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Merkmale des Mittelalters in Deutschland

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Beitrag von Arkesailas Sa Feb 21, 2015 8:33 pm

An anderer Stelle ist gewiss genug schon darüber geschrieben worden. Ich sehe das hier aber als Ort der Selbstverständigung und Diskussion. Wenn wir vom Mittelalter reden, dann ist das europäische Mittelalter gemeint.
Es waren die fast 1000 Jahre ab etwa 600 nach der Zeitrechnung. Es war die Zeit des Feudalismus, wo kleine und größere Herrscher ständig bestrebt waren, ihr Einflussgebiet zu sichern und zu erweitern. Es war die Zeit des Burgenbaus und der Ritter. Vor allem war es die Zeit des Vordringens des Christentums. Seit 1096 begannen die Kreuzzüge, sieben an der Zahl, die über 300 Jahre andauerten. Meist war das Ziel die Einnahme Jerusalems und das Zurückdrängen des Islam. Aber auch machtpolitische Gründe und Besitz fremden Landes lag den Kreuzzügen zu Grunde. Oft waren es Adlige, die sich an Kreuzzügen beteiligten, solche die hier von der Erbfolge ausgeschlossen waren. Der Papst war der Ausrufer zu den Kreuzzügen. In dieser Zeit gab es in Rom Auseinandersetzungen, sodass der Sitz des Papstes 1304 nach Avignon verlegt wurde, wo er bis 1417 verblieb.
Ein mächtiger Papstpalast kündet von dieser Zeit. Avignon wurde zu einem bedeutenden Künstlerischen und intellektuellen Zentrum, viele weitere Bauten entstanden und innerhalb der Stadtmauern herrschte Reichtum.
Eine Ausbreitung der Zisterzienserklöster(91) allein nach Deutschland seit 1123 führte zu einer Festigung der kirchlichen Herrschaftsträger. Natürlich wurden damit auch landwirtschaftliche, Künstlerische und andere Kenntnisse in zum Teil noch slawische Gebiete getragen. Aber die Folge war eben auch die militärische Besetzung dieser Gebiete (Markgrafschaft Meißen).

Das Heilige Römische Reich wird erstmals 1254 als solches erwähnt, der Zusatz Deutscher Nation erst seit dem 15 Jh. Es entwickelte sich aus dem Ostfrankenreich heraus und hatte übernationalen Charakter. Es blieb ein Gebilde aus Kaiser und Reichsständen und war schon bald nicht mehr zur offensiven Kriegsführung und Machterweiterung fähig. Es sollte eher für Ruhe und Stabilität sorgen und hatte eine friedenssichernde Wirkung.
Diese Fürsten- und Herzogtümer erkannten den Kaiser als ideelles Reichsoberhaupt an und waren den Reichsgesetzen, der Reichsgerichtsbarkeit und den Beschlüssen des Reichstages unterworfen, gleichzeitig aber auch durch Königswahl, Wahlkapitulation, Reichstage und andere ständische Vertretungen an der Reichspolitik beteiligt und konnten diese für sich beeinflussen. (Wiki) Und so war im Grunde der Politik der sieben Kurfürstentümer in Deutschland kaum eine Grenze gesetzt. Die Periode zwischen der Absetzung Kaiser Friedrichs II. durch Papst Innozenz IV. im Jahre 1245 und der Wahl Rudolfs I. im Jahre 1273 wird als Interregnum "kaiserlose Zeit" bezeichnet. Man kann sich vorstellen, wie diese Zeit eben von Lokalfürsten zur Befestigung ihrer Macht ausgenutzt wurde.
Im Gegensatz zu anderen Ländern waren die Bewohner in deutschen Landen nicht direkt dem Kaiser untertan, sondern dem Landesherrn des jeweiligen reichsunmittelbaren Territoriums. Im Falle der Reichsstädte war dies der Magistrat der Stadt. In Deutschland herrschten ohnehin die Kurfürsten, nach den Bauernkriegen und der Reformation mehr als zuvor; die Zentralgewalt fehlte oder war schwach. Wie Moritz von Sachsen Kaiser Karl V. benutzte um die Kurwürde zu erhalten und sich später den "Fürstenaufstand" gegen den Kaiser 1552 anführte, ist ein Beispiel der Schwäche der Zentralgewalt zu dieser Zeit.

