Solschenizyn – Russischer Dichter im Zwielicht
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Solschenizyn – Russischer Dichter im Zwielicht
Die Werke von Solschenizyn, wie z.B. „Krebsstation“, „Der erste Kreis der Hölle“ oder „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ habe ich früher sehr gerne gelesen. Der Leser erhält dadurch einen guten Eindruck über das Leben in der UDSSR zu Zeit von Stalin.
1974 wurde er aus der Sowjetunion ausgebürgert und lebte vorübergehend in der BRD bei Heinrich Böll. Hier fiel er bald durch eigenartige Bemerkungen auf. Die Schlussakte von Helsinki 1975 bezeichnete er als Kapitulation des Westens vor der Sowjetmacht. Kritische Äußerungen über das politische System im Westen und seine Bewunderung für die Diktaturen in Chile und Spanien ließen in mir den Verdacht aufkommen, das er eigentlich kein Demokrat war, sondern nur den Kommunismus durch ein anderes totalitäres System ersetzen wollte. Hier ein späteres Statement von ihm:
„Die westliche Gesellschaft nähert sich einer Grenze, hinter der das System unstabil wird und zerfallen muss. Immer weniger beschwert von vielhundertjähriger Legalität, marschiert die Gewalt schamlos und siegreich durch die ganze Welt.“
Die nächsten 17 Jahre lebte er in Vermont (USA) und es wurde still um ihn. Die Veränderungen nach 1989 in seiner Heimat sah er kritisch. Gorbatschow war für ihn naiv.
„Gorbatschow war sechs Jahre lang damit beschäftigt, alles zu zerstören, doch er errichtete nichts Neues.“
Auch für Jelzin empfand er keine Sympathien. Unter ihm entwickelte sich Russland zu einem räuberischen System. Seine Meinung: „Russland ist ein krimineller Staat.“
Jelzin: „ließ Beschlüsse verabschieden, die den russischen Staat in Stücke zerreißen sollten. Damit wurde Russland seiner wohlverdienten historischen Rolle und seiner Stellung auf dem internationalen Parkett beraubt. Was vom Westen mit lautstarkem Applaus quittiert wurde.“
Unter Jelzin gab es weder echte Demokratie noch Marktwirtschaft:
„Der Westen lebte mit einer durch nichts begründeten Legende, unter Boris Jelzin sei in Russland die Demokratie eingekehrt, seien marktwirtschaftliche Reformen verwirklicht worden.“
Anders hingegen war seine Beziehung zu Putin. Die Beiden haben sich öfters getroffen und erwiesen sich bald als Brüder im Geiste. Er teilte mit Putin die Meinung, dass Russland ein autoritäres Regime braucht:
„Die wahre Lösung für Russland liegt gegenwärtig in einer vernünftigen Verbindung der mehr oder weniger etablierten Zentralmacht, die von einer starken Präsidentenmacht ausgeht, mit der lokalen Selbstverwaltung.“
Auch sollte das Land wieder zu seiner wahren Größe zurückfinden. Tiefe Sorge bereitete Solschenizyn der Zerfall des Landes in Einzelstaaten und die vielen Russen außerhalb der neuen Grenzen sollten wieder zurückfinden in die Heimat. Schuld an der jetzigen Situation ist zu einem großen Teil der Westen:
„Dazu kamen die Versuche der Nato, Teile der zerfallenen UdSSR in ihre Sphäre zu ziehen, vor allem – was besonders schmerzlich war – die Ukraine, ein mit uns eng verwandtes Land, mit dem wir durch Millionen familiärer Beziehungen verbunden sind. Diese könnten durch eine militärische Bündnisgrenze im Nu zerschnitten werden.“
Die russisch besiedelten Gebiete sollten wieder zu Russland gehören. Dann könnte das Land wieder Bedeutung erhalten:
„Wir dürfen nicht zulassen, dass die Russen als Nation aussterben. Unser Abstieg währte mehr als 70 Jahre unter den Kommunisten und auch die 10 Jahre danach. Der Aufstieg ist immer schwieriger, er wird mindestens 100 Jahre in Anspruch nehmen.“
