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Athen – attische Demokratie im Zwielicht

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Beitrag von Wallenstein Fr Jul 31, 2015 2:48 pm

Griechenland und vor allem Athen gelten als das Mutterland der Demokratie, doch die großen Denker der Antike: Thukydikes, Sokrates, Platon, Aristoteles, Isokrates oder Xenophon, sie alle hatten für die Demokratie nur Verachtung übrig. Sokrates hielt es für absurd, das die einfachen Bürger Politik machen sollen, für Platon war Demokratie schlichtweg Pöbelherrschaft und propagierte einen Philosophenstaat und Aristoteles zählte sie neben der Tyrannis und der Oligarchie zu den drei schlechten Staatsformen. Allenfalls, so meinte er, sollten die Bürger Gelegenheit bekommen, aus einer kompetenten Elite die Führungspersonen zu wählen, eine Vorstellung, der der heutigen Demokratie nahe kommt.

Sie hatten das Athen in der Endphase seiner Entwicklung vor Augen, als Demagogen und unverantwortliche Kriegstreiber die Volksversammlungen beherrschten und die Stadt in die Katastrophe trieben.

Die Struktur Athens während seiner demokratischen Phase von 508/07 bis 322 v.Chr. unterscheidet sich stark von unserer Gesellschaft. Von den ca. 200.000 Einwohnern besaßen nur etwa 30.000 Männer das Bürgerrecht und damit auch politische Rechte. Frauen und Fremde waren davon ausgeschlossen. Das wirtschaftliche Rückgrat bildeten fast 100.000 Sklaven, die in der Landwirtschaft und in Handwerksstätten tätig waren. Die Silberbergwerke von Laurion, in denen an die 20.000 Sklaven tätig waren, finanzierten zu einem großen Teil den Athener Staat.

Die andere Einnahmequelle bildete die Ausbeutung der Bundesgenossen, deren Tributzahlungen umfassten mehr als 50% der Einnahmen der Stadt. Die Athener hatten ein Bündnissystem geschaffen, den attischen Seebund, ursprünglich gegen die Perser gegründet, verwandelte sich dieser später in ein richtiges Imperium. Athen wurde zur Konsumentenstadt und importierte zahlreiche Produkte aus den Gebieten der Bundesgenossen.

Die Arbeit der Sklaven und die Tribute der Bundesgenossen ermöglichten die Demokratie in Athen. Die Bürger waren weitgehend von Steuern befreit und besaßen die erforderliche Muße, um sich an der Politik zu beteiligen.

Die Gesellschaft zerfiel in eine kleine, reiche Oberschicht, meist adliger Herkunft, dann in die „Zeugiten“ (Joch-Männer mit mindestens 5 ha Landbesitz), die das Hopliten Aufgebot stellten (schwer bewaffnete Kämpfer, die ihre Ausrüstung selber bezahlten, ungefähr 13.000 Männer), und den besitzlosen „Theten“, ungefähr 20.000 Männer.

Nach einer Reihe innenpolitischer Reformen von Solon und Kleisthenes waren zuerst die Zeugiten aufgewertet  worden und dann auch die Theten, die in der großen Flotte als Ruderer tätig waren. Ihre Bezahlung erfolgte mit dem  Silber, welches die Sklaven in den Bergwerken von Laurion förderten. Die gesamte Bevölkerung wurde somit in die Kriegsführung involviert und deshalb konnte man sie auch nicht aus der Politik heraushalten. Die Monopolisierung der politischen Ämter durch die Elite wurde aufgebrochen und eine Reihe von Positionen auch den Zeugiten und Theten zugänglich, wenn auch die obersten Staatsämter Ehrenämter waren, die nur von den besitzenden Honoratioren besetzt wurden. Für die Vergabe vieler Stellen in Verwaltung und Gerichtswesen setzte sich das Losverfahren durch, verbunden mit der Zahlung von Diäten. Zum wichtigsten Gremium wurden die Volksversammlung und der Rat der Fünfhundert.

Die Volksversammlung (Ekklesia) war das Machtzentrum der Athener. Doch nicht immer alle der 30 000 bis 35 000 erwachsenen Bürger zu Zeiten des Perikles besuchten die Volksversammlung. Es nahmen wohl aber immer mindestens 6000 Personen teil, die für die Beschlussfassung notwendige Zahl. Ort der Versammlung war die Pnyx, ein Hügel ungefähr vierhundert Meter westlich der Agora. Die Volksversammlung trat häufig zusammen, so gab es allein etwa vierzig für das jeweilige Amtsjahr festgelegte Pflichtsitzungen. Sie dauerten nicht länger als einen Tag und wurden mit Angabe des Verhandlungsgegenstandes vier Tage vor dem Sitzungstermin durch öffentlichen Anschlag auf dem Markt angekündigt. Es ging in den Volksversammlungen um die Kontrolle der Amtsträger, die Versorgung und Sicherheit Athens, die Erhebung politischer Anklagen, Konfiskationen, Erbansprüche sowie um Petitionen, ebenso wurden Fragen des Kultes und der Gesandtschaften behandelt. Abstimmungen erfolgten durch Heben der Hand.

Die Exekutive bildete der Rat der Fünfhundert.  Die Mitglieder wurden für die Dauer eines Jahres durch das Los gewählt, um Korruption und Vetternwirtschaft zu verhindern. Sie bereiteten die Volksversammlung vor, diskutierten die Probleme, entwickelten Vorschläge, die dann der Versammlung zur Abstimmung vorgelegt wurden.
Die Richter wurden ebenfalls gewählt und waren ausschließlich Laien.