Schon nicht mehr zum Mittelalter zählend: die Folge dieser Zeit waren der Dreißigjährige Krieg von 1618-1648, der zwischen der Katholischen Liga unter Führung Kaiser Ferdinands II. und der Protestantischen Union ausgetragen wurde. Das Heilige Römische Reich endete 1806 mit den napoleonischen Kriegen und Siegen.

Ökonomisch gesehen war das Mittelalter gekennzeichnet durch die ursprüngliche Akkumulation, das heißt, der Anreicherung von Besitz und Kapital, welche auch und vor allem durch Kriege, Eroberungen, Raubmord und Gewalt gewonnen wurde. Durch Frondienste, Ablasshandel und Gewalt entstand der Reichtum der Herrscher und der katholischen Kirche. Der Bedarf an Gegenständen und Luxusartikeln führte zur Entstehung der Städte und Entwicklung der Handwerkerzünfte sowie der Künste, vor allem auch der Handelswege. Als Zahlungsmittel waren Gold und Silber im Umlauf. Letzteres wurde durch die Entwicklung des Bergbaus im Harz und in Sachsen angehäuft. Der unermessliche Verbrauch des absolutistischen Königtums führte schließlich zuerst in Frankreich zu dessen Sturz 1789.

Eine hervorragende Darstellung der mittelalterlichen Zeit ist zu bewundern im Panoramamuseum "Deutscher Bauernkrieg" in Bad Frankenhausen. Das riesige Gemälde wurde von Werner Tübke geschaffen in 12 Jahren Arbeit.
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Beitrag von Waldi So Feb 22, 2015 7:33 am

Moin Arkesailas,

vielen Dank für diesen klasse Eintrag.

Grüße
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Beitrag von Exmitglied-1 So Feb 22, 2015 9:07 am

Dem schließe ich mich an! Smile

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Beitrag von Gontscharow So Feb 22, 2015 10:00 am

Das HRR wurde 1254 unter diesem Namen erstmals erwähnt - die Idee der Wiedererrichtung
des römischen Imperiums hatte bereits 450 Jahre zuvor Karl der Große ( Kaiserkrönung in Aachen).
Ist es eine besondere Ironie der Geschichte, daß Germanen, die das (west)römische Reich zerstört hatten,
es nun wiedererrichten wollten ?


Zuletzt von Gontscharow am Mo Feb 23, 2015 1:30 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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Merkmale des Mittelalters in Deutschland Empty "Römische Reiche"

Beitrag von Arkesailas So Feb 22, 2015 9:29 pm

Gontscharow schrieb:Das HRR wurde 1254 unter diesem Namen erstmals erwähnt - die Idee der Wiedererrichtung
des römischen Imperiums hatte bereits 450 Jahre zuvor Karl der Große ( Kaiserkrönung in Aachen).
Ist es eine besondere Ironie der Geschichte, daß Germanen, die das (west)römische Reich zerstört hatten,
es nun wiedererrichten wollten ?

"Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce." (Marx, der 18.Brumaire).
Wenn man den Untergang des Weströmischen Reiches als Tragödie ansieht und den Versuch es wiederzuerrichten als "Heiliges Römischen Reich", steckt da sicher etwas ironie der Geschichte dahinter.

