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Warum ging das römische Reich unter?

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Beitrag von WDPG Mi Mai 13, 2015 1:54 pm

ArnoldBentheim schrieb:Es steht außer Zweifel, dass die Aufteilung des Reiches unter verschiedene Herrscher einer Verselbständigung und erhöhten Eigennützigkeit der Reichsteile Vorschub geleistet hat. So war es im 5. Jh. seitens des oströmischen Reiches zu einer Reduzierung bzw. Verweigerung umfassender Militärhilfen für das Westreich gekommen. Zu was das oströmische Reich fähig gewesen wäre, haben die Rückeroberungskriege Justinians I. gezeigt.

Da muss ich etwas wiedersprechen. Der Osten hatte selbst mit Problemen zu kämpfen, dennoch griff er immer wieder auf Seiten des Westens ein. Als Hunnenkönig Attila gegen Italien zog, griff der Osten sein Kernland an. Als die Wandalen Nordafrika erobert haben, versuchte der Osten zumindest für kurze Zeit den Westen zu Unterstützen. Valentinian III kam mit Hilfe des Ostens auf den Thron.

Später als Kaiser Anthemius versuchte Nordafrika zurück zu erobern, konnte er auf massive Unterstützung durch Ostkaiser Leo I zählen. Diese war so massiv das der Misserfolg das Ostreich auf Jahre finanziell schwächte.

Bei Justinian I sollte man zwei Dinge bedenken: Erstens: Ostrom hatte von 395 bis zu Kaiser Zeno selbst oft massive Probleme. Justinian I hatte den Vorteil das er ein Reich regierte das schon wieder weit stabiler war als jenes im 5. Jahrhundert. Und schlussendlich waren seine Erfolge alles andere als dauerhaft.

Also: Der Osten half dem Westen schon. Sicher nicht ausreichend genug, aber mehr konnte man zu diesem Zeitpunkt nicht leisten.




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Beitrag von ArnoldB. Do Mai 14, 2015 7:11 pm

WDPG schrieb:
ArnoldBentheim schrieb:Es steht außer Zweifel, dass die Aufteilung des Reiches unter verschiedene Herrscher einer Verselbständigung und erhöhten Eigennützigkeit der Reichsteile Vorschub geleistet hat. So war es im 5. Jh. seitens des oströmischen Reiches zu einer Reduzierung bzw. Verweigerung umfassender Militärhilfen für das Westreich gekommen. Zu was das oströmische Reich fähig gewesen wäre, haben die Rückeroberungskriege Justinians I. gezeigt.

Da muss ich etwas wiedersprechen. Der Osten hatte selbst mit Problemen zu kämpfen, dennoch griff er immer wieder auf Seiten des Westens ein. Als Hunnenkönig Attila gegen Italien zog, griff der Osten sein Kernland an. Als die Wandalen Nordafrika erobert haben, versuchte der Osten zumindest für kurze Zeit den Westen zu Unterstützen. Valentinian III kam mit Hilfe des Ostens auf den Thron.

Später als Kaiser Anthemius versuchte Nordafrika zurück zu erobern, konnte er auf massive Unterstützung durch Ostkaiser Leo I zählen. Diese war so massiv das der Misserfolg das Ostreich auf Jahre finanziell schwächte.

Bei Justinian I sollte man zwei Dinge bedenken: Erstens: Ostrom hatte von 395 bis zu Kaiser Zeno selbst oft massive Probleme. Justinian I hatte den Vorteil das er ein Reich regierte das schon wieder weit stabiler war als jenes im 5. Jahrhundert. Und schlussendlich waren seine Erfolge alles andere als dauerhaft.

Also: Der Osten half dem Westen schon. Sicher nicht ausreichend genug, aber mehr konnte man zu diesem Zeitpunkt nicht leisten.

Ich kann dir leider nicht zustimmen. Meines Wissens ist in der Forschung schon lange bekannt und nicht revidiert, dass das Ostreich mit diplomatischen Mitteln die an seine Grenzen drängenden Völker gerne nach Westen weiterleiteten und dem Westreich nicht die finanzielle und militärische Hilfe leistete, die es wirklich gekonnt hätte. Wie geschrieben, das Ostreich unter Justinian hat gezeigt, zu was es in der Lage war.

Ich zitiere mal aus einem schon älteren Geschichtswerk:

Völkerwanderung im klassischen Sinn als Angriff der Germanen und Hunnen auf das Imperium ist nur ein begrenzter Ereigniszusammenhang aus einer Gesamtbewegung, die den ganzen Balkan und Orient erfaßte und auch von anderen Seiten gegen die Grenzen des Imperiums brandete. Nicht allein die Sassaniden erwiesen sich als weiterer gefährlicher außenpolitischer Gegner. Im 5. Jahrhundert begann auch schon der Angriff der arabischen und nordafrikanischen Nomaden gegen den Limes in der syrischen Steppe und die Verteidigungslinie in Afrika, das fossatum Africae. Nur blieben im Moment des Hauptansturmes der Germanen die anderen Grenzen verhältnismäßig ruhig, vor allem die Ostflanke, da die Sassaniden durch die Hunnen an der Nordgrenze Persiens gebunden waren.

