Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
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Marek1964
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Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
wfwbinder schrieb:Man sollte hier erstmal die Dinge beachten, die heute für uns Selbstverständlichkeiten sind und über deren Ursprung man kaum noch nachdenkt.
Sozialversicherung und Zivilehe. Beides wurde von (unter) Bismarck eingeführt.
Wie siehst Du die nachwirkungen in der Gesellschaft und Aussenpolitik?
Marek1964- Admin
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Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
In der Außenpolitik kann ich keine Nachwirkungen mehr erkennen - schließlich ist
Bismarck ja auch seit inzwischen 125 Jahren nicht mehr für die deutsche Außenpolitik zuständig. Die aktuelle deutsche Außenpolitik findet ganz andere Konstellationen vor,
als Bismarck sie hatte. Ein Riesenunterschied ist die Rolle der USA. Zu Bismarcks Zeiten spielte sie in Europa keine Rolle, heute ist sie sehr wichtig.
Bismarck ja auch seit inzwischen 125 Jahren nicht mehr für die deutsche Außenpolitik zuständig. Die aktuelle deutsche Außenpolitik findet ganz andere Konstellationen vor,
als Bismarck sie hatte. Ein Riesenunterschied ist die Rolle der USA. Zu Bismarcks Zeiten spielte sie in Europa keine Rolle, heute ist sie sehr wichtig.
Gontscharow- Gründungsmitglied
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Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
Marek1964 schrieb:wfwbinder schrieb:Man sollte hier erstmal die Dinge beachten, die heute für uns Selbstverständlichkeiten sind und über deren Ursprung man kaum noch nachdenkt.
Sozialversicherung und Zivilehe. Beides wurde von (unter) Bismarck eingeführt.
Wie siehst Du die nachwirkungen in der Gesellschaft und Aussenpolitik?
In der Aussenpolitik gibt es heute keinerlei Auswirkung mehr, umgekehrt, durch die Europäische Einigung wurde die Feindschaft mit Frankreich beendet, oder
durch die von Adenauer und Schumann betriebene Freundschaft der Länder, wurde die Europäische Einigung möglich. Das wäre mit Bismarck wohl kaum möglich gewesen
Gesellschaftlich sehe ich die Zivilehe schon als Errungenschaft, die er ja gegen den Widerstand der katholischen Kirche durchsetzte.
Ebenso in der sozialen Sicherheit der von ihm eingeführten Sozialversicherung.
Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
Ich würde Bismarck die Einführung der Zivilehe oder auch die Schaffung Mindeststandards der Sozialversicherung sicher nicht federführend oder gar alleine zuschreiben. Die Franzosen z.B. brauchten keinen Bismarck für die Zivilehe, die kannten die schon seit dem Code Civil, also seit Anfang des Jahrhunderts! Und die Sozialversicherung führt Bismarck auch weniger aus Überzeugung oder als guter mensch ein, sondern er erfüllt damit sozialdemokratische Forderungen. Die stellen für ihn eher eine bittere aber notwendig zu schluckende Pille dar, um die stetig anwachsende Bedeutung der Sozialdemokratie einzudämmen, die er ja bekanntlich erstmal verbieten lässt.
Und damit komme ich auch schon zu meiner Klassifikation von Bismarck als Reaktionär. Bismarkck ist ein Reformbremser, der sich möglichen positiven gesellschaftlichen Veränderungen aus dem Klassennteresse des ostelbischen Junkers heraus beharrlich widersetzt und allenfalls dann nachgubt, wenn es niicht anders geht. Die Wahlprogramme der SPD aus dieser zeit lesen sich eigentlich wie Kurzfassungen des Grundgesetzes, die politischen Positionen Bismarcks und seiner Konservativen dagegen sind drchtränkt von Standesdünkeln, Ungleichheit und Antidemokratismus. Wenn man mal die gelegenheit hat, dann blättere man mal in Parlamentsdebatten der damaligen Zeit... Da sträuben sich einem die Nackenhaare...
Und damit komme ich auch schon zu meiner Klassifikation von Bismarck als Reaktionär. Bismarkck ist ein Reformbremser, der sich möglichen positiven gesellschaftlichen Veränderungen aus dem Klassennteresse des ostelbischen Junkers heraus beharrlich widersetzt und allenfalls dann nachgubt, wenn es niicht anders geht. Die Wahlprogramme der SPD aus dieser zeit lesen sich eigentlich wie Kurzfassungen des Grundgesetzes, die politischen Positionen Bismarcks und seiner Konservativen dagegen sind drchtränkt von Standesdünkeln, Ungleichheit und Antidemokratismus. Wenn man mal die gelegenheit hat, dann blättere man mal in Parlamentsdebatten der damaligen Zeit... Da sträuben sich einem die Nackenhaare...