Aber man muss konkret werden, da es nicht so einfach ist.
Man kann nicht sagen, gestern (etwa im Jahre 500) haben die Germanen ein Reich zerstört und heute (800) wollen sie das Gleiche wieder und im Jahre 1254 geben sie ihm einen Namen. Eine eigenständige Entwicklung auf mitteleuropäischem Boden steckt da dahinter. Der Name "Rom" wird da nur aus der Macht der Kirche in dieser Zeit abgeleitet.
Ich sehe die Entwicklung so:
Die Befreiung der Bevölkerung von den Bedingungen der römischen Sklavenhalterordnung durch die Germanenstämme der Franken um 500 unter König Chlodwig war erste Voraussetzung, dass sich das Fränkische Großreich unter Karl dem Großen bilden konnte. In der Tat fühlte sich Karl der Große als Nachfolger der weströmischen Herrscher und nahm im Jahre 800 in Rom den Kaisertitel an. Er wollte als oberster Herr vieler Völker und der christlichen Kirche wirken. Bereits nach dessen Tod wurde das Fränkische Großreich in drei Reiche geteilt, von denen eines das Ostfrankenreich war, aus dem das mittelalterliche Reich hervorging. Dieses war gekennzeichnet durch die Schwäche des Königtums und die Autarkiebestrebungen der Feudalherren. Es gelang aber einem Teil der Feudalklasse einen starken König zu wählen. Das war Heinrich I., der 919 gewählt wurde. Für 100 Jahre etwa herrschten die Ottonischen Kaiser.  Unter ihnen strebten die deutschen Feudalherren zur Ostexpansion und machten bis 934 alle westslawischen Stämme abhängig. (Gründung Markgrafschaft Meißen).

Unter Heinrich IV. (Salier) geriet das Reich in eine schwierige Lage, da seine Zentralgewalt am Widerstand der Fürsten an Macht verlor. Erst mit Kaiser Friedrich I. Barbarossa aus der Familie der Staufer gelang eine erneute Stärkung des Reiches.

Eine weitere Welle der Ostexpansion erfolgte 1147 durch die Kreuzzugsbewegung der Feudalherren, die "Slawenkreuzzug" genannt wird. Allen voran der Abt Bernhard von Clairvaux als Prediger. (Schlesien, Pruzzen wurden vereinnahmt, die Slawen wehrten sich erfolgreich Schlacht bei Grunwald 1410), aber am Ende wurden die Fürstentümer Mecklenburg und Brandenburg besetzt).

Ausgerechnet während der kaiserlosen Zeit des Interregnums ab 1254, als es keinem der drei Könige gelang, einen Kaiser zu wählen, vesrtärkte sich der Anspruch, Nachfolger des Römischen Reiches zu sein mit dem Prädikat HEILIG. (Sacrum Romanum Imperium (deutsch Heiliges Römisches Reich)
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Beitrag von ArnoldB. Fr Jul 10, 2015 4:10 pm

Arkesailas schrieb:
Gontscharow schrieb:Das HRR wurde 1254 unter diesem Namen erstmals erwähnt - die Idee der Wiedererrichtung
des römischen Imperiums hatte bereits 450 Jahre zuvor Karl der Große ( Kaiserkrönung in Aachen).
Ist es eine besondere Ironie der Geschichte, daß Germanen, die das (west)römische Reich zerstört hatten,
es nun wiedererrichten wollten ?

"Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce." (Marx, der 18.Brumaire).
Wenn man den Untergang des Weströmischen Reiches als Tragödie ansieht und den Versuch es wiederzuerrichten als "Heiliges Römischen Reich", steckt da sicher etwas ironie der Geschichte dahinter.

Aber man muss konkret werden, da es nicht so einfach ist.
Man kann nicht sagen, gestern (etwa im Jahre 500) haben die Germanen ein Reich zerstört

Das ist wahr, so kann man es nicht sagen. Denn die Germanen haben das Römische Reich nicht "zerstört", sondern sind in die Reichsstrukturen hineingewachsen. Die Franken in den rheinischen Gebieten fühlten sich als römische Statthalter. Ein Chlodwig z. B. erkannte den (ost-)römischen Kaiser als Reichsoberhaupt an, er erhielt vom Kaiser die Ehrungen eines Konsuls und Patricius. Archäologische Funde aus dem Rheinland belegen die enge Verbindung germanischer Eliten zum (ost-)römischen Reich.

Arkesailas schrieb:und heute (800) wollen sie das Gleiche wieder und im Jahre 1254 geben sie ihm einen Namen. Eine eigenständige Entwicklung auf mitteleuropäischem Boden steckt da dahinter. Der Name "Rom" wird da nur aus der Macht der Kirche in dieser Zeit abgeleitet.