Quelle:  Franz Georg Maier: Die Verwandlung der Mittelmeerwelt. In: Fischer Weltgeschichte. Bd. 9. 13. Aufl. Frankfurt a. M. 1999, S. 123-124

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Beitrag von Judas Phatre Do Mai 14, 2015 10:10 pm

Ich glaube, ich habe die Vergleiche von Rom und Europa ins Spiel gebracht.
ArnoldBentheim schrieb:
- Europa zeigt allein durch seine schiere Größe und Bevölkerungsstärke Ansätze einer Imperiumsbildung politischen und wirtschaftlichen Charakters, die aber nicht auf Gewalt gegründet ist, sondern auf Freiwilligkeit der Völker - selbst ein Austritt aus der EU wäre möglich. Das Römische Reich war in erster Linie das Ergebnis militärischer Stärke.
Die Ursachen zur Gründung stehen bei mir nicht im Vordergrund, trotzdem gibt es mehr Parallelen: Auch die EU ist Folge einer Serie von Kriegen. Die demokratischen Länder haben gesiegt. So wie in Rom zur augustäischen Zeit am Ende der verheerenden Bürgerkriege gab es eine Stimmung, die sich nach dauerhaftem Frieden sehnte. Natürlich ist das Prinzipat keine Demokratie, aber pro forma setzte sie die teildemokratische Verfassung fort. Außerdem ist Europa auch keine richtige Demokratie.Militärische und wirtschaftliche Stärke gehen Hand in Hand und so gibt es auch hier Berührungspunkte zwischen Rom und der EU.
ArnoldBentheim schrieb:
- Die Ansätze übergeordneter, zentraler Regierung der EU beruhen nicht auf dem monarchischen Prinzip wie in Rom, sondern auf der freiheitlichen Demokratie mit einer zunehmenden Beteiligung des Volkes, das im Römischen Reich keine Rolle mehr spielte. Die Mitglieder der EU werden, wie auch immer die weitere Entwicklung sich gestalten wird, eine gewisse Selbständigkeit behalten, eine regionale kulturelle Vielfalt wird sich erhalten – wie das Römische Reich ist eben auch die EU ein Vielvölkerstaat.
Das Friedenssystem der frühen Kaiserzeit legte großen Wert auf die Mitarbeit der Bevölkerung. Nur so ist die Tendenz zur Verleihung des Bürgerrechts an Nichtrömer zu erklären. Die Erkenntnis, dass sich ab dem 2. Jh. immer weniger Menschen mit Rom identifizierten, ist ein interessantes Phänomen, dass m.E. direkt mit dem Untergang dieses Staates zusammenhängt. Das Christentum spielt dabei eine wichtige Rolle: Entweder als Faktor oder als Indikator. Genauso wie das Römische Reich fördert auch die EU eine gemeinsame Kultur ohne sie mit Gewalt zu verbreiten.
ArnoldBentheim schrieb:
- Das römische Reich verschaffte seiner Rechtskultur überall Geltung, erkannte aber auch die verschiedenen örtlichen Rechtskulturen an. Eine einheitliche Rechtskultur wird auch durch die EU angestrebt, die ebenfalls landestypisches Recht respektiert.  
Dazu muss ergänzt werden, dass die Rechtssysteme aller Mitgliedsstaaten der EU auf dem römischen Recht beruht. Noch wichtiger ist dabei die Übernahme des Prinzips der Rechtstaatlichkeit.
ArnoldBentheim schrieb:
- Eine gemeinsame Leitkultur, orientiert an Freiheiten und Menschenrechten, ist in der EU vorhanden, die allerdings und zum Glück nicht nur auf eine kleine Elite beschränkt ist wie das Konzept der "humanitas" im Römischen Reich.
Natürlich ist die Erschaffung der gemeinsamen Leitkultur beschränkt auf die Kulturträger. Vielleicht sind das heute prozentual mehr Menschen, aber sie bleiben eine Minderheit.
ArnoldBentheim schrieb:
Wurde die Kirche im spätantiken Reich zu einer politischen und gesellschaftlichen Größe, so hat sie bei den EU-Völkern eine deutlich nachlassende Bedeutung - ganz anders als außerhalb Europas; auch von den römisch-christlichen Kulturtraditionen wenden sich im EU-Raum immer mehr Menschen ab. Die europäischen Völker drohen also ihre kulturellen Wurzeln allmählich zu verlieren. Was werden sie dafür eintauschen?
Ich sehe das Christentum als Kennzeichen, vielleicht sogar als Ursache der Staatsverdrossenheit der Spätantike an. Außerdem repräsentiert diese hochdogmatische Religion die Abwendung vom Vernunft- und Toleranzimperativ des 1. Jh. Die gnostische Auslegung und damit das Verschwinden der Religion aus der Politik ebnet den Weg zur Vernunft. Auch das verbindet uns mit der frühen Kaiserzeit. Unsere Gesellschaft verliert nicht ihre Identität, sondern schafft sich aktiv eine neue, wir tauschen das Dogma gegen die Vernunft.
ArnoldBentheim schrieb:
- Hinzu kommt, dass es in der Bevölkerung kaum noch ein Bewusstsein für die Zugehörigkeit zu einem Römischen Reich gibt, oder richtiger: es ist fast vollkommen erloschen, was an dem ohnehin kaum noch vorhandenen und/oder an einem sehr reduzierten Geschichtsbewusstsein liegt.
Klar sieht sich keiner als "Römer", allein schon wegen der vilen negativen Züge dieses Staatssystems, doch wenn die positiven Werte des Römischen Reichs übernommen werden, sind wir in dieser und in geographischer Beziehung ein/der Nachfolger dieses Staatssystems. Das ist doch eine weitverbreitete Sichtweise.
ArnoldBentheim schrieb:
- In der EU zeigt sich also eine Reihe wirklicher Brüche mit den Traditionen des spätantiken Römischen Reiches, die meiner Ansicht nach nicht mehr heilbar sind. Die EU ist so verschieden vom Römischen Reich, dass man, trotz einiger Ähnlichkeiten, doch von etwas Neuem ausgehen muss: von einer Imperiumsbildung sui generis, deren weitere positive oder negative Entwicklung noch nicht genau abschätzbar ist.
"heilbar" ist ein seltsamer Begriff, der erfordert, dass wir gegenüber Rom positive Eigenschaften nicht übernommen oder negative eingeführt hätten. Da fehlen mir die Beispiele.
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Beitrag von WDPG Fr Mai 15, 2015 9:12 pm

