unseren Gesprächen oft präsent ist.

[Judas Phatre]

Politische Reden betrachte ich immer mit Misstrauen. Politiker sollen Verwaltung im Interesse des Gemeinwohls betreiben. "Große Reden" sind emotionale Reden. Das ist in meinen Augen etwas für Heerführer und nicht für Politiker. Wenn ich mir das Zitat von E. Reuter anschaue, dann brauche ich nur ein paar Worte auszutauschen und ich habe eine Durchhalterede des späten Nationalsozialismus. Das sind im Grunde Kriegsreden, auch wenn viele in der besten Absicht gehalten wurden, und ich mich mit manchen Zielen identifizieren kann. Glücklich die Zeit, die solche Reden nicht mehr braucht.
Dann ist es ein gutes Zeichen, dass diese Art emotionaler Reden vorüber zu sein scheint. Die Reden werden immer rationaler. Wichtige Reden sind oft geradezu unpolitisch. Ich denke an die vor kurzem gefeierte Ansprache von v. Weizsäcker. Und so ist meine Lieblingsrede eines Politikers eine unpolitische: M.K.Gandhi "On God".

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