Das Bewusstsein, Teil des römischen Reiches zu sein, und die politische Ausrichtung auf den in Byzanz verbliebenen Kaiser blieben während der Jahrhunderte nach der Abschaffung des Doppelkaisertums im Westreich erhalten. Eine wichtige Rolle dabei spielte auch das Papsttum, das sich von Byzanz emanzipieren wollte und einen Ausweg darin sah, sich die mächtigste Militärmacht des Westens, die Franken, zu verpflichten. Mit der Fälschung des sog. "Constitutum Constantini" um 800 machte sich der Papst zum Nachfolger Kaiser Constantins im Westen und usurpierte die Befugnis des verbliebenen (ost-)römischen Kaisers, einen Kaiser im Westen einzusetzen. Stattdessen übertrug nun der Papst das weströmische Kaisertum auf die Franken bzw. ihren König Karl.

Arkesailas schrieb:Ich sehe die Entwicklung so:
Die Befreiung der Bevölkerung von den Bedingungen der römischen Sklavenhalterordnung durch die Germanenstämme der Franken um 500 unter König Chlodwig war erste Voraussetzung, dass sich das Fränkische Großreich unter Karl dem Großen bilden konnte.


Nein, denn die Germanen waren und blieben immer Sklavenhalter! Sie kamen nicht als Befreier der Sklaven. Die sich im Mittelalter bildende Leibeigenschaft hat ihre Wurzeln in der Sklaverei. Was den Franken bzw. ihren Königen ihren Aufstieg ermöglicht hat, waren neben taktischem Geschick und großer Rücksichtslosigkeit das Bekenntnis zum katholischen Christentum. Die romanische Bevölkerung im weströmischen Gebiet akzeptierte einen katholischen Herren leichter als einen glaubensfremden oder ketzerischen (die meisten Germanen waren Arianer). Wesentlich für den Aufbau des Frankenreiches aber wurde, dass es sich auf die römisch-kirchlichen Verwaltungsstrukturen stützen konnte.

Arkesailas schrieb:In der Tat fühlte sich Karl der Große als Nachfolger der weströmischen Herrscher und nahm im Jahre 800 in Rom den Kaisertitel an. Er wollte als oberster Herr vieler Völker und der christlichen Kirche wirken.


Es ist sehr fraglich, ob Karl den Kaisertitel zielgerichtet angestrebt oder ob sich ihm durch die päpstliche Politik einfach eine Chance auf Statuserhöhung und damit Gleichrangigkeit mit dem byzantinischen Kaiser eröffnet hat, die er ergriffen hat, als sie sich ihm bot.

Arkesailas schrieb:Bereits nach dessen Tod wurde das Fränkische Großreich in drei Reiche geteilt, von denen eines das Ostfrankenreich war, aus dem das mittelalterliche Reich hervorging.


Die Reichsteilungen der Karolinger entsprachen germanisch-fränkischem Recht.

Arkesailas schrieb:Dieses war gekennzeichnet durch die Schwäche des Königtums und die Autarkiebestrebungen der Feudalherren.


Das ist viel zu oberflächlich beschrieben. Besonders die westfränkischen, später französischen Monarchen verloren den Einfluss auf die "Feudalherren" und waren im hohen Mittelalter schließlich auf einen kleinen Herrschaftsbereich beschränkt. Erst nach und nach unterwarfen sie diese Feudalherren und errichteten ein eher zentralistisches Regierungssystem. Dagegen besaßen die "deutschen" Könige bis ins späte Mittelalter, ja bis ins 17. Jh. hinein vergleichsweise große Macht - die Habsburger in der frühen Neuzeit besonders durch ihre Eroberungen in der "Neuen Welt" und eine rücksichtslose Politik unter Ferdinand II.