ArnoldBentheim schrieb:
WDPG schrieb:
ArnoldBentheim schrieb:Es steht außer Zweifel, dass die Aufteilung des Reiches unter verschiedene Herrscher einer Verselbständigung und erhöhten Eigennützigkeit der Reichsteile Vorschub geleistet hat. So war es im 5. Jh. seitens des oströmischen Reiches zu einer Reduzierung bzw. Verweigerung umfassender Militärhilfen für das Westreich gekommen. Zu was das oströmische Reich fähig gewesen wäre, haben die Rückeroberungskriege Justinians I. gezeigt.

Da muss ich etwas wiedersprechen. Der Osten hatte selbst mit Problemen zu kämpfen, dennoch griff er immer wieder auf Seiten des Westens ein. Als Hunnenkönig Attila gegen Italien zog, griff der Osten sein Kernland an. Als die Wandalen Nordafrika erobert haben, versuchte der Osten zumindest für kurze Zeit den Westen zu Unterstützen. Valentinian III kam mit Hilfe des Ostens auf den Thron.

Später als Kaiser Anthemius versuchte Nordafrika zurück zu erobern, konnte er auf massive Unterstützung durch Ostkaiser Leo I zählen. Diese war so massiv das der Misserfolg das Ostreich auf Jahre finanziell schwächte.

Bei Justinian I sollte man zwei Dinge bedenken: Erstens: Ostrom hatte von 395 bis zu Kaiser Zeno selbst oft massive Probleme. Justinian I hatte den Vorteil das er ein Reich regierte das schon wieder weit stabiler war als jenes im 5. Jahrhundert. Und schlussendlich waren seine Erfolge alles andere als dauerhaft.

Also: Der Osten half dem Westen schon. Sicher nicht ausreichend genug, aber mehr konnte man zu diesem Zeitpunkt nicht leisten.

Ich kann dir leider nicht zustimmen. Meines Wissens ist in der Forschung schon lange bekannt und nicht revidiert, dass das Ostreich mit diplomatischen Mitteln die an seine Grenzen drängenden Völker gerne nach Westen weiterleiteten und dem Westreich nicht die finanzielle und militärische Hilfe leistete, die es wirklich gekonnt hätte. Wie geschrieben, das Ostreich unter Justinian hat gezeigt, zu was es in der Lage war.

Gut du hast recht darin das man Gefahren gerne nach Westen ablenkte. Das sieht man z.B. sehr gut darin das man die Ostgoten nach Italien entsandt hat. Man tat dies denke ich aber eher aus Selbstverteidigung, als zur Schwächung des Westreichs.

Das mit der Hilfe ist schwer zu sagen, aber es war zumindest nicht so, dass man total untätig blieb (siehe meine Beispiele).