Die wahren Ursachen für das Dilemma unserer Zeit liegen seiner Meinung nach im Atheismus:
„Die Menschen haben Gott vergessen, und das ist der Grund für die Probleme des 20. Jahrhunderts. Wir werden keine Lösungen finden ohne die Umkehr des Menschen zum Schöpfer aller Dinge. Atheismus ist das Grundübel unserer Zeit.“
Bei so vielen Gemeinsamkeiten zwischen dem jetzigen Kremlmachthaber und dem inzwischen verstorbenen Schriftsteller ist es nicht verwunderlich, dass Solschenizyn inzwischen komplett von Putin vereinnahmt wurde. Der Präsident richtete bei dessem Tode 2008 ein pompöses Staatsbegräbnis aus. Eine Straße wurde nach ihm benannt, es gibt Solschenizyn-Stipendien, er gilt als einer der größten russischen Dichter überhaupt und steht in einer Reihe mit den anderen großen Schriftstellern dieses Landes. In gewisser Weise ist dies wohl auch richtig. Er gehört gleichfalls zu den Personen, die dem Westen kritisch gegenüberstanden und an das urrussische Wesen appellierten.
Wie dem auch sei, Putin hat jetzt seinen eigenen Dichter gefunden und schafft um ihn einen neuen Personenkult.
1974 wurde er aus der Sowjetunion ausgebürgert und lebte vorübergehend in der BRD bei Heinrich Böll. Hier fiel er bald durch eigenartige Bemerkungen auf. Die Schlussakte von Helsinki 1975 bezeichnete er als Kapitulation des Westens vor der Sowjetmacht. Kritische Äußerungen über das politische System im Westen und seine Bewunderung für die Diktaturen in Chile und Spanien ließen in mir den Verdacht aufkommen, das er eigentlich kein Demokrat war, sondern nur den Kommunismus durch ein anderes totalitäres System ersetzen wollte. Hier ein späteres Statement von ihm:
„Die westliche Gesellschaft nähert sich einer Grenze, hinter der das System unstabil wird und zerfallen muss. Immer weniger beschwert von vielhundertjähriger Legalität, marschiert die Gewalt schamlos und siegreich durch die ganze Welt.“
Die nächsten 17 Jahre lebte er in Vermont (USA) und es wurde still um ihn. Die Veränderungen nach 1989 in seiner Heimat sah er kritisch. Gorbatschow war für ihn naiv.
„Gorbatschow war sechs Jahre lang damit beschäftigt, alles zu zerstören, doch er errichtete nichts Neues.“
Auch für Jelzin empfand er keine Sympathien. Unter ihm entwickelte sich Russland zu einem räuberischen System. Seine Meinung: „Russland ist ein krimineller Staat.“
Jelzin: „ließ Beschlüsse verabschieden, die den russischen Staat in Stücke zerreißen sollten. Damit wurde Russland seiner wohlverdienten historischen Rolle und seiner Stellung auf dem internationalen Parkett beraubt. Was vom Westen mit lautstarkem Applaus quittiert wurde.“
Unter Jelzin gab es weder echte Demokratie noch Marktwirtschaft:
„Der Westen lebte mit einer durch nichts begründeten Legende, unter Boris Jelzin sei in Russland die Demokratie eingekehrt, seien marktwirtschaftliche Reformen verwirklicht worden.“
Anders hingegen war seine Beziehung zu Putin. Die Beiden haben sich öfters getroffen und erwiesen sich bald als Brüder im Geiste. Er teilte mit Putin die Meinung, dass Russland ein autoritäres Regime braucht:
„Die wahre Lösung für Russland liegt gegenwärtig in einer vernünftigen Verbindung der mehr oder weniger etablierten Zentralmacht, die von einer starken Präsidentenmacht ausgeht, mit der lokalen Selbstverwaltung.“
