Die Mafia - wie bekämpft man sie effektiv ?
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Die Mafia - wie bekämpft man sie effektiv ?
Gestern hatte ich bei der Arbeit ein kurzes Gespräch mit einem sardinischen Kollegen. Bevor er seine
jetzige Arbeit antrat, war es selbstständig und hatte ein Restaurant. Auf die Frage, warum er es aufgegeben
hatte, sagte er, es sei ausgebrannt. Noch bevor ich weiter fragen konnte, sagte er "Nein, nein, nicht die Mafia".
Da ich bereits mehrmals gehört hatte, daß alle italienischen Unternehmer in meiner Stadt Schutzgelder an die
Mafia zahlen, weiß ich nicht so Recht, ob ich meinem Kollegen das glauben soll...
Anyway, Thema soll die Mafia sein und speziell die Frage, ob es dem Rechtsstaat möglich ist, mit der organisierten
Kriminalität fertig zu werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang etwas, was ich heute morgen in einem
Aufsatz zum Thema gelesen habe, nämlich daß es Mussolini gelang, der Mafia binnen weniger Jahre Herr zu werden.
Und zwar im Grunde dadurch, daß der faschistische Staat die Gewaltherrschaft der Mafia selbst übernahm und sie somit
überflüssig machte. Viele Mafiosi sind damals in die USA emigriert, in denen dann die Epoche von Al Capone und co. begann.
Nach dem II.Weltkrieg sind die Mafiosi dann in Gefolge der US-Streitkräfte nach Sizilien / Italien zurückgekehrt.
jetzige Arbeit antrat, war es selbstständig und hatte ein Restaurant. Auf die Frage, warum er es aufgegeben
hatte, sagte er, es sei ausgebrannt. Noch bevor ich weiter fragen konnte, sagte er "Nein, nein, nicht die Mafia".
Da ich bereits mehrmals gehört hatte, daß alle italienischen Unternehmer in meiner Stadt Schutzgelder an die
Mafia zahlen, weiß ich nicht so Recht, ob ich meinem Kollegen das glauben soll...
Anyway, Thema soll die Mafia sein und speziell die Frage, ob es dem Rechtsstaat möglich ist, mit der organisierten
Kriminalität fertig zu werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang etwas, was ich heute morgen in einem
Aufsatz zum Thema gelesen habe, nämlich daß es Mussolini gelang, der Mafia binnen weniger Jahre Herr zu werden.
Und zwar im Grunde dadurch, daß der faschistische Staat die Gewaltherrschaft der Mafia selbst übernahm und sie somit
überflüssig machte. Viele Mafiosi sind damals in die USA emigriert, in denen dann die Epoche von Al Capone und co. begann.
Nach dem II.Weltkrieg sind die Mafiosi dann in Gefolge der US-Streitkräfte nach Sizilien / Italien zurückgekehrt.
Gontscharow- Gründungsmitglied
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Re: Die Mafia - wie bekämpft man sie effektiv ?
Mit der Mafia bzw. den verschiedenen mafiösen Strukturen fertig zu werden, ist nicht eine Frage der Rechtsstaatlichkeit, sondern der Kultur. Die verschiedenen Mafiaorganisationen haben sich in Süditalien gebildet, weil dieses Gebiet meistens unter feudaler Fremdherrschaft lebte und die Bevölkerung niemals ein staatliches Selbstverständnis entwickelt hat, sondern den Staat immer nur als Feind gesehen hat und bis heute so sieht. Die Eroberung Süditaliens durch die von den französischen Savoiern dominierten Piemontesen (mindestens eine Million Tote) hat die Avversion gegen den Staat natürlich verstärkt. Mussolini hat die Mafia zwar bekämpft, weil er sie als Konkurrenz zu seinem Alleinherrschafts-Anspruch gesehen hat, aber auch er konnte gegen sie nichts ausrichten. Sie wurde nur, wie in allen totalitären Regimen, totgeschwiegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es die Mafia gut verstanden, sich mit der katholischen Kirche ins Einvernehmen zu setzen. Mit dem Segen der Kirche konnte sich die Mafia prächtig entwickeln. Heute hat das mafiöse Denken ganz Italien durchdrungen. Man gibt sich nach außen hin italienisch-nationalistisch, um diesen Staat, mit dem man sich nicht identifiziert, auszusaugen. Schutzgelderpressungen für Restaurants und Geschäfte sind Kleinigkeiten, die höchstens als Training und Bewährungsprobe für zukünftige Mafiosi dienen. Der Schwerpunkt liegt auf der Manipulation von Bauaufträgen (z. B. EXPO Mailand oder Hochwasserschutz für Venedig. Da geht es um Millionen, wenn nicht Milliarden von Euro.