Atzec- Anzahl der Beiträge : 166
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Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
Atzec schrieb:Ich würde Bismarck die Einführung der Zivilehe oder auch die Schaffung Mindeststandards der Sozialversicherung sicher nicht federführend oder gar alleine zuschreiben. Die Franzosen z.B. brauchten keinen Bismarck für die Zivilehe, die kannten die schon seit dem Code Civil, also seit Anfang des Jahrhunderts! Und die Sozialversicherung führt Bismarck auch weniger aus Überzeugung oder als guter mensch ein, sondern er erfüllt damit sozialdemokratische Forderungen. Die stellen für ihn eher eine bittere aber notwendig zu schluckende Pille dar, um die stetig anwachsende Bedeutung der Sozialdemokratie einzudämmen, die er ja bekanntlich erstmal verbieten lässt.
Und damit komme ich auch schon zu meiner Klassifikation von Bismarck als Reaktionär. Bismarkck ist ein Reformbremser, der sich möglichen positiven gesellschaftlichen Veränderungen aus dem Klassennteresse des ostelbischen Junkers heraus beharrlich widersetzt und allenfalls dann nachgubt, wenn es niicht anders geht. Die Wahlprogramme der SPD aus dieser zeit lesen sich eigentlich wie Kurzfassungen des Grundgesetzes, die politischen Positionen Bismarcks und seiner Konservativen dagegen sind drchtränkt von Standesdünkeln, Ungleichheit und Antidemokratismus. Wenn man mal die gelegenheit hat, dann blättere man mal in Parlamentsdebatten der damaligen Zeit... Da sträuben sich einem die Nackenhaare...
Es mag ja sein, dass die Franzosen wegen ihres Code Civil keinen Bismarck brauchten, aber der Code Civil galt bekanntlich nicht in Deutschland und so wurde der bei uns unter Bismarck eingeführt. Es hierß ja auch nicht, das er der Erfinder war.
Auch wenn die Sozialversicherung eine Forderung der SPD war, so sehe ich es schon als Verhandlungsgeschick, das auf diese Art durchzusetzen.
NAtürlich, wenn Leo von Caprivi schon früher Kanzler geworden wäre, wären diese Dinge früher gekommen. Aber man muss ja sehen, dass mit Hohenlohe-Schillingsfürst, danach einer kam, der die Sozialreformen nicht weiter vorantrieb sondern sich auf die Rechtsreformen konzentrierte. Wir sollten da die Leute in Ihrem zeitlichen Umfeld sehen.
Wenn man dann später von Bülow betrachtet, der mit seiner Aussenpolitik mit dazu beitrug, dass das Verhältnis zu GB litt, so denke ich, dass man mit einem Mann vom Schlage Bismarcks den 1. Weltkrieg eventuell hätte verhindern können.
Warum der Kirchenkampf?
Warum Bismarck die ganzen Gesetze im Kampf gegen die Kirche erließ?
Hey Leute und zwar weiß jemand warum Bismarck damals die ganzen gesetzte( Brotkorbgesetz,klostergesetz,maigesetz,zivilstandgesetz,jesuitengesetz im Kampf gegen die Kirche erließ?
Wäre echt nett wenn ihr mir antworten könnten
Hey Leute und zwar weiß jemand warum Bismarck damals die ganzen gesetzte( Brotkorbgesetz,klostergesetz,maigesetz,zivilstandgesetz,jesuitengesetz im Kampf gegen die Kirche erließ?
Wäre echt nett wenn ihr mir antworten könnten
Fragender- Gast
Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
Offenbar ein Machtkampf, die Frage habe ich jetzt im anderen Thread auch gestellt.
https://geschichte-forum.forumieren.de/t764-karikaturinterpretation-papst-und-bismarck-im-kulturkampf#8198
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Moschusochse- Anzahl der Beiträge : 267
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Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
Wie stellte sich eigentlich Bismarck zum Kolonialismus? War er da so zurückhaltend wegen England?