Jeder Athener war Teil der Legislative, da er auf der Ekklesia mitbestimmen konnte. Durch das Losverfahren konnte zudem jeder Bürger auch einmal Mitglied der Exekutive und der Judikative werden. Diese Demokratisierung bewirkte, dass die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Unterschichten stärker als je zuvor in der Politik Eingang fanden.

Doch die Grundlage dieses Systems war der Imperialismus, die Ausbeutung der Bundesgenossen von Athen und die Sklaverei eines großen Teils der Bevölkerung. Das wussten die freien Athener und sie taten alles, um ihre Privilegien aufrecht zu halten. Doch diese fragile Demokratie brach schon nach wenigen Generationen auseinander.

Die Revolte der Bündnispartner, die sich mit Athens Gegenspieler Sparta verbündeten und in dem langwierigen Peloponnesischen Krieg schließlich 404 v.Chr besiegten, brachte das Ende. Aufgeputscht von Demagogen führte die Bevölkerung einen gnadenlosen, unsinnigen und  mörderischen Krieg gegen alle Gegner, bis es zu spät war. Danach beherrschte eine Oligarchie von Spartas Gnaden die Stadt. Anschließend konnte sich die Demokratie noch einmal eine Zeitlang durchsetzen, aber schließlich wurde Athen von Makedonien besetzt.

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Beitrag von Marek1964 Sa Aug 01, 2015 3:40 pm

Ich habe mich auch schon gefragt, ob die Athener Demokratie nicht ein wenig zu Unrecht als grosses Vorbild für die moderne Demokratie dargestellt wird.

Wenn ich das so lese, könnte man so manche Staaten, gereade auch Stadtstaaten, in vielen früheren oder späteren Epochen auch als Demokratien bezeichnen?

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Beitrag von ArnoldB. Sa Aug 01, 2015 5:57 pm

Marek1964 schrieb:Ich habe mich auch schon gefragt, ob die Athener Demokratie nicht ein wenig zu Unrecht als grosses Vorbild für die moderne Demokratie dargestellt wird.

In erster Linie ist es von Bedeutung, dass als Gegenbild zur Alleinherrschaft eines Königs/Tyrannen oder einer Adelsoligarchie, aber auch als Gegenleistung besonders für militärische Dienste in Flotte und Heer große Teile des Volkes erstmals an der Herrschaft beteiligt wurden. Dieses Beispiel der demokratischen Beteiligung des Volkes hat grundsätzlich Schule gemacht und ist bis heute aus den politischen Diskussionen nicht mehr verschwunden. Dabei geht es nicht darum, die Maßnahmen Athens für heutige Zeiten wieder einzuführen oder nur als konkretes Vorbild zu nehmen. Die geschichtswissenschaftliche Forschung hat die athenische Demokratie schon längst als insgesamt politisch gescheitert beurteilt.

Wenn ich das so lese, könnte man so manche Staaten, gereade auch Stadtstaaten, in vielen früheren oder späteren Epochen auch als Demokratien bezeichnen?

Sicher, das könnte man. Jede Einschränkung von Alleinherrschaft birgt in sich rudimentäre Ansätze von demokratischer Mitsprache.

Übrigens haben die Griechen auch schon - und mit beachtlichem Erfolg! - Staatenbünde, ja Bundesstaaten gebildet, z. B. den Bund der Achäer oder Aitoler. Das ist für die europäische Geschichte nicht minder bedeutsam als die athenische Demokratie.

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Beitrag von Wallenstein So Aug 02, 2015 10:53 am

Die demokratische Ordnung in Athen war ein Grund dafür, dass ihr Imperium schnell auseinanderbrach. Während die römische Oligarchie kein Problem damit hatte, die Eliten aus unterworfenen Gebieten in ihren Kreis aufzunehmen, um die Herrschaft zu stabilisieren, erwies sich Athen als unfähig, die Bundesgenossen institutionell in ein einheitliches politisches System einzubinden.

Das athenische Bürgerrecht war zu Hause so entwickelt, das es niemals auf Nicht-Athener draußen ausgedehnt werden konnte, sonst hätte es funktionell der auf persönlicher Teilnahme an Massenversammlungen beruhenden Demokratie widersprochen, die einzig innerhalb eines sehr kleinen geographischen Gebiets zu verwirklichen war. Daher hatte die innere "demokratische" Grundlage des Perikleischen Imperialismus notwendigerweise zur diktatorischen Ausbeutung seiner ionischen Verbündeten geführt, die aus Habgier in koloniale Unfreiheit geführt wurden. Athen war nicht bereit, Fremdem Bürgerecht und Mitbestimmung einzuräumen. Deshalb kündigten die Bundesgenossen die Gefolgschaft auf und Athen blieb isoliert.

Und noch etwas: Das System, Beamtenstellen für eine kurze Zeit durch das Lossystem zu besetzen, brachte es mit sich, das keine professionale, spezialisierte imperiale Beamtenschaft entstehen konnte.

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Beitrag von Klartext Sa Jan 09, 2016 10:55 am

Wie ist eigentlich das Wirken Solons zu sehen? War er ein Verräter des Volkes oder sinnvoller Pragmatiker?

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Beitrag von Wallenstein Sa Jan 09, 2016 11:36 am

Solon war Pragmatiker.

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