Rübezahl- Anzahl der Beiträge : 231
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Re: Die Mafia - wie bekämpft man sie effektiv ?
In dem Aufsatz, den ich heute morgen geesen hatte, wurde auch die Brücke von Sizilien zum Festland erwähnt ( 5 Milliarden euro Auftragsvolumen) und daß die sizilianische Bauwirtschaft komplett in den Händen der Mafia sei.
Die Kulturfrage wurde auch erörtert und ähnlich bewertet wie hier von Rübezahl.
Mich wundert, daß du sagst, auch Mussolini hätte gegen die Mafia nichts ausrichten können - d.h. sie existierte nicht nur während des Faschismus in Italien weiter (und nicht lediglich in den USA im Exil) sondern beging auch ihre Verbrechen ?
Die Kulturfrage wurde auch erörtert und ähnlich bewertet wie hier von Rübezahl.
Mich wundert, daß du sagst, auch Mussolini hätte gegen die Mafia nichts ausrichten können - d.h. sie existierte nicht nur während des Faschismus in Italien weiter (und nicht lediglich in den USA im Exil) sondern beging auch ihre Verbrechen ?
Gontscharow- Gründungsmitglied
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Re: Die Mafia - wie bekämpft man sie effektiv ?
Man darf die Mafia nicht als eine Organisation sehen, die dauernd darauf aus ist, Verbrechen zu begehen, Menschen zu berauben und zu ermorden. In erster Linie ist sie darauf aus, in alle Strukturen der Gesellschaft einzudringen, Verbindungen und "Freundschaften" aufzubauen, um sie gegebenenfalls nutzen zu können. Dabei hat die Mafia einen langen Atem. Manche Politiker werden jahrelang unterstützt, weil man glaubt, dass man sie vielleicht irgendwann einmal brauchen könnte. Das bedeutet, dass sich die die Mafia auch zurückziehen und längere Zeit nicht in Escheinung treten kann. Während des Faschismus hat sie das "operative Geschäft" zurückgeschraubt bzw. teilweise in die USA verlagert, weil die Repression der Kleinkriminalität hart war. Sie hat aber nicht ihre strategische Arbeit vernachlässigt. Sie hat Verbindungen bis in die Spitzen des faschistischen Regimes und der Kirche aufgebaut und gepflegt. Auch zur US-Regierung hat die Mafia sehr gute Beziehungen aufgebaut, die sich nach dem Krieg ausgezahlt haben. Auch auf Druck der USA hat Sizilien nachdem Krieg den Status einer autonomen Region erhalten. Damit waren Finanzierungen verbunden, über die die Regionalregierung nicht Rechenschaft ablegen musste. Das hat die Möglichkeit zu Postenbeschaffung und Korruption in großem Stil gegeben. Sizilien hat heute 22.000 Förster, ungefähr für jeden Baum einen. In der Demokratie hat sich die Mafia als Stimmenbeschaffer für Politiker betätigt, die dann der Mafia verpflichtet waren.
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Re: Die Mafia - wie bekämpft man sie effektiv ?
Korruption und Vetternwirtschaft bekämpft man mit Öffentlichkeit. Es besteht ein Konsens über richtiges und falsches Handeln. Der "Ehrenkodex" krimineller Vereinigungen wurde als gegeben hingenommen, so wie auch bei uns viele unnütze oder sogar gefährliche Hierarchien und damit verbundene Regeln hingenommen werden. Papst Franziskus ist ein Beispiel, wie man eine Öffentlichkeit gegen diese Strukturen schafft. Wären sich die Priester, Lehrer und Journalisten einig in der Ablehnung der Mafia, könnte es bald mit ihr vorbei sein. Das nächste ist Zivilcourage. Drohenden Nachteilen und Bedrohungen nicht nachgeben, sondern wieder Öffentlichkeit schaffen. Bei Behörden und Polizei könnten häufige Versetzungen die Bildung von "Seilschaften" erschweren.
Re: Die Mafia - wie bekämpft man sie effektiv ?
Aber sind sich "Priester, Lehrer und Journalisten" denn NICHT einig in der Ablehnung
der Mafia ?
der Mafia ?