Moschusochse- Anzahl der Beiträge : 267
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Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
Ich sage mal, eher spekulativ, ja. Er wusste, eine Kolonialpolitik würde die bestehenden Kolonialmächte gegen Deutschland aufbringen - und zu holen gab es auf dem Erdball eh nicht mehr viel - vor allem die lukrativen Länder waren weg.
Letztlich waren trotz allem die Kolonien eher ein Verlustgeschäft. Deutschland hatte auch zunächst mit sich selbst zu tun und musste sich innerlich konsolidieren. Es war ja die späte Nation.
Letztlich waren trotz allem die Kolonien eher ein Verlustgeschäft. Deutschland hatte auch zunächst mit sich selbst zu tun und musste sich innerlich konsolidieren. Es war ja die späte Nation.
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Marek1964- Admin
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Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
Hallo zusammen. Bismarck ? ! Er war wohl wirklich alles das. Mir fällt auf, dass (fast) jede "Anekdote" über ihn für einen weiteren Charakterzug an ihm steht. Ich habe bei Euch mehrfach gelesen und bin auch selber der Meinung, dass die deutschen Verantwortlichen sich während der Wochen vor dem ersten Weltkrieg sehr ungeschickt angestellt hatten, wenn es darum ging, wer den "Schwarzen Peter" des Kriegsschuldigen zugeschoben bekäme. Vor allem Kaiser Wilhelm machte durch seine vorlauten und vorschnell abgegebenen Kommentare es den Diplomaten in Paris oder London leicht, das Deutsche Reich als DEN Kriegshetzer hinzustellen. Dagegen steht die brilliante Rolle von König Wilhelms Kanzler Otto von Bismarck während der sogenannten "Einigungskriege" in den 1860er Jahren:
Als 1864 Krieg wegen und um Schleswig und Holstein ansteht, fädelt Bismarck es so ein, dass Franz-Josephs Österreicher gemeinsam mit Preussen kämpfen. Ein Blick auf die Landkarte stellt klar, dass es danach um die an Preussen grenzende und von Österreich weit entfernte Beute kommen muss. Geschickt lenkt Bismarck diese "Meinungsverschiedenheiten" nach dem Sieg und schafft einen casus belli gegen die Donaumonarchie. Durch die nicht vom Parlament genehmigte, aber trotzdem durchgeführte Heeresreform Anfang der 1860er Jahre sind Wilhelms Truppen mit neuen und weit effektiveren Gewehren ausgestattet, die den Ausschlag pro Prussia geben. Nach dem Sieg kann Bismarck seinen König davon abhalten, im Triumph in Wien einzuziehen und sogar die Grenzen Österreichs bleiben unangetastet. Einzige Bedingung an Franz-Joseph: Österreich habe sich an künftigen Verhandlungen um ein geeintes Deutsches Reich ´rauszuhalten. Denn ich vermute, es ging dem opportunistisch veranlagten Bismarck vor allem darum, dass die künftige Hauptstadt des vereinten Deutschen Reichs Berlin und nicht Wien heissen möge und er damit seinen Einfluss behalten würde. So weit, so gut. Ein gemeinsamer Feind sorgt meist für ein ausgeprägtes Wirgefühl. Dieser Tatsache bewusst, leitet Bismarck seinen nächsten Schachzug ein. Er weiss, dass ihm ein Krieg gegen Frankreich hilfreich wäre, dass ein vom Erzfeind angegriffenes Preussen auch bei den Süddeutschen genau jene patriotischen Gefühle wecken muss, die den Monarchen in Stuttgart und München keine Wahl mehr lassen würden. Sie würden sich Preussen anschliessen. Wichtig ist hier, die Franzosen vor aller Welt ins Unrecht zu setzen. Geduldig wartet der Eiserne Kanzler auf die Gelegenheit, die sich ihm dann nach dem Sturz der nymphomanen spanischen Königin isabella im September 1868 auftut. Bald darauf werden drei potentielle Kandidaten für die Nachfolge durch Interventionen von Frankreichs Kaiser Louis Napoleon fallen gelassen. Da bieten die Iberer dem zunächst nicht abgeneigten Wittelsbacher Kronprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen die spanische Krone an. Damit wäre Frankreich von deutschen und Deutschland zugetanen Mächten eingekesselt. Leopold wird von deutscher Seite zum Verzicht gedrängt. Aber längst sind die Franzosen unzufrieden mit ihrem Monarchen. Luxemburg konnte nicht angegliedert werden und Napoleons Installierung des Habsburgers Maximilian auf den neu erschaffenen Kaiserthron in Mexiko erwies sich politisch und finanziell als Fiasko. Vor allem die vorlaute Pariser Presse fordert jetzt vom Diktator, die verhassten "bouches" unzweideutig in die Schranken zu weisen. Die sollen nicht nur auf den spanischen Thron verzichten, sondern feierlich schwören, dass das für alle Zeit gelten möge. Heinrich von Abeken, der Preussens König Wilhelm auf seiner Kur in Bad Ems im Juli 1870 begleitet, teilt Bismarck in einem Telegramm mit, wie sich der König zu diesen französischen Forderungen geäussert und wie er sich dem Botschafter gegenüber verhalten hatte, der im übrigen am Vortag den König einfach bei seinem morgendlichen Spaziergang abgefangen hatte, anstatt eine offizielle Audienz abzuwarten. Als Bismarck das Telegramm gelesen hat, sieht er seine Möglichkeiten, aus der ganzen Affäre eine Konfrontation mit Frankreich herbeizuführen, zunächst als erledigt an. Doch dann kommt ihm eine Idee: Er kürzt das Schreiben dahingehend, dass es schroff und abweisend wirkt, als ob der König den französischen Botschafter demütigend behandelt hätte. Diese geänderte Fassung spielt er dann der Presse als "Emser Depesche" zu. Ein Aufschrei geht durch Frankreich. Die französische Ehre ! Der Kaiser in Paris fällt prompt auf die bismarcksche Provokation herein und erklärt an Preussen den Krieg. Voller Genugtuung steht der Eiserne Kanzler da. "Schau her, Welt ! Die von Hass, Neid und Gier zerfressenen Franzmänner machen sich bereit, wegen einer Bagatelle über das friedliebende Preussen herzufallen. Es kommt, wie es kommen muss. Die von Moltke schon lange und effektiv auf diesen Kriegsgang vorbereitete preussische Armee siegt gemeinsam mit den Süddeutschen. Louis Napoleon gerät in Gefangenschaft. Eine Woge von Patriotismus schäumt von der Nordsee bis zu den Alpen über die deutschen Lande. Reichseinigung. Doch nach dem Sieg der deutschen Waffen erweist sich Bismarck als weniger klug. Im Siegesrausch lässt er sich zu folgenschweren und unnötigen Provokationen hinreissen: Die Einigungs- und Krönungszeremonien lässt er ungeheuerlicherweise im Prunksaal der Versailler Schlosses durchführen, während die kruppschen Kanonen noch in die hungernde und frierende französische Hauptstadt feuern. Dazu werden das Elsass und Teile Lothringens wieder in den deutschen Machtbereich eingegliedert. Bismarck muss geahnt haben, dass hier die Saat für späteres Unglück gesät wurde ...
Als 1864 Krieg wegen und um Schleswig und Holstein ansteht, fädelt Bismarck es so ein, dass Franz-Josephs Österreicher gemeinsam mit Preussen kämpfen. Ein Blick auf die Landkarte stellt klar, dass es danach um die an Preussen grenzende und von Österreich weit entfernte Beute kommen muss. Geschickt lenkt Bismarck diese "Meinungsverschiedenheiten" nach dem Sieg und schafft einen casus belli gegen die Donaumonarchie. Durch die nicht vom Parlament genehmigte, aber trotzdem durchgeführte Heeresreform Anfang der 1860er Jahre sind Wilhelms Truppen mit neuen und weit effektiveren Gewehren ausgestattet, die den Ausschlag pro Prussia geben. Nach dem Sieg kann Bismarck seinen König davon abhalten, im Triumph in Wien einzuziehen und sogar die Grenzen Österreichs bleiben unangetastet. Einzige Bedingung an Franz-Joseph: Österreich habe sich an künftigen Verhandlungen um ein geeintes Deutsches Reich ´rauszuhalten. Denn ich vermute, es ging dem opportunistisch veranlagten Bismarck vor allem darum, dass die künftige Hauptstadt des vereinten Deutschen Reichs Berlin und nicht Wien heissen möge und er damit seinen Einfluss behalten würde. So weit, so gut. Ein gemeinsamer Feind sorgt meist für ein ausgeprägtes Wirgefühl. Dieser Tatsache bewusst, leitet Bismarck seinen nächsten Schachzug ein. Er weiss, dass ihm ein Krieg gegen Frankreich hilfreich wäre, dass ein vom Erzfeind angegriffenes Preussen auch bei den Süddeutschen genau jene patriotischen Gefühle