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Marx, Engels und der Islam

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Beitrag von Wallenstein Do Apr 02, 2015 2:09 pm

Weder Marx noch Engels haben sich näher mit dem Islam oder dem Nahen Osten beschäftigt. Sie bezogen ihre Informationen aus der Zeitung und von Reiseberichten. Als es 1854 zum Krim-Krieg kommt, veröffentlicht Marx einen Artikel „Die Kriegserklärung -Zur Geschichte der orientalischen Frage“ und schreibt über den Islam:

„Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist "harby", d.h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen. In diesem Sinne waren die Seeräuberschiffe der Berberstaaten die heilige Flotte des Islam.“

Später beschreibt er in dem Bericht näher die Lage der Christen und Juden im Osmanischen Reich. Marx identifizierte den Islam weitgehend mit dem türkischen Reich und hatte für dieses System nur Verachtung übrig.

Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 168-176, Berlin 1961
Karl Marx: [Die Kriegserklärung -Zur Geschichte der orientalischen Frage]

Genz ähnlich ist es bei Engels:
„Und wer sind die Kaufleute in der Türkei? Die Türken sicher nicht. Als sie noch im ursprünglichen nomadischen Zustand lebten, bestand ihre Art, Handel zu treiben, in der Plünderung von Karawanen; jetzt, wo sie etwas zivilisierter sind, besteht sie in allen möglichen willkürlichen und drückenden Besteuerungen. Die Griechen, die Armenier, die Slawen und die Franken, die in den großen Seehäfen etabliert sind, haben den ganzen Handel in Händen und haben sicherlich keine Ursache, sich bei den türkischen Beis und Paschas dafür zu bedanken, daß ihnen das ermöglicht wird. Man entferne alle Türken aus Europa, der Handel wird nicht darunter leiden. Und der Fortschritt in der allgemeinen Zivilisation? Wer verbreitet ihn in allen Teilen der europäischen Türkei? Nicht die Türken, denn sie sind gering an Zahl und im Lande zerstreut, und man kann schwerlich sagen, daß sie anderswo seßhaft sind als in Konstantinopel und in zwei oder drei kleinen ländlichen Distrikten. Es ist die griechische und slawische Bourgeoisie in allen Städten und Handelsplätzen, die die wahre Stütze jeglicher Zivilisation ist, die ernsthaft in das Land eingeführt wird. Dieser Teil der Bevölkerung wächst denn auch ständig an Reichtum und Einfluß, und die Türken werden mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Besäßen sie nicht das Monopol auf die Staats- und Militärgewalt, so würden sie bald verschwinden. Dieses Monopol ist aber für die Zukunft unmöglich geworden, und ihre Macht wird zur Ohnmacht werden, ausgenommen in solchen Fällen, wo sie ein Hindernis für den Fortschritt bilden wird.“

Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 22-27 Engels, Die türkische Frage
Berlin 1960

Sowohl Marx als auch Engels hielten den Orient für primitiv und rückständig. Damit teilten sie die Meinung der Europäer in der damaligen Zeit. Deshalb begrüßten sie die britischen Eroberungen in Indien und China, denn auf diese Weise würde der Orient zivilisiert werden, wenn auch auf brutale  Art. Dieser schmerzhafte Prozess sei aber absolut notwendig, damit diese Länder von der Barbarei zur Zivilisation vorstoßen können. Auch für Marx und Engels ist die westliche Kultur die einzige richtige Kultur, der Rest ist primitiv und rückständig. So schreibt Marx über Indien:

„Seit undenklichen Zeiten gab es in Asien nur drei Regierungsdepartements: das der Finanzen oder für die Ausplünderung des eigenen Volkes; das des Krieges oder für die Ausplünderung anderer Völker; und schließlich das der öffentlichen Arbeiten.“

Dann beschreibt er das Kastenwesen und die Struktur der indischen Dörfer:

„Wir dürfen nicht vergessen, daß dieses menschenunwürdige, stagnierende Dahinvegetieren, diese passive Art zu leben, auf der andern Seite ihre Ergänzung fanden in der Beschwörung wilder, zielloser, hemmungsloser Kräfte der Zerstörung, und in Hindustan selbst aus dem Mord einen religiösen  Ritus machten. Wir dürfen nicht vergessen, daß diese kleinen Gemeinwesen durch Kastenunterschiede und Sklaverei befleckt waren, daß sie den Menschen unter das Joch äußerer Umstände zwangen, statt den Menschen zum Beherrscher der Umstände zu erheben, daß sie einen sich naturwüchsig entwickelnden Gesellschaftszustand in ein unveränderliches, naturgegebnes Schicksal transformierten und so zu jener tierisch rohen Naturanbetung gelangten, deren Entartung zum Ausdruck kam in der Tatsache, daß der Mensch, der Beherrscher der Natur, vor Hanuman, dem Affen, und Sabbala, der Kuh, andächtig in die Knie sank.“

Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 127-133
Berlin  1960 Karl Marx, Die britische Herrschaft in Indien

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Beitrag von Gontscharow Fr Apr 03, 2015 10:45 am

Äußerungen dieser Art könnten - in sprachlich etwas simplerer Form - auch 1:1 am Stammtisch
fallen. Ja, ja an des "weißen Mannes Bürde" bei der Kolonisierung der Wilden hatten ja schon die
britischen Kolonisatoren schwer zu tragen Evil or Very Mad
Die Zukunftsprognosen über die Türken - daß sie wohl demnächst untergehen würden, da sie sich lediglich auf die Militär- und Staatsmacht stützen würden, die ihnen entgleitet - sind völliger Humbug
und haben sich in keiner Weise bewahrheitet.
Mir war bekannt, daß Karl Marx alle Völker außerhalb Nordwesteuropas als unzivilisiert, geschichts- und bedeutungslos charakterisierte. Hätte er eleben können, daß ausgerechnet unterentwickelte Länder wie Rußland oder China als erste versuchten, seine Theorien in die Praxis umzusetzen,
hätte er wohl Einspruch erheben müssen, weil das nicht in seine Weltsicht passte- Neutral
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Beitrag von Greyff Fr Apr 03, 2015 11:02 am

Marx und Engels glänzten durch die Denunziation aller Gemäßigten. Die Revolution mußte für sie nach dem Schema der Französischen Revolution ablaufen und am Ende die radikalste Partei - ihre Partei - an die Macht bringen. Mittel dazu war der Vernichtungskrieg gegen konterrevolutionäre Klassen und Völker.
Diese beiden Theoretiker hatten also kein Problem damit, ganze Völker über die Klinge springen zu lassen, wenn es denn dem revolutionärem Fortschritt dienen würde.
Das ist die theoretische Keimzelle und Rechtfertigungsgrundlage späterer Terrorregime in aller Welt, die sich auf diese marxistische "Wissenschaft" beriefen.
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Beitrag von Wallenstein Di Apr 11, 2017 1:17 pm

In einem Beitrag von Engels über die „Geschichte des Urchristentums“ findet sich eine interessante Fußnote:

Friedrich Engels
Zur Geschichte des Urchristentums

Einen eigentümlichen Gegensatz hierzu bilden die religiösen Aufstände der muhammedanischen Weit, namentlich in Afrika. Der Islam ist eine auf Orientalen, speziell Araber zugeschnittene Religion, also einerseits auf handel- und gewerbetreibende Städter, andrerseits auf nomadisierende Beduinen. Darin liegt aber der Keim einer periodisch wiederkehrenden Kollision. Die Städter werden reich, üppig, lax in Beobachtung des "Gesetzes". Die Beduinen, arm und aus Armut sittenstreng, schauen mit Neid und Gier auf diese Reichtümer und Genüsse. Dann tun sie sich zusammen unter einem Propheten, einem Mahdi, die Abgefallnen zu züchtigen, die Achtung vor dem Zeremonialgesetz und dem wahren Glauben wiederherzustellen und zum Lohn die Schätze der Abtrünnigen einzuheimsen. Nach hundert Jahren stehn sie natürlich genau da, wo jene Abtrünnigen standen: eine neue Glaubensreinigung ist nötig, ein neuer Mahdi steht auf, das Spiel geht von vorne an. So ist's geschehn von den Eroberungszügen der afrikanischen Almoraviden und Almohaden nach Spanien bis zum letzten Mahdi von Chartum, der den Engländern so erfolgreich trotzte. So oder ähnlich verhielt es sich mit den Aufständen in Persien und andern muhammedanischen Ländern. Es sind alles religiös verkleidete Bewegungen, entspringend aus ökonomischen Ursachen; aber, auch wenn siegreich, lassen sie die alten ökonomischen Bedingungen unangerührt fortbestehen. Es bleibt also alles beim alten, und die Kollision wird periodisch. In den Volkserhebungen des christlichen Westens dagegen dient die religiöse Verkleidung nur als Fahne und Maske für Angriffe auf eine veraltende ökonomische Ordnung; diese wird schließlich gestürzt, eine neue kommt auf, die Welt kommt vorwärts.

Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 22, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1963, Berlin/DDR. S. 447-473.