Gontscharow- Gründungsmitglied
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Re: Die Mafia - wie bekämpft man sie effektiv ?
Priester sind sich in der Ablehnung der Mafia keineswegs einig, weil viele glauben, auf das Wohlwollen (und das Geld) der Mafia angewiesen zu sein. Lehrer halten sich aus der Diskussion am liebsten heraus, weil sie keine Probleme mit den Schülereltern haben wollen, Journalisten haben in Süditalien wenig Bedeutung, weil es dort immer noch viele Analphabeten gibt und kaum Zeitungen gelesen werden. Die wenigen Zeitungen, die es gibt, werden großteils von der Mafia kontrolliert.
Ein Ereignis dieser Tage veranschaulicht ein wenig die Situation: Die Tochter des von der Mafia ermordeten Anti-Mafia-Staatsanwaltes Paolo Borsellino, Lucia Borsellino, ist in die Politik gegangen, um im Sinne ihres Vaters gegen die Mafia zu kämpfen. Sie war in der Regionalregierung von Sizilien für das Gesundheitswesen zuständig und hat sich unbeliebt gemacht, weil sie versucht hat mit der Korruption aufzuräumen. Das hat u.a. dazu geführt, dass der Arzt Matteo Tutino, Chefarzt der Abteilung für plastische Chirurgie in einem Krankenhaus in Palermo und nebenbei privat als Schönheitschirurg tätig, wegen Betruges am öffentlichen Gesundheitssystem festgenommen wurde. Im Zuge der Ermittlungen war das Telefon Tutinos abgehört worden, und da hatte die Polizei auch ein Gespräch abgehört, das Tutino mit dem Präsidenten der Region Sizilien, Rosario Crocetta, geführt hatte. Tutino hatte sich über Lucia Borsellino beklagt und erklärt, man solle sie ermorden so wie ihren Vater. Der Präsident der Region, Crocetta, hatte dem nicht widersprochen. Nachdem das Abhörprotokoll veröffentlicht wurde, ist Präsident Crocetta (übrigens ein Sozialist), nicht etwa zurückgetreten, sondern hat sich nur selbst auf unbestimmte Zeit beurlaubt. Er habe den Satz am Telefon nicht verstanden und fühle sich nicht schuldig, erklärte er. Schuldig ist im Augenblick vor allem Lucia Borsellino: Sie hat zurücktreten müssen.
Ein Ereignis dieser Tage veranschaulicht ein wenig die Situation: Die Tochter des von der Mafia ermordeten Anti-Mafia-Staatsanwaltes Paolo Borsellino, Lucia Borsellino, ist in die Politik gegangen, um im Sinne ihres Vaters gegen die Mafia zu kämpfen. Sie war in der Regionalregierung von Sizilien für das Gesundheitswesen zuständig und hat sich unbeliebt gemacht, weil sie versucht hat mit der Korruption aufzuräumen. Das hat u.a. dazu geführt, dass der Arzt Matteo Tutino, Chefarzt der Abteilung für plastische Chirurgie in einem Krankenhaus in Palermo und nebenbei privat als Schönheitschirurg tätig, wegen Betruges am öffentlichen Gesundheitssystem festgenommen wurde. Im Zuge der Ermittlungen war das Telefon Tutinos abgehört worden, und da hatte die Polizei auch ein Gespräch abgehört, das Tutino mit dem Präsidenten der Region Sizilien, Rosario Crocetta, geführt hatte. Tutino hatte sich über Lucia Borsellino beklagt und erklärt, man solle sie ermorden so wie ihren Vater. Der Präsident der Region, Crocetta, hatte dem nicht widersprochen. Nachdem das Abhörprotokoll veröffentlicht wurde, ist Präsident Crocetta (übrigens ein Sozialist), nicht etwa zurückgetreten, sondern hat sich nur selbst auf unbestimmte Zeit beurlaubt. Er habe den Satz am Telefon nicht verstanden und fühle sich nicht schuldig, erklärte er. Schuldig ist im Augenblick vor allem Lucia Borsellino: Sie hat zurücktreten müssen.
Rübezahl- Anzahl der Beiträge : 231
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Re: Die Mafia - wie bekämpft man sie effektiv ?
Sehr schöner Beitrag, Rübezahl! Bei mir ist das nur so ein genereller Eindruck gewesen, den ich im Einzelnen kaum hätte begründen können.