wecken muss, die den Monarchen in Stuttgart und München keine Wahl mehr lassen würden. Sie würden sich Preussen anschliessen. Wichtig ist hier, die Franzosen vor aller Welt ins Unrecht zu setzen. Geduldig wartet der Eiserne Kanzler auf die Gelegenheit, die sich ihm dann nach dem Sturz der nymphomanen spanischen Königin isabella im September 1868 auftut. Bald darauf werden drei potentielle Kandidaten für die Nachfolge durch Interventionen von Frankreichs Kaiser Louis Napoleon fallen gelassen. Da bieten die Iberer dem zunächst nicht abgeneigten Wittelsbacher Kronprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen die spanische Krone an. Damit wäre Frankreich von deutschen und Deutschland zugetanen Mächten eingekesselt. Leopold wird von deutscher Seite zum Verzicht gedrängt. Aber längst sind die Franzosen unzufrieden mit ihrem Monarchen. Luxemburg konnte nicht angegliedert werden und Napoleons Installierung des Habsburgers Maximilian auf den neu erschaffenen Kaiserthron in Mexiko erwies sich politisch und finanziell als Fiasko. Vor allem die vorlaute Pariser Presse fordert jetzt vom Diktator, die verhassten "bouches" unzweideutig in die Schranken zu weisen. Die sollen nicht nur auf den spanischen Thron verzichten, sondern feierlich schwören, dass das für alle Zeit gelten möge. Heinrich von Abeken, der Preussens König Wilhelm auf seiner Kur in Bad Ems im Juli 1870 begleitet, teilt Bismarck in einem Telegramm mit, wie sich der König zu diesen französischen Forderungen geäussert und wie er sich dem Botschafter gegenüber verhalten hatte, der im übrigen am Vortag den König einfach bei seinem morgendlichen Spaziergang abgefangen hatte, anstatt eine offizielle Audienz abzuwarten. Als Bismarck das Telegramm gelesen hat, sieht er seine Möglichkeiten, aus der ganzen Affäre eine Konfrontation mit Frankreich herbeizuführen, zunächst als erledigt an. Doch dann kommt ihm eine Idee: Er kürzt das Schreiben dahingehend, dass es schroff und abweisend wirkt, als ob der König den französischen Botschafter demütigend behandelt hätte. Diese geänderte Fassung spielt er dann der Presse als "Emser Depesche" zu. Ein Aufschrei geht durch Frankreich. Die französische Ehre ! Der Kaiser in Paris fällt prompt auf die bismarcksche Provokation herein und erklärt an Preussen den Krieg. Voller Genugtuung steht der Eiserne Kanzler da. "Schau her, Welt ! Die von Hass, Neid und Gier zerfressenen Franzmänner machen sich bereit, wegen einer Bagatelle über das friedliebende Preussen herzufallen. Es kommt, wie es kommen muss. Die von Moltke schon lange und effektiv auf diesen Kriegsgang vorbereitete preussische Armee siegt gemeinsam mit den Süddeutschen. Louis Napoleon gerät in Gefangenschaft. Eine Woge von Patriotismus schäumt von der Nordsee bis zu den Alpen über die deutschen Lande. Reichseinigung. Doch nach dem Sieg der deutschen Waffen erweist sich Bismarck als weniger klug. Im Siegesrausch lässt er sich zu folgenschweren und unnötigen Provokationen hinreissen: Die Einigungs- und Krönungszeremonien lässt er ungeheuerlicherweise im Prunksaal der Versailler Schlosses durchführen, während die kruppschen Kanonen noch in die hungernde und frierende französische Hauptstadt feuern. Dazu werden das Elsass und Teile Lothringens wieder in den deutschen Machtbereich eingegliedert. Bismarck muss geahnt haben, dass hier die Saat für späteres Unglück gesät wurde ...
peter o.- Anzahl der Beiträge : 88
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Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
Nachtrag: Habe keine Möglichkeit zum Bearbeiten des Textes gefunden. In Zeile 9 fehlt nach dem "danach": -zum Streit- Und andere.
peter o.- Anzahl der Beiträge : 88
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Re: Bismarck - Realpolitiker, Gleichgewichtspolitiker, Reaktionär, Restaurator und was sonst noch alles
Der Knopf "edit" rechts oben. Geht glaube ich 24 Stunden nach dem Posten.
Klartext- Anzahl der Beiträge : 393
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