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Die Sozialfaschismustheorie der KPD

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Beitrag von Wallenstein Do Jul 02, 2015 10:14 am

Im Jahre 1924 verkündete der Führer der Komintern, Sinowjew, die berühmte Sozialfaschismustheorie, die im gleichen Jahr von Stalin wie folgt begründet wurde:

Der Faschismus ist eine Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die aktive Unterstützung der Sozialdemokraten stützt. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus. Es liegt kein Grund zu der Annahme vor, die Kampforganisationen der Bourgeoisie könnten ohne die aktive Unterstützung durch die Sozialdemokraten entscheidende Erfolge in den Kämpfen oder bei der Verwaltung des Landes erzielen. Diese Organisationen schließen einander nicht aus, sondern ergänzen einander. Das sind nicht Antipoden, sondern Zwillingsbrüder.“
Stalin, Werke, Band VI, S.253 Berlin 1950,

Stalin dachte damals nicht an Hitler, denn dessen NSDAP spielte nach dem gescheiterten Putsch im November 1923 keine Rolle mehr. Aber im turbulenten Krisenjahr 1923 hatte im Sommer ein Generalstreik die Regierung Cuno gestürzt. Die KPD hoffte auf eine neue Revolution, doch die SPD unterstützte die nachfolgende Regierung Stresemann und brach den Streik ab, was für die Kommunisten Verrat war. Mit Billigung der Berliner SPD-Führung liquidierte die Reichswehr die von linken Teilen der SPD mit Hilfe von Kommunisten gebildeten Regierungen in Sachsen und Thüringen und schlug den Hamburger Aufstand unter Führung von Thälmann nieder. Anschließend wurde die KPD verboten und überall herrschten nun Generäle der Armee mit Notverordnungen.

Doch die Lage beruhigte sich bald wieder und auch das KPD-Verbot wurde 1924  aufgehoben. Aber die Argumentation von Stalin macht seine Faschismustheorie deutlich. Jede repressive Maßnahme des bürgerlichen Staates gegen Kommunisten war für ihn gleichbedeutend mit Faschismus. Damit geriet er in eine gefährliche Sackgasse. Die Kommunisten wurden unfähig, die wahre Natur des Faschismus zu begreifen. Jeder, der gegen sie vorging, war Faschist, ohne Unterschied, ohne Differenzierung.

In den nächsten Jahren spielte die Sozialfaschismustheorie zunächst keine Rolle, denn die KPD hoffte auf eine partielle Zusammenarbeit mit der SPD, um politische Ziele zu erreichen und orientierte auf eine Einheitsfront. Doch der sechste Weltkongress der Komintern verkündete 1928 überraschend die „Dritte Periode des Kapitalismus“, die gekennzeichnet wäre durch schwere Wirtschaftskrisen, eines möglichen Kriegs gegen die UDSSR und einer revolutionären Aufschwung Phase des Proletariats.

Einher ging der Machtkampf zwischen Stalin und seinem Politbüro. Die Zwangskollektivierung bedeutete die Liquidierung der Kulaken, eine angeblich neue Phase des Klassenkampfs. Dieser linke Kurs fand sein Pendent in der Außenpolitik. Die Kommunisten sollten im Ausland gegen alle Politiker vorgehen, die man als Feinde der UDSSR ansah, um diese vor einem Angriff zu schützen. Für Stalin war das in Deutschland die SPD, die 1928 die Regierung Müller stellte und später Brüning tolerierte. Deshalb sollte die KPD vor allem die Sozialdemokratie bekämpfen. Als der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel 1929 eine kommunistische Mai-Demonstration zusammen schießen lies und den Rotfrontkämpferbund verbot, schien dieses ein Beweis zu sein für den faschistischen Charakter der SPD. In der Folgezeit versuchte die KPD eine „Einheitsfront“ von unten aufzubauen, SPD-Mitglieder in ihre Organisation abzuwerben, um die SPD-Führung zu isolieren. Gleichzeitig wurden schon Brüning und Papen als angebliche faschistische Regierungen bezeichnet, da sie mit Notverordnungen regierten. Da die SPD diese Regierungen unterstützte, müsse man vor allem die Sozialdemokratie bekämpfen.

Folgende Rede von Thälmann zeigt den verhängnisvollen Kurs der KPD:

SPD und NSDAP sind Zwillinge!
Wie steht es nun mit dem Verhältnis zwischen der Politik der Hitlerpartei und der Sozialdemokratie? Schon das XI. Plenum hat von einer Verflechtung dieser beiden Faktoren im Dienste des Finanzkapitals gesprochen. Am klarsten hat Genosse Stalin schon im Jahre 1924 die Rolle dieser beiden Flügel gekennzeichnet, indem er von ihnen als von „Zwillingen“ sprach, „die einander ergänzen“.
Gegenwärtig zeigt sich diese Entwicklung in Deutschland unverkennbar. Die Sozialdemokratie als „gemäßigter Flügel des Faschismus“ nimmt in letzter Zeit teilweise den nationalistischen Sprachgebrauch des Hitlerfaschismus an. Ich erinnere an jene Nummer des „Vorwärts“, die die große Überschrift brachte „Der Young-Plan muß fallen“, während doch dieses Blatt stets die größte Reklame für den Young-Plan betrieben hat. Ich erinnere an den berüchtigten Noske-Artikel in der „BZ am Mittag“, der gleichfalls genauso gut im „Völkischen Beobachter“ hätte stehen können.
Auch in der Frage der Terrororganisationen ahmt die SPD immer mehr den Hitlerfaschismus nach.“


http://ciml.250x.com/sections/german_section/teddy/teddy_10_juni_1929_sozialdemokratie_12_parteitag_kpd.htm

Diese absurde Gleichsetzung von NSDAP und SPD bahnte den Weg in die Katastrophe und lähmte die Arbeiterbewegung im Kampf gegen Hitler.