Die echte Anarchie, so wie sie Jesus von Nazareth und die Stoa, aber auch Gandhi gefordert haben, ist kein äußerliches System, sondern eine innere Einstellung. Das klingt jetzt sicher wieder gefühlsduselig, aber ohne diese innere Leitlinie ist jede Ordnung zum Scheitern verurteilt. Menschen in einer Gemeinschaft müssen ihr Rechtssystem "im Herzen" tragen, selbst über Richtig und Falsch diskutieren und die Regeln hinterfragen. Glücklicherweise ist das Land, in dem ich lebe, eines von denen, die das am ernstesten betreiben. Auch dieses Diskussionsforum ist gelebte Anarchie. Dem stehen parastaatliche Organisationen entgegen. Parteien, Firmen, Religionsgemeinschaften, Terrororganisationen, das organisierte Verbrechen. Sie alle besitzen eigene Regeln, die auch irgendwie funktionieren. Ihre Triebfeder ist die Gewalt in Form von existentieller Bedrohung, gesellschaftlichem Zwang, Sex und Geld. Alle diese Faktoren müssen bloßgestellt werden, nicht einfach abgeschafft, sondern öffentlich hinterfragt.
Die echte Anarchie, so wie sie Jesus von Nazareth und die Stoa, aber auch Gandhi gefordert haben, ist kein äußerliches System, sondern eine innere Einstellung. Das klingt jetzt sicher wieder gefühlsduselig, aber ohne diese innere Leitlinie ist jede Ordnung zum Scheitern verurteilt. Menschen in einer Gemeinschaft müssen ihr Rechtssystem "im Herzen" tragen, selbst über Richtig und Falsch diskutieren und die Regeln hinterfragen. Glücklicherweise ist das Land, in dem ich lebe, eines von denen, die das am ernstesten betreiben. Auch dieses Diskussionsforum ist gelebte Anarchie. Dem stehen parastaatliche Organisationen entgegen. Parteien, Firmen, Religionsgemeinschaften, Terrororganisationen, das organisierte Verbrechen. Sie alle besitzen eigene Regeln, die auch irgendwie funktionieren. Ihre Triebfeder ist die Gewalt in Form von existentieller Bedrohung, gesellschaftlichem Zwang, Sex und Geld. Alle diese Faktoren müssen bloßgestellt werden, nicht einfach abgeschafft, sondern öffentlich hinterfragt.
Re: Die Mafia - wie bekämpft man sie effektiv ?
Ja, ich fand deinen Beitrag auch erhellend, Rübezahl !
So en detail kennt man sich in anderen Ländern eben nur aus, wenn man dort
lebt oder lange gelebt hat. Mir geht das mit der Ukraine auch so : ich weiß
über dieses Land sehr viel mehr als die meisten Deutschen ( die von osteuropäischen
Staaten ein noch vageres Bild haben als von den westeuropäischen Nachbarn --- wobei ich mich jetzt auf die Westdeutschen beziehe ), aber längst nicht alles und mein ukrainischer Lebensgefährte erzählt mir immer wieder mal von Dingen, von denen ich entweder noch nie gehört habe oder die ich nicht richtig einschätzen konnte.
Bei Italien hätte ich angenommen, daß Lehrer, Priester und Journalisten doch die Feinde der Mafia sein müßten - hier bin ich Opfer meiner deutschen Sichtweise geworden, ich habe einfach
unsere gesellschaftlichen Normen auf ein anderes Land übertragen - obwohl ich eigentlich weiß, daß so etwas schnell schief gehen kann.
So en detail kennt man sich in anderen Ländern eben nur aus, wenn man dort
lebt oder lange gelebt hat. Mir geht das mit der Ukraine auch so : ich weiß
über dieses Land sehr viel mehr als die meisten Deutschen ( die von osteuropäischen
Staaten ein noch vageres Bild haben als von den westeuropäischen Nachbarn --- wobei ich mich jetzt auf die Westdeutschen beziehe ), aber längst nicht alles und mein ukrainischer Lebensgefährte erzählt mir immer wieder mal von Dingen, von denen ich entweder noch nie gehört habe oder die ich nicht richtig einschätzen konnte.
Bei Italien hätte ich angenommen, daß Lehrer, Priester und Journalisten doch die Feinde der Mafia sein müßten - hier bin ich Opfer meiner deutschen Sichtweise geworden, ich habe einfach
unsere gesellschaftlichen Normen auf ein anderes Land übertragen - obwohl ich eigentlich weiß, daß so etwas schnell schief gehen kann.
Gontscharow- Gründungsmitglied
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