Nun ist aber eigentlich jedem, der sich mit der Materie beschäftigt hat, bekannt, das diese Weisheiten nicht von Engels stammen, sondern von dem arabischen Historiker Ibn Chaldun 1332 – 1406, der in seinem monumentalen Werk Muqaddima über die arabischen Dynastien in Nordafrika in seinem Vorwort genau diese Theorie entwickelt hat. Dieses war im 19 Jahrhundert auch in Europa bekannt und Engels hat sie hier nur übernommen ohne Quellenangabe. Engels will hier darauf aufmerksam machen, das die religiösen Bewegungen in Europa auf das Bürgertum zurückzuführen waren und in seinen Augen daher eine fortschrittliche Bewegung darstellten, während eine solche Kraft im Orient fehlte und die Bewegungen daher einen rückschrittlichen Charakter besaßen, die zurück wollten in die Vergangenheit.

Ich habe noch einige weitere Zitate gefunden:
In dem Briefwechsel zwischen Marx und Engels finden sich noch einige andere Hinweise:

Was den Religionsschwindel angeht, so scheint aus den alten Inschriften im Süden, in denen die altnational-arabische Tradition des Monotheismus (wie bei den amerikanischen Indianern) noch vorherrscht, und von der die hebräische nur ein kleiner Teil ist, hervorzugehn, daß Mohammeds religiöse Revolution, wie jede religiöse Bewegung, formell eine Reaktion war, vorgebliche Rückkehr zum Alten, Einfachen.

Engels an Marx 26.Mai 1853 ,S.247, MEW. Bd.28

Engels glaubt offensichtlich, dass der Monotheismus bei Arabern und Juden eine ursprüngliche Tradition ist, die erst später von der Vielgötterei abgelöst wurde. Mohammed hat ihrer Meinung nach nur den ursprünglichen Zustand wieder herstellen wollen.

Und die Antwort von Marx:
In bezug auf die Hebräer und Araber war Dein Brief mir sehr interessant. Es lassen sich übrigens

1. allgemeines Verhältnis nachweisen bei allen orientalischen Stämmen, zwischen dem settlement des einen Teils
derselben und der Fortdauer im Nomadisieren bei dem andern, seit die, Geschichte geschieht.

2. Zur Zeit Mohammeds hatte sich der Handelsweg von Europa nach Asien bedeutend modifiziert, und die Städte Arabiens,
die am Handel nach Indien etc. großen Anteil nahmen, befanden sich kommerziell im Verfall, was jedenfalls mit Anstoß gab.

3. Was die Religion angeht, so wird sich die Frage in die allgemeine und darum leicht beantwortbare auflösen: Warum erscheint die Geschichte des Orients als eine Geschichte der Religionen?"

Marx an Engels 2.Juni 1853 MEW 28, S.252

Zu den einzelnen Punkten:

1.) Hier sind wir wieder bei Ibn Chaldun: Marx sieht den Dualismus zwischen Nomaden und sesshaften Völkern, den er an anderen Stellen näher beschreibt. Die Nomaden sind primitiv, aber wehrhaft. Die Städter sind reich, aber neigen zur Dekadenz und Luxus. Der Reichtum der Städte lockt die Nomaden an und wenn diese sich in einem Schwächezustand befinden, werden sie militärisch überrannt. Die Nomaden gründen eine neue Dynastie in der Stadt, die nach einigen Generationen aber ebenfalls zur Dekadenz neigt und von einer weiteren Nomadeninvasion beseitigt wird. In diesem Kontext sieht Marx auch die islamische Expansion.

2.) Marx sieht hier anscheinend den Niedergang der arabischen Halbinsel im 7. Jahrhundert durch die Kriege der Byzantiner und Sassaniden. Mekkas Stellung als Handelsmetropole war dadurch stark geschwächt und es kam zu schweren sozialen Spannungen in der Stammesgesellschaft der Koreischiten. Mohammed und der Islam waren der Beginn einer eschatologischen Bewegung, um wieder einen sozialen Ausgleich in der Stadt herbeizuführen. Die zunächst soziale Bewegung der Unterschichten verband sich später mit den führenden Sippen in Mekka und den Stämmen der Wüste, um durch eine kriegerische Expansion die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden.

3.) Was Marx hier meint, ist nicht klar ersichtlich. Aber Religion war für ihn nur ein verkehrtes Weltbewußtsein, eine phantastische Widerspiegelung der Realität. In der primitiven orientalischen Gesellschaft war daher jede wirkliche Auseinandersetzung gleichzeitig eine religiöse Auseinandersetzung.


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