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Beitrag von Atzec Do Jul 02, 2015 4:23 pm

Da würde ich jetzt nur das Fazit korrigieren wollen... :-)

Natürlich wurde die Arbeiterbewegung beim Kampf gegen Hitler gelähmt und geschwächt. Aber die fraglos absurde Gleichsetzung von Nazis und SPD bahnte nicht den Weg in die Katastrophe. Soviel Bedeutung würde ich der Sozialfaschismusthese einfach nicht beimessen.

Denn auch ohne theoretisierende Zuckerglasur wäre das Verhältnis der beiden Arbeiterparteien wenig vertrauensvoll geblieben. Der "Bluthund "Noske", die Ermordung Luxemburgs und Liebknechts, der Einsatz von Freikorps gegen die Räteregierungen in Bremen und München und bei der Niederschlagung von Aufstandsversuchen in der "nachrevolutionären Krise" - da gab es genügend praktische Anlässe, um sich nicht wirklich grün zu sein, auch ganz ohne die dekreditierte Sozialfaschismusthese.

Andererseits war eines der erklärten strategischen Ziele der Großindustrie seit der Novemberrevolution eine militante Schwächung der Arbeiterbewegung bis hin zu deren partiellen Füsilierung. Das alleine hat schon die ganz großen Hindernisse auf dem Weg der nazis zur macht beseitigt... :-)

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Beitrag von Marek1964 Do Jul 02, 2015 8:22 pm

Die Kommunistischen Parteien der Zwischenkriegszeit waren willige Erfüllungsgehilfen der Politik Moskaus. So gesehen war die Doktrin des Sozialfaschismus sicher falsch, weil sie eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten verhinderte, die ja auch partiell hätte stattfinden können. Auf der anderen Seite wollten die Kommunisten die Weltrevolution - allein daraus ergab sich ein Gegensatz zu den Sozialdemokraten. Die Logik des "wer nicht für uns ist, ist gegen uns", die totalitäre Parteien immer haben.

Ob eine besser abgestimmte Politik hätte tatsächlich Hitlers Machtergreifung verhindern können, das bezweifle ich. Hitler stütze sich auf einen starken nationalismus und dazu das Wohlwollen des Establishments - Grossindustrie unterstützte ihn, alte Strukturen waren es, die letztlich Hindenburg überzeugten den "böhmischen Gefreiten" als Reichskanzler zu ernennen.

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Beitrag von Judas Phatre Fr Jul 03, 2015 4:19 pm

Marek1964 schrieb:So gesehen war die Doktrin des Sozialfaschismus sicher falsch, weil sie eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten verhinderte, die ja auch partiell hätte stattfinden können.
Ich glaube, dass die SPD auch ohne die Rede Stalins als Partner für die KPD ausgefallen wäre. Sie war entscheidend an der Zerschlagung der Novemberrevolution und an der Hyperinflation beteiligt. Als Vertreter der Arbeiter und Bauern oder der Unterprivilegierten fiel sie weitgehend aus, weil sie notfalls immer für Recht und Ordnung und die Erhaltung des Systems eintrat. Sie hatte sich als revolutionäre Kraft diskreditiert.
Nach dem Hamburger Aufstand zur Einleitung der Weltrevolution und dem folgenden KPD-Verbot wurde die Kluft noch größer. Die Stalinisierung der wieder legalisierten KPD war danach ein ziemlich logischer Prozess, da sie ihren Platz jetzt noch weiter links sah. Die Kommunisten waren damit eine glaubwürdige Vertretung der Besitzlosen, die SPD eine Partei des arbeitenden unteren Mittelstands in Konkurrenz zu mehreren anderen Gruppierungen. Ein Entgegenkommen der Kommunisten hätte sie selbst unglaubwürdig gemacht. Wenn überhaupt, hätte sich die SPD deutlich nach links bewegen müssen.
Ich sehe im übrigen Parallelen zu heute, wo die SPD auch große Profilierungsprobleme hat, seitdem die Linke immer salonfähiger wird und die sozialen Unterschiede in der Gesellschaft weiter zunehmen..
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Beitrag von Wallenstein Mo Jul 06, 2015 10:45 am

Ich habe in den letzten Tagen einige DDR-Geschichtsbücher erhalten, die für den Schulunterricht bestimmt waren. Von der Sozialfaschismustheorie findet sich dort keine Spur. Stattdessen wird behauptet, die KPD hätte Ende der zwanziger Jahre damit begonnen, eine Sammlungsbewegung aller Demokraten gegen den Nationalsozialismus zu organisieren.

Die führenden Köpfe in der KPD waren damals Ernst Thälmann, Heinz Neumann und Hermann Remmele. Neumann und Remmele werden nirgends erwähnt, beide wurden 1937  in Moskau erschossen. Die Frau von Neumann war Margarete Buber-Neumann, die 1937 in Moskau verhaftet wurde und die man an Hitler auslieferte.  Am 21.April 1945 wurde sie aus dem  KZ Ravensbrück entlassen. Sie schrieb das Buch: Als Gefangene bei Stalin und Hitler. Eine Welt im Dunkel. 1989 verstarb sie.

Der Leiter des Militärapparates der KPD während der Weimarer Republik, Hans Kippenberger, der in Deutschland nach 1933 den Widerstand aufbaute, wird ebenfalls nicht erwähnt. Auch er wurde 1937 in Moskau erschossen, ebenso sein Frau Thea 1939.
Hans und Thea Kippenberger wurden allerdings nach Stalins Tod posthum rehabilitiert und tauchen in den Annalen der SED wieder auf, ohne allerdings die Umstände ihres Todes zu erwähnen.

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