Das mit Justinian sehe ich anders. Er hat mit seiner (nicht unlogischen) Politik doch schlussendlich sein Reich total überfordert und er hatte doch andere Gegebenheiten.

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Beitrag von WDPG Fr Mai 15, 2015 9:18 pm

ArnoldBentheim schrieb:Ich zitiere mal aus einem schon älteren Geschichtswerk:

Nur blieben im Moment des Hauptansturmes der Germanen die anderen Grenzen verhältnismäßig ruhig, vor allem die Ostflanke, da die Sassaniden durch die Hunnen an der Nordgrenze Persiens gebunden waren.[/b] [/i]
[/quote]

Natürlich stimmt es das der Ostkaiser kaum kämpfe gegen die Sassaniden auszutragen hatte. Muss aber sagen, wenn das auch noch gewesen wäre, hätte man wohl ein existenzielles Problem gehabt. Die Westgoten waren nach Adrianopel auf dem Balkan, die Hunnen waren auch eine Zeit lang eine Bedrohung, die Ostgoten mischten einige Zeit lang mit und zahlreiche Kaiser hatten genauso starke Heermeister gegen die sie sich durchsetzen mussten, innenpolitische Machtkämpfe zu bestreiten usw.

Das Kaiser Leo I nach dem erfolglosen Zug gegen Nordafrika in finanzielle Schwierigkeiten kam, zeigt für mich auch, das Ostrom keineswegs die Übermacht von damals war.

Ja man hatte wohl eine bessere Position als der Westen, aber ich bin mir nicht sicher ob man wirklich Hilfe in dem Ausmaß leisten hätte können, dass man Westrom gerettet hätte, zumindest nicht ohne seine eigene Existenz zu gefährden.

Noch eine kleine Beifügung zu den Hunnen die das Sassaniden angriffen. Es waren nicht die gleichen Hunnen die auf Europa losstürmten, sondern die Weißen Hunnen (Hephthaliten)

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Beitrag von ArnoldB. Sa Mai 16, 2015 10:14 pm

Judas Phatre schrieb:Ich glaube, ich habe die Vergleiche von Rom und Europa ins Spiel gebracht.
ArnoldBentheim schrieb:
- Europa zeigt allein durch seine schiere Größe und Bevölkerungsstärke Ansätze einer Imperiumsbildung politischen und wirtschaftlichen Charakters, die aber nicht auf Gewalt gegründet ist, sondern auf Freiwilligkeit der Völker - selbst ein Austritt aus der EU wäre möglich. Das Römische Reich war in erster Linie das Ergebnis militärischer Stärke.
Die Ursachen zur Gründung stehen bei mir nicht im Vordergrund, trotzdem gibt es mehr Parallelen: Auch die EU ist Folge einer Serie von Kriegen. Die demokratischen Länder haben gesiegt. So wie in Rom zur augustäischen Zeit am Ende der verheerenden Bürgerkriege gab es eine Stimmung, die sich nach dauerhaftem Frieden sehnte. Natürlich ist das Prinzipat keine Demokratie, aber pro forma setzte sie die teildemokratische Verfassung fort. Außerdem ist Europa auch keine richtige Demokratie.Militärische und wirtschaftliche Stärke gehen Hand in Hand und so gibt es auch hier Berührungspunkte zwischen Rom und der EU.

Ich meine, dass die Bürgerkriege Roms nicht zur Imperiumsbildung beigetragen haben, sondern den Wandel von der Republik zur Monarchie beschleunigt haben. Alle Reichserweiterungen, wie schon zuvor in der Republik, erfolgten durch Krieg.

Die EU ist zwar das Ergebnis zweier furchtbarer Kriege, aber der Zusammenschluss der Staaten in der EU erfolgt auf freiwilliger, diplomatischer, also Vertragsbasis.

ArnoldBentheim schrieb:
- Die Ansätze übergeordneter, zentraler Regierung der EU beruhen nicht auf dem monarchischen Prinzip wie in Rom, sondern auf der freiheitlichen Demokratie mit einer zunehmenden Beteiligung des Volkes, das im Römischen Reich keine Rolle mehr spielte. Die Mitglieder der EU werden, wie auch immer die weitere Entwicklung sich gestalten wird, eine gewisse Selbständigkeit behalten, eine regionale kulturelle Vielfalt wird sich erhalten – wie das Römische Reich ist eben auch die EU ein Vielvölkerstaat.
Das Friedenssystem der frühen Kaiserzeit legte großen Wert auf die Mitarbeit der Bevölkerung. Nur so ist die Tendenz zur Verleihung des Bürgerrechts an Nichtrömer zu erklären. Die Erkenntnis, dass sich ab dem 2. Jh. immer weniger Menschen mit Rom identifizierten, ist ein interessantes Phänomen, dass m.E. direkt mit dem Untergang dieses Staates zusammenhängt. Das Christentum spielt dabei eine wichtige Rolle: Entweder als Faktor oder als Indikator. Genauso wie das Römische Reich fördert auch die EU eine gemeinsame Kultur ohne sie mit Gewalt zu verbreiten.