Auch sollte das Land wieder zu seiner wahren Größe zurückfinden. Tiefe Sorge bereitete Solschenizyn der Zerfall des Landes in Einzelstaaten und die vielen Russen außerhalb der neuen Grenzen sollten wieder zurückfinden in die Heimat. Schuld an der jetzigen Situation ist zu einem großen Teil der Westen:
„Dazu kamen die Versuche der Nato, Teile der zerfallenen UdSSR in ihre Sphäre zu ziehen, vor allem – was besonders schmerzlich war – die Ukraine, ein mit uns eng verwandtes Land, mit dem wir durch Millionen familiärer Beziehungen verbunden sind. Diese könnten durch eine militärische Bündnisgrenze im Nu zerschnitten werden.“
Die russisch besiedelten Gebiete sollten wieder zu Russland gehören. Dann könnte das Land wieder Bedeutung erhalten:
„Wir dürfen nicht zulassen, dass die Russen als Nation aussterben. Unser Abstieg währte mehr als 70 Jahre unter den Kommunisten und auch die 10 Jahre danach. Der Aufstieg ist immer schwieriger, er wird mindestens 100 Jahre in Anspruch nehmen.“
Die wahren Ursachen für das Dilemma unserer Zeit liegen seiner Meinung nach im Atheismus:
„Die Menschen haben Gott vergessen, und das ist der Grund für die Probleme des 20. Jahrhunderts. Wir werden keine Lösungen finden ohne die Umkehr des Menschen zum Schöpfer aller Dinge. Atheismus ist das Grundübel unserer Zeit.“
Bei so vielen Gemeinsamkeiten zwischen dem jetzigen Kremlmachthaber und dem inzwischen verstorbenen Schriftsteller ist es nicht verwunderlich, dass Solschenizyn inzwischen komplett von Putin vereinnahmt wurde. Der Präsident richtete bei dessem Tode 2008 ein pompöses Staatsbegräbnis aus. Eine Straße wurde nach ihm benannt, es gibt Solschenizyn-Stipendien, er gilt als einer der größten russischen Dichter überhaupt und steht in einer Reihe mit den anderen großen Schriftstellern dieses Landes. In gewisser Weise ist dies wohl auch richtig. Er gehört gleichfalls zu den Personen, die dem Westen kritisch gegenüberstanden und an das urrussische Wesen appellierten.
Wie dem auch sei, Putin hat jetzt seinen eigenen Dichter gefunden und schafft um ihn einen neuen Personenkult.
Wallenstein- Gründungsmitglied
- Anzahl der Beiträge : 872
Anmeldedatum : 03.02.15
Re: Solschenizyn – Russischer Dichter im Zwielicht
Solschenizyn gibt mit seinen Ansichten die heute landläufige Meinung in Rußland wieder -
so wie er denkt ein erheblicher Teil der russischen Bevölkerung. Wobei ich immer gerne
darauf hinweise, daß diese "Meinung" Kremlpropaganda ist, von der Regierung erdacht und tausendfach in allerlei medialer Gestalt unters Volk gebracht. Selbst das Ausland wird
via Internet, eigenen Nachrichtenstationen in englischer / deutscher Sprache wie "RT" oder "Sputnik" mit dieser Propaganda beglückt.
so wie er denkt ein erheblicher Teil der russischen Bevölkerung. Wobei ich immer gerne
darauf hinweise, daß diese "Meinung" Kremlpropaganda ist, von der Regierung erdacht und tausendfach in allerlei medialer Gestalt unters Volk gebracht. Selbst das Ausland wird
via Internet, eigenen Nachrichtenstationen in englischer / deutscher Sprache wie "RT" oder "Sputnik" mit dieser Propaganda beglückt.
Gontscharow- Gründungsmitglied
- Anzahl der Beiträge : 939
Anmeldedatum : 18.01.15
Re: Solschenizyn – Russischer Dichter im Zwielicht
Ich habe Interviews mit Solschenizyn gesehen und ehrlich gesagt war mir der Mann unsympathisch. Ich mochte das nie so laut sagen, weil er als Dissident kein leoichtes Leben hatte und ich generell den Mut solcher Menschen bewundere. Sein Werk war und ist auch wichtig. Dass er ein Putinfreund wurde, wundert mich ein bißchen.