Arkesailas schrieb:(...)
Ausgerechnet während der kaiserlosen Zeit des Interregnums ab 1254, als es keinem der drei Könige gelang, einen Kaiser zu wählen, vesrtärkte sich der Anspruch, Nachfolger des Römischen Reiches zu sein mit dem Prädikat HEILIG. (Sacrum Romanum Imperium (deutsch Heiliges Römisches Reich)

Das ist leider falsch. Der Titel "Sacrum Imperium" wurde erstmals unter Friedrich Barbarossa verwandt, um die Gleichrangigkeit des Kaisers mit dem Papst zu betonen und eine Unterordnung unter das Pasttum abzuweisen. Auch wenn der Zusatz "Romanum" in Urkunden nicht nachgewiesen ist, so hat das nichts zu bedeuten. Im Widmungsbrief Barbarossas, der am Beginn der Gesta Friderici Otto von Freisings steht, stellt sich der Kaiser in eine direkte Kontinuitätslinie zum römisch-christlichen Kaisertum! Otto selbst bezeugt dieses Bewusstsein auch für Barbarossas Vorgänger.

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Beitrag von Judas Phatre Fr Jul 10, 2015 9:39 pm

Judas Phatre schrieb:
Arkesailas schrieb:Vor allem war es die Zeit des Vordringens des Christentums.
Das kann man nicht so pauschal sagen. Das Mittelalter begann mit einer massiven Zurückdrängung des Christentums durch die muslimische Expansion, der ein Großteil des byzantinischen Reichs zum Opfer fiel. Dies wurde durch die Expansion der Seldschuken und Osmanen fortgesetzt. Das MA ist eher die Zeit des Islam. Nordafrika und der Nahe Osten gehören räumlich und zeitlich unbedingt in diese Bezeichnung. Die Eroberung von Konstantinopel markiert dann ja auch das Ende des MA. Dagegen sehen die ephemeren und partiellen Eroberungen der Levante recht unbedeutend aus. Auch die Reconquista ist mehr eine Korrektur als eine Expansion. Slawen, und Nordostgermanen gehen in Ordnung. Die wahre Ausdehnung des Christentums fand aber in der Spätantike und der Neuzeit statt.
Arkesailas schrieb:
Im Gegensatz zu anderen Ländern waren die Bewohner in deutschen Landen nicht direkt dem Kaiser untertan, sondern dem Landesherrn des jeweiligen reichsunmittelbaren Territoriums.
Vielleicht verstehe ich etwas falsch? "Reichsunmittelbar" heißt doch "direkt dem Kaiser unterstellt", d.h. ohne Fürsten dazwischen. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass der jeweilige Kaiser auch einer der mächtigsten Fürsten war.
Arkesailas schrieb:
Wie Moritz von Sachsen Kaiser Karl V. benutzte um die Kurwürde zu erhalten und sich später den "Fürstenaufstand" gegen den Kaiser 1552 anführte, ist ein Beispiel der Schwäche der Zentralgewalt zu dieser Zeit.
Karl V gehört nicht mehr ins MA und ist, wie ArnoldBentheim schon sagte, eine sehr aktive Kaisergestalt dank enormer finanzieller Mittel. Er hat nur nicht viel bewegt trotz großen Aufwands.
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Beitrag von Exmitglied-2 Sa Jul 18, 2015 12:06 pm

Arkesailas schrieb:

Schon nicht mehr zum Mittelalter zählend: die Folge dieser Zeit waren der Dreißigjährige Krieg von 1618-1648, der zwischen der Katholischen Liga unter Führung Kaiser Ferdinands II. und der Protestantischen Union ausgetragen wurde. Das Heilige Römische Reich endete 1806 mit den napoleonischen Kriegen und Siegen.

[...]

Eine hervorragende Darstellung der mittelalterlichen Zeit ist zu bewundern im Panoramamuseum "Deutscher Bauernkrieg" in Bad Frankenhausen. Das riesige Gemälde wurde von Werner Tübke geschaffen in 12 Jahren Arbeit.

Mir fehlt ehrlich gesagt der zeitliche Aspekt des Mittelalters bzw. dessen Ende und die Abgrenzung zur Frühen Neuzeit, was du, deinem Beitrag nach zu urteilen, später anzusetzen scheinst als ich. Leider gehst du darauf gar nicht ein, das wäre eine Conclusio zu den von dir hergeleiteten Merkmalen. Auch kommen mir die innerlichen (Gesellschaft) gegenüber den äußerlichen (Herrschaft) Merkmale in deiner Argumentation zu kurz, weshalb der Dreißigjährige Krieg, der dann auf einmal nicht mehr zum dazu gehört, ins Auge fällt. Sicherlich ändert sich nicht zuviel an den Lebensumständen, der einfachen Bevölkerung, wohl aber zunehmend in der Geisteshaltung.

Seit dem Humanismus, dem Aufkommen von Gelehrten und Universitäten, der zunehmenden Verschriftlichung auch im Privaten, kurzum: mit Bildung gibt es grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft. Allgemeiner Konsens ist, dass das Mittelalter im bzw. nach dem Humanismus endet. Manche Wissenschaftler setzen die Frühe Neuzeit mit der Entdeckung Amerikas an (neue Handelswege, neue Eroberungen, neue Güter), andere mit dem Buchdruck (schnelle Verbreitung von Wissen in prinzipiell alle Gesellschaftsschichten), andere mit der Reformation und andere mit dem ungefähren Beginn des Humanismus selbst, weil dieser am Anfang dieser geänderten Geisteshaltung steht. Die Welt ändert sich, ein Zeugnis dessen ist der Deutsche Bauernkrieg ebenso wie die Reformation, die Hussitenbewegung oder der Versuch einer einheitlicheren Rechtssprechung mit der Carolina.

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Beitrag von ArnoldB. Sa Jul 18, 2015 11:21 pm

Naqia schrieb:(...)

Seit dem Humanismus, dem Aufkommen von Gelehrten und Universitäten, der zunehmenden Verschriftlichung auch im Privaten, kurzum: mit Bildung gibt es grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft. Allgemeiner Konsens ist, dass das Mittelalter im bzw. nach dem Humanismus endet. Manche Wissenschaftler setzen die Frühe Neuzeit mit der Entdeckung Amerikas an (neue Handelswege, neue Eroberungen, neue Güter), andere mit dem Buchdruck (schnelle Verbreitung von Wissen in prinzipiell alle Gesellschaftsschichten), andere mit der Reformation und andere mit dem ungefähren Beginn des Humanismus selbst, weil dieser am Anfang dieser geänderten Geisteshaltung steht. Die Welt ändert sich, ein Zeugnis dessen ist der Deutsche Bauernkrieg ebenso wie die Reformation, die Hussitenbewegung oder der Versuch einer einheitlicheren Rechtssprechung mit der Carolina.


Schon die Kirche, also Klöster und Bischofssitze waren immer Stätten auch der Bildung. Die ersten Universitäten wurden im Hochmittelalter gegründet. Der im Mittelalter aufblühende Handel, die Ausdifferenzierung und zünftische Organisation der Handwerksberufe, die zahllosen Städtegründungen und ihre Ansätze demokratischer Verfasstheit sind ohne Bildung nicht denkbar und deutliche Zeichen gesellschaftlicher Veränderungen.

Eine ganz berühmte gesellschaftliche Veränderung, die noch heute im Bewusstsein der Menschen weiterlebt, war der Aufstieg einer Gruppe unfreier Menschen in den Adelsstand: der Ministerialen, die zunächst und unter kirchlichem Einfluss mit dem hohen Adel zum Ritterstand verschmolzen, bevor sich der hohe Adel vom "einfachen Ritter" wieder separierte und als eigener Stand abschloss.

Wann endete das Mittelalter, wann begann die Frühe Neuzeit?

Drei Beispiele:
-  Die Reformation war das Ergebnis mittelalterlicher Entwicklungen. Neu war die Aufspaltung der zuvor einheitlichen christlich-katholischen Welt in verschiedene Bekenntnisse. Die politische Macht, die Religionen und ihre Institutionen ausübten, war im Mittelalter nicht geringer als in der Frühen Neuzeit. Erst die z. T. schon im späten Mittelalter einsetzende, dann bes. seit dem 17. Jahrundert wirksame Aufklärung führte zu wirklichen geistigen und praktischen Veränderungen.

-  Im Mittelalter wurde die staatliche Form ausgebildet, die dann als sog. frühmoderner Staat (Fürst und Landstände) unter Modifikationen bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches die Frühneuzeit politisch beherrschte.

-  Das mittelalterliche sog. "Feudalsystem" blieb flächendeckend bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches erhalten, ja z. T. sogar bis weit ins 19. Jahrhundert.

Es ist sehr schwer, präzise Grenzen zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit zu ziehen. Die Veränderungsprozesse, die im Hochmittelalter einsetzten, zogen sich mal schneller, mal langsamer z. T. über Jahrhunderte hin.

MfG
Arnold

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Beitrag von Judas Phatre So Jul 19, 2015 12:42 pm

ArnoldBentheim schrieb:
Schon die Kirche, also Klöster und Bischofssitze waren immer Stätten auch der Bildung.
Das halte ich für einen sehr wichtigen Punkt. Das Klosterwesen hat etwas Zwiespältiges: Auf der einen Seite repräsentiert es strenge Hierarchie und Regeln, die eine scheinbar vollständige Unterwerfung des Individuums gefordert haben. Auf der anderen Seite hat gerade diese Enge die Menschen befreit. Es gab keinen Hunger, keine Obdachlosigkeit, die Klöster wurden (wenn auch längst nicht immer) von Kriegshandlungen verschont. Es gab keine Frondienste für habgiereige oder streitsüchtige Fürsten.
Zusammengefasst war es in Vielem die Nachfolge des Jesus von Nazareth: Das Körperliche sollte zugunsten des Geistigen überwunden werden. Hier treffen sich Taoismus, Hinduismus, Buddhismus, Zoroastrismus und Stoa. Das Ergebnis ist die Ruhe, um die Welt mit anderen Augen zu sehen, hinter die Kulissen zu blicken. "Sucht und ihr werdet finden". Das wiederum muss bei einer dogmatischen Religion wie dem Christentum zu Häresien führen. Nicht von ungefähr war Luther ein Mönch. Aber schon Franz von Assisi gründete eine Armutsbewegung, die nur mit geschicktem Taktieren dem Vorwurf der Ketzerei entging.
Ein zweiter Aspekt ist die Bewahrung antiken Wissens über das Dogma der Kirche hinaus und teilweise sogar ihm entgegengesetzt. Nur ein Teil wurde über Spanien aus dem arabischen Raum reimportiert, vieles ist in den Klöstern bewahrt worden. Der Unterschied zur Renaissance war, dass diese Mönche nur die eigene Erkenntnis anstrebten, die Verarbeitung mit der Erschaffung von Neuem blieb der Neuzeit überlassen. Das Mittelalter hat vor allem konserviert.
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Beitrag von Exmitglied-2 Mo Jul 20, 2015 4:44 pm

ArnoldBentheim schrieb:
Schon die Kirche, also Klöster und Bischofssitze waren immer Stätten auch der Bildung. Die ersten Universitäten wurden im Hochmittelalter gegründet. Der im Mittelalter aufblühende Handel, die Ausdifferenzierung und zünftische Organisation der Handwerksberufe, die zahllosen Städtegründungen und ihre Ansätze demokratischer Verfasstheit sind ohne Bildung nicht denkbar und deutliche Zeichen gesellschaftlicher Veränderungen.

Eine ganz berühmte gesellschaftliche Veränderung, die noch heute im Bewusstsein der Menschen weiterlebt, war der Aufstieg einer Gruppe unfreier Menschen in den Adelsstand: der Ministerialen, die zunächst und unter kirchlichem Einfluss mit dem hohen Adel zum Ritterstand verschmolzen, bevor sich der hohe Adel vom "einfachen Ritter" wieder separierte und als eigener Stand abschloss.

Wann endete das Mittelalter, wann begann die Frühe Neuzeit?

Drei Beispiele:
-  Die Reformation war das Ergebnis mittelalterlicher Entwicklungen. Neu war die Aufspaltung der zuvor einheitlichen christlich-katholischen Welt in verschiedene Bekenntnisse. Die politische Macht, die Religionen und ihre Institutionen ausübten, war im Mittelalter nicht geringer als in der Frühen Neuzeit. Erst die z. T. schon im späten Mittelalter einsetzende, dann bes. seit dem 17. Jahrundert wirksame Aufklärung führte zu wirklichen geistigen und praktischen Veränderungen.

-  Im Mittelalter wurde die staatliche Form ausgebildet, die dann als sog. frühmoderner Staat (Fürst und Landstände) unter Modifikationen bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches die Frühneuzeit politisch beherrschte.

-  Das mittelalterliche sog. "Feudalsystem" blieb flächendeckend bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches erhalten, ja z. T. sogar bis weit ins 19. Jahrhundert.

Es ist sehr schwer, präzise Grenzen zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit zu ziehen. Die Veränderungsprozesse, die im Hochmittelalter einsetzten, zogen sich mal schneller, mal langsamer z. T. über Jahrhunderte hin.

Ich habe weder behauptet, es sei ein plötzlich einsetzendes Ereignis noch Grenzen ziehen zu können. Sicherlich ist die Kirche Bildungsträger gewesen, aber das "Bildungsmonopol" der kirchlichen Zentren nimmt zu Gunsten weltlicher Institutionen ab. Das eine das andere bedingt bzw. damit korreliert habe ich als gegeben vorausgesetzt. Mein Beitrag war vielmehr als Anregung gedacht, den ersten Beitrag vielleicht daraufhin auszubauen bzw. auf die Problematik selbst hinzuweisen, nicht mehr und nicht weniger.

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Beitrag von Judas Phatre Mi Jul 22, 2015 7:50 am

Neben der Konservierung antiken Wissens ist auch die Verlangsamung der geistigen und technischen Entwicklung bezeichnend. Sie ist aber schon in der Spätantike festzustellen und läuft erstaunlich parallel zum Christentum. Damit möchte ich nicht sagen, dass das Christentum dafür verantwortlich ist, sondern, dass beiden eine ähnliche Geisteshaltung zugrundeliegt: Der Mensch ist nicht in der Lage, die Welt zu verstehen, das letzte Wissen liegt bei Gott. So wurde das Wissen dogmatisiert, was in gewisser Weise auch seiner Konservierung zugute kam. Allerdings wurden "Irrlehren" dabei ausgelöscht. Auch das Herrschaftssystem der Spätantike mit betont hierarchischen Systemen wurde als gottgewollt eingefroren.
Das Mittelalter in Europa hat etwas vom Puppenstadium eines Schmetterlings: Das urbane Leben der Antike ist untergegangen, die Städte sind auf winzige Ausmaße geschrumpft, das Leben ist bäuerlich geworden. Ganz langsam kehrt die Stadt aber zurück. "Stadtluft macht frei" wird die Devise und das Handwerk beginnt sich zu entwickeln, besonders in der Warmzeit des 11. bis 13. Jh. Die Pest des 14. Jh. setzt dem kein Ende, zeigt nur die Unterlegenheit der mittelalterlichen Städte im Vergleich zu den römischen Vorgängern. Aus dieser urbanen Schicht mit den langsam wieder reicher werdenden Kaufleuten entsteht ein Kulturträger, der am Ende dieser Zeit seine Farben zeigt und seine Rechte fordert. So sind es neben den militärischem Ereignissen, Eroberung Konstantinopels und Bauernkriege, Handel und wissenschaftliche Ereignisse, die das Ende des Mittelalters kennzeichnen: Buchdruck, Reformation, Entdeckung Amerikas und der Seewege in den Osten, am Osmanischen Reich vorbei. Der Begriff "Renaissance" passt hervorragend zu dieser Zeit, in der die antike Neugier sich aus der engen Hülle des Dogmas befreit und seine Flügel entfaltet.

Beim Stichwort "Stillstand" habe ich über die technischen Erfindungen des Mittelalters nachgedacht: Mir fielen Architektur (Gothik), Brille, Windmühlen, Trébuchet und Kettenhemd ein.
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Beitrag von Romolus Do Apr 18, 2019 2:58 pm

Wow! Wahnsinnsbeitrag. Vielen Dank

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