Das ist wahr: bevor das Christentum zur Staatsreligion wurde, haben die Römer ihre Kultur niemandem aufgezwungen, sondern die jeweiligen örtlichen Eliten haben sie für Vorteile, etwa das Bürgerrecht, freiwillig übernommen. Ob die EU Kultur "verbreitet" oder nur eine ehemals auf verschiedene Staaten aufgeteilte, gemeinsame christlich-abendländische Kultur in einem übergeordneten staatlichen Gebilde in sich vereinigt, da bin ich augenblicklich unsicher.

ArnoldBentheim schrieb:
- Das römische Reich verschaffte seiner Rechtskultur überall Geltung, erkannte aber auch die verschiedenen örtlichen Rechtskulturen an. Eine einheitliche Rechtskultur wird auch durch die EU angestrebt, die ebenfalls landestypisches Recht respektiert.  
Dazu muss ergänzt werden, dass die Rechtssysteme aller Mitgliedsstaaten der EU auf dem römischen Recht beruht. Noch wichtiger ist dabei die Übernahme des Prinzips der Rechtstaatlichkeit.

Gewiss, das römische Recht, aber in seiner fortentwickelten Form, geprägt durch Reformation und Aufklärung.

ArnoldBentheim schrieb:
- Eine gemeinsame Leitkultur, orientiert an Freiheiten und Menschenrechten, ist in der EU vorhanden, die allerdings und zum Glück nicht nur auf eine kleine Elite beschränkt ist wie das Konzept der "humanitas" im Römischen Reich.
Natürlich ist die Erschaffung der gemeinsamen Leitkultur beschränkt auf die Kulturträger. Vielleicht sind das heute prozentual mehr Menschen, aber sie bleiben eine Minderheit.

Ja, leider, nur eine Minderheit.

ArnoldBentheim schrieb:
Wurde die Kirche im spätantiken Reich zu einer politischen und gesellschaftlichen Größe, so hat sie bei den EU-Völkern eine deutlich nachlassende Bedeutung - ganz anders als außerhalb Europas; auch von den römisch-christlichen Kulturtraditionen wenden sich im EU-Raum immer mehr Menschen ab. Die europäischen Völker drohen also ihre kulturellen Wurzeln allmählich zu verlieren. Was werden sie dafür eintauschen?
Ich sehe das Christentum als Kennzeichen, vielleicht sogar als Ursache der Staatsverdrossenheit der Spätantike an. Außerdem repräsentiert diese hochdogmatische Religion die Abwendung vom Vernunft- und Toleranzimperativ des 1. Jh. Die gnostische Auslegung und damit das Verschwinden der Religion aus der Politik ebnet den Weg zur Vernunft. Auch das verbindet uns mit der frühen Kaiserzeit. Unsere Gesellschaft verliert nicht ihre Identität, sondern schafft sich aktiv eine neue, wir tauschen das Dogma gegen die Vernunft.

Ich kann in der Spätantike keine "Staatsverdrossenheit" erkennen, die durch das Christentum ausgelöst worden wäre. Im Gegenteil, das Christentum fand am Staate seine wichtigste Stütze, und dieser an der Kirchenhierarchie. Mit nachlassender Staatsmacht im Westen erstarkte die Kirche und übernahm viele staatliche Funktionen.

In einer Hinsicht hat das Christentum in der Tat negativ gewirkt: das Reich wurde intoleranter und verlor seine Fähigkeit, fremde, besonders religiöse Kulturen zu integrieren. Stattdessen sorgte das Christentum für Ausgrenzung und Konfrontation, die eine Integration der einwandernden Völker verhinderte bzw. längerfristig verzögerte.

ArnoldBentheim schrieb:
- Hinzu kommt, dass es in der Bevölkerung kaum noch ein Bewusstsein für die Zugehörigkeit zu einem Römischen Reich gibt, oder richtiger: es ist fast vollkommen erloschen, was an dem ohnehin kaum noch vorhandenen und/oder an einem sehr reduzierten Geschichtsbewusstsein liegt.
Klar sieht sich keiner als "Römer", allein schon wegen der vilen negativen Züge dieses Staatssystems, doch wenn die positiven Werte des Römischen Reichs übernommen werden, sind wir in dieser und in geographischer Beziehung ein/der Nachfolger dieses Staatssystems. Das ist doch eine weitverbreitete Sichtweise.

Ich glaube nicht, dass sich noch viele Menschen, selbst aus den sog. "Eliten", auf das Römische Reich und seine "Werte" besinnen. Z. B. wird die wichtigste Wurzel, die in diese Zeit zurückreicht, in immer mehr Bundesländern wie auch in anderen europäischen Ländern gekappt: Latein wird an mehr und mehr Universitäten und Schulen abgeschafft - das Griechische ist es schon fast völlig.

ArnoldBentheim schrieb:
- In der EU zeigt sich also eine Reihe wirklicher Brüche mit den Traditionen des spätantiken Römischen Reiches, die meiner Ansicht nach nicht mehr heilbar sind. Die EU ist so verschieden vom Römischen Reich, dass man, trotz einiger Ähnlichkeiten, doch von etwas Neuem ausgehen muss: von einer Imperiumsbildung sui generis, deren weitere positive oder negative Entwicklung noch nicht genau abschätzbar ist.
"heilbar" ist ein seltsamer Begriff, der erfordert, dass wir gegenüber Rom positive Eigenschaften nicht übernommen oder negative eingeführt hätten. Da fehlen mir die Beispiele.

Aktuelle Beispiele in Bezug auf die wenigen noch vorhandenen Traditonen gibt es genug: Entfernung des Griechischen und Lateinischen aus dem Bildungskanon; die antike Literatur und Geisteswelt gerät in Vergessenheit; das Christentum in Europa verliert seine moralische und integrierende Kraft. Nicht mehr "heilbar", d. h., ich glaube nicht, dass man diese Entwicklung noch einmal zurückdrehen kann.

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Beitrag von ThomasAral So Aug 09, 2015 11:26 am

Die Römer hatten eine gefährliche Strategie. Von den eroberten Gebieten entfühten sie die Söhne der Anführer und bildeten sie in Rom als Kämpfer und Strategen für Rom aus. Rom selbst bracht nicht so viele geniale Militärführer wie z.B. Cäsar hervor. Doch irgendwann mal richteten sich diese Ausgebildeten gegen Rom selbst um ihren Herkunftsland zu Rum und Freiheit zu verhelfen. Also typisches Beispiel von: die Geister die ich rief, werd' nich nicht mehr los.

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Warum ging das römische Reich unter?  - Seite 2 Empty Re: Warum ging das römische Reich unter?

Beitrag von Marek1964 Fr Apr 29, 2016 9:41 am

Hier ein interessanter Artikel aus der FAZ, auf den uns dankenswerter Weise marilinjackson ( https://geschichte-forum.forumieren.de/t813p50-afd-alternative-fur-deutschland-wahlbar-oder-rechtsextrem#9143 ) aufmerksam gemacht hat:

http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/untergang-des-roemischen-reichs-das-ende-der-alten-ordnung-14024912.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

Eine Theorie, die aufhorchen lässt, sei doch übermässige Immigration nicht integrierbarer Bevölkerungen (konkret die Westgoten) ein wichtiger Faktor für den Untergang Roms verantwortlich gewesen:

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Warum ging das römische Reich unter?  - Seite 2 Empty Re: Warum ging das römische Reich unter?

Beitrag von van Kessel Fr Apr 29, 2016 10:45 pm

hi Marek1964,
Eine Theorie, die aufhorchen lässt, sei doch übermässige Immigration nicht integrierbarer Bevölkerungen (konkret die Westgoten) ein wichtiger Faktor für den Untergang Roms verantwortlich gewesen.
das Fatale an einer Geschichtsbetrachtung "von Hinten" ist, dass es ja nicht falsch sein kann, da ja keine prophetischen Gaben bemüht wurden, sondern nur fleissiges Lesen von Nöten war.

Falsch sind die Schlüsse, welche aus vergangener Geschichte gezogen werden. Geschichte ist so wenig wiederholbar, wie es das Leben eines Menschen sein kann. Gleiche Verhältnisse, Zustände verführen oft zu Analogien (siehe auch die 'unsinnige' Frage, ob der 1. Weltkrieg hätte verhindert werden können). Man findet zu jedem geschichtlichen Ereignis, ein Analogon in der fernen - oder nahen - Vergangenheit. Würde aus Vergangenheit gelernt werden, so lebten wir im Paradies.

Die Gründe des 'Untergangs' des römischen Reiches (welches ja formal erst durch Napoleon sein Ende fand) mögen vielfältig sein. Dass 'fremde Heere Ost' sich eines schwachen Reiches bemächtigten, ist nur logisch. Wie würde man mit einem Argument umgehen, würde man den Zug der Kimbern und Teutonen, welche durch halb Europa zogen um eine Heimat zu finden, und erst mit einer Doppelschlacht durch die Römer gestoppt werden konnten?

Reiche haben wohl eine 'Halbwertzeit'. Auch das Europäische Reich (EU) hat eine solche. Die langsame Auflösung erfolgt i.d.R. aber nicht durch äussere Kräfte, sondern durch einen Verfall diese(r)s Reiche(s) durch ein inneres 'Verfaultsein'.


Zuletzt von van Kessel am Fr Apr 29, 2016 11:17 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet (Grund : Unterbrechung durch den Versuch von Windows, W 10 zu installieren.)

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Beitrag von van Kessel Fr Apr 29, 2016 11:43 pm

Fortsetzung:
Tacitus klagte (auf dem Höhepunkt des römischen Reiches), dass die Trägheit und Verkommenheit der Römer ihr Ende fänden in der Ablösung durch die Germanen, durch die 'jungen, unverbrauchten Völker'. Jetzt beschwören wir die islamische Gefahr und die Flüchtlingswellen aus aller Herren Länder , um den Untergang Europas zu deuten.

Ja, warum beklagen wir nicht den Verlust unserer Demokratie, warum meinen wir - und unsere Volksvertreter - Geiz wäre geil? Warum jagen wir diese neue Kaste (von Adel zu schreiben wäre zu ehrenvoll) von Abgreifern nicht zum Teufel mitsamt der korrupten Lobby welche die Blutsauger des Mittelalters um Längen schlagen?

Warum suchen wir das Schisma in fremden Ländern, und nicht in unserem? Welchen Staat wollen wir? Einen fremdbestimmten durch Ankara oder Washington (oder gar durch diese unbekannten Kräfte: Märkte)? All die - fleissig zusammen getragenen - Gründe für den 'Untergang' Roms, mögen stimmig sein. Aber ausser einem stillen Gruseln über das Wie und Weshalb, sagen uns diese Daten doch wenig. Hätte Hitler den Napoleon besser interpretiert, hätte er doch den Teufel getan um Russland anzugreifen, oder?

Warum haben wir den € zugelassen in Kenntnis über das Scheitern der Lateinischen Münzunion (1865-1914) und der damaligen Rolle Griechenlands? Wir hätten Milliarden von Euro einsparen können, würden wir auch nur im Ansatz Geschichte ernst nehmen oder uns gar danach ausrichten.

Wenn das Europäische Reich scheitert dann dadurch, dass es in einen missionarischen Overkill gerät und meint, die Demokratie euro/atlantischer Prägung, müsse dem Rest der Welt notfalls mit Gewalt auf's Auge gedrückt werden.

Die Kausalität eines Beitrages eines Geschichtsprofessors mag verführerisch sein und ein Aha! zeitigen; sie stimmen aber nicht für die Zukunft, denn die Kausalitäten der Zukunft liegen im Dunkel und höchstens die Nornen kennen sie.

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Warum ging das römische Reich unter?  - Seite 2 Empty Re: Warum ging das römische Reich unter?

Beitrag von Moschusochse Do Mai 05, 2016 9:30 am

van Kessel schrieb:
Warum haben wir den € zugelassen in Kenntnis über das Scheitern der Lateinischen Münzunion (1865-1914) und der damaligen Rolle Griechenlands? Wir hätten Milliarden von Euro einsparen können, würden wir auch nur im Ansatz Geschichte ernst nehmen oder uns gar danach ausrichten.

Interessanter Hinweis, van Kessel. Ich habe zur Lateinischen Münzunion einen Thread eröffnet:
https://geschichte-forum.forumieren.de/t854-die-lateinische-munzunion-vor-dem-ersten-weltkrieg-1865-1914#9181
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Warum ging das römische Reich unter?  - Seite 2 Empty Re: Warum ging das römische Reich unter?

Beitrag von Ceres Di Mai 10, 2016 5:58 pm

Für alle Geschichtsinteressierten (auch in diesem Bereich) kann ich euch nur das Buch von Peter Heather "Der Untergang des Römischen Weltreiches" sehr empfehlen.
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Beitrag von Wallenstein Mi Mai 11, 2016 5:15 pm

Frühe Erklärungsversuche für den Untergang

Bestimmend für die Erklärung des Untergangs wurde das monumentale Werk von dem Engländer Edward Gibbon, der zwischen 1776 bis 1789 ein umfangreiches Werk mit dem Titel History oft he Decline and Fall oft he Roman Empire herausgab. Neben dem Christentum und dem Einfall der Germanen glaubte er feststellen zu können, dass es vor allem die allgemeine Dekadenz, speziell die der Oberschichten war, die zum Untergang des Weltreiches führte. Damit gab er ein Stichwort, das von nun an für lange Zeit die Forschungen beeinflusste und bis heute das allgemeine Bewusstsein in der Öffentlichkeit prägt. Das späte Rom, eine dekadente, vergnügungs-und verschwendungssüchtige Gesellschaft, die auf einem Vulkan sitzend, ihrem Untergang entgegen taumelte. Zu Recht wurde sie laut Gibbon von den zwar primitiven, aber eben nicht dekadenten Germanen hinweggefegt.

Spätere Arbeiten bemühten sich, diese These weiter zu untermauern. In der Zeit des Imperialismus vor dem Ersten Weltkrieg wurde sie um sozialdarwinistische Ansätze erweitert. Der deutsche Gelehrte Otto Seck behauptete 1895, das die Besten des Reiches im Laufe der Zeit gefallen waren und zurück blieben nur mittelmäßig begabte Leute, die sich als unfähig erwiesen, dieses Imperium zu lenken. Der englische Althistoriker Tenny Frank glaubte sogar, eine ungesunde Rassenmischung im spätrömischen Reich zu erkennen, die dann zum Niedergang führte. Und selbst die Erklärung von Friedrich Engels in seiner Schrift „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ lag ganz im Stil der Zeit, wenn er die römische Kultur als verendende Zivilisation sieht, die von primitiven, aber kraftvollen Barbaren abgelöst wurde, auch wenn er natürlich nichts mit den Rassentheorien zu tun hatte, die damals kursierten.

Nun ist eine Dekadenz der alten, römischen Oberschicht nicht zu bestreiten, die sich gegen Ende des 2.Jahrhunderts nach u.Z. zusehends ins private Leben zurückzog und nicht mehr um Politik kümmerte. Aber wurde sie nicht ersetzt von vielen fähigen Kaisern aus der Provinz? Diokletian oder Konstantin der Große waren alles andere als dekadent. Auch gab es viele begabte germanische Politiker wie Stilicho, die durchaus ihr Handwerk verstanden. Dekadenz reicht als Erklärung kaum aus.

Sowohl die bürgerlichen Theoretiker als auch die Marxisten waren Anhänger einer Fortschrittsideologie. Dieser würde sich naturwüchsig mit elementarer Wucht durchsetzen. Umso ärgerlicher war daher der Untergang des Römischen Reiches, da sich hier Fortschritt plötzlich in Rückschritt verwandelte und somit ein Erklärungsnotstand vorhanden war.

Für die Ideologen des damaligen Bürgertums reichte Dekadenz als Erklärung indes einstweilen aus. Lasterhaftigkeit, Müßiggang, Faulheit widersprachen der kapitalistischen Arbeitsmoral. Der Untergang des Römischen Reiches war ein Beweis dafür, dass Faulheit geradewegs ins Verderben führt. Abweichend von diesem Mainstream vermutete der große Soziologe Max Weber, das die Sklavenarbeit, die Stütze der römischen Gesellschaft, ab einem bestimmten Zeitpunkt mangels fehlendem Sklavennachschub nicht mehr fortgeführt werden konnte und somit zum Zusammenbruch des Imperiums führte. Diese Theorie hatte allerdings auch schon vor ihm Karl Marx grob skizziert. Max Webers Aufsatz über Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur (1896) blieb damals weitgehend unbeachtet.

Die Marxisten entwickelten in der Tat kompliziertere Erklärungsmuster. Marx selber hatte sich allerdings nur wenig um dieses Thema gekümmert und es gibt nur einige Sätze von ihm über die sogenannte antike Produktionsweise, wie er sie nannte, die seiner Auffassung nach zu den fortschrittlichen Produktionsweisen in der menschlichen Gesellschaft gehört. Er stellte sich offensichtlich vor, dass die Grundlage der römischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung die allgemeine Sklaverei bildete, und als ab dem Ende des 2.Jahrhunderts u.Z. der Sklavennachschub stockte, da Rom nicht mehr weiter expandieren konnte und die Grenzkriege keine ausreichende Zahl von Kriegsgefangenen lieferten, geriet die gesamte Gesellschaft mangels Sklaven in eine Krise. Marx machte noch weitere interessante Hinweise. So enden seiner Meinung nach Gesellschaften, deren Grundlage die Sklaverei bildet, längerfristig in einer Sackgasse. Die Sklaven sind nicht an ihrer Arbeit interessiert und schaden sogar ihrem Besitzer, wenn sie die Gelegenheit dazu haben. Wenn Arbeitskräfte unbegrenzt zur Verfügung stehen, fehlen Anreize, die Produktion zu verbessern, Arbeitsgeräte zu erfinden, neue Bewirtschaftungsmethoden zu entwickeln. Tatsächlich war die römische Landwirtschaft ziemlich primitiv und nur durch Überausbeutung der Sklaven wurden nennenswerte Überschüsse produziert. Als die Zufuhr der Sklaven stockte, kam es in der Tat zur Krise, denn die Erträge und damit die Steuereinnahmen des Staates gingen daraufhin zurück.

Ungeklärt bleibt hier allerdings, warum das Römische Reich trotzdem noch sehr lange weiter existierte und weshalb es keinen Ausweg aus dieser Sackgasse fand. Die Erklärung von Engels, dass die herrschenden Eliten körperliche Arbeiten verachteten, da sie diese mit Sklavenarbeit gleichsetzten und deshalb unfähig zu Innovationen waren, ist wenig zufriedenstellend.
Heute gibt es eine Reihe neuer Erklärungsversuche. Fortsetzung folgt.

Wallenstein
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