SarahF- Anzahl der Beiträge : 207
Anmeldedatum : 26.01.15
Eine Anmerkung
Nun ja, das ist halt die russische Seele, die aus ihm sprach. Wobei man nicht übersehen sollte, dass seine Kritik an der westlichen Demokratie im Grunde genommen eine an der angelsächsischen war, zu der sich Churchill mal ziemlich entlarvend geäußert hatte. Für Großbritannien war Russland nie ein Partner, sondern eher eine Bedrohung, weshalb der Zar auch Alaska an die USA verkaufte, denn er wollte keine möglicherweise Konflikte verursachende gemeinsame Grenze mit dem britischen Kanada.
Durch den Sieg der SDAPR in der Oktoberrevolution und den späteren Kalten Krieg geriet dieser nationale in den Hintergrund des ideologischen Gesichtspunkts, wohl auch für Gorbatschow und Jelzin. Erst der noch von Jelzin etablierte Putin hat daraus letztendlich Konsequenzen gezogen, was die Annäherung der beiden erklären mag, zumal er ja auch das orthodoxe Patriarchat in seiner staatstragenden Rolle bestätigte. Der dahin führende Prozess begann allerdings Jahrzehnte früher, die russisch-orthodoxe Kirche hat sich immer als Staatskirche verstanden und war als reine Ritualkirche für die SU längst nicht mehr gefährlich, da ihr andere Bündnispartner fehlten. Die sogenannte Rückbesinnung weiter Teile der Bevölkerung zur Orthodoxie war sicher auch den für viele lebensbedrohlichen Verhältnissen unter Jelzin geschuldet. In wohl keinem ehemals (real-)sozialistischen Land Europas kann eine derartige Entwicklung beobachtet werden, schon gar nicht im Osten Deutschlands (der stärkere Zulauf katholischer Kirchen ist hier Bevölkerungsverschiebungen geschuldet, in evangelischen Kirchen war er vor der Wende größer).
Das die sog westliche Demokratie nicht 1:1 auf alle Länder der Welt übertragen werden kann, sehen wir täglich - es fehlt ja meist auch die vorhergehende Entwicklung dahin. Besonders bevölkerungsreiche Staaten wie Indien und China tun sich schwer damit. Sie würden unter diesen Umständen wohl unregierbar werden und zerfallen. Dieser Aspekt mag auch ein, wenn nicht gar der Grund für westlicherseits angestrebten Demokratie-Export sein.
In Bezug auf Russland, aber auch die arabische Welt, haben das auch andere Kenner erkannt, zB der leider verstorbene P.Scholl-Latour.
Nebenbei, diese Art von Demokratie funktioniert in ihren Herkunftsländern auch nur durch 100-200-jährige, medial begleitete allmähliche Gewöhnung der Bevölkerung an dieses System. Henry Ford soll mal gesagt haben, wenn die Leute heute erfahren würden wie unser Finanzsystem funktioniert, hätten wir morgen eine Revolution. Da braucht es nicht zu verwundern, dass es unter anderen Voraussetzungen in anderen Teilen der Welt offene Hemmungslosigkeit der Eliten hervorgebracht hat. Es gab schlicht keine regulierenden Elemente und darauf passende Traditionen.
Die Geschichte der Staaten unserer Welt lehrt uns, dass jede positive Entwicklung mehr oder weniger allmählich auch in ihr Gegenteil verkehrt werden kann. Das wussten auch schon altgriechische Philosophen, die deshalb den guten Regierungsformen genausoviele schlechte gegenübergestellt hatten. So wirft man bspw dem Realsozialismus sich nachundnach ausprägende feudale Elemente vor und übersieht dabei, dass sich dieser Prozess auch in westlichen Demokratien finden lässt. Ob wir es nun mit korrupten allmächtigen Mandarinen in einem (chinesisch-) kaiserlichen Beamtenstaat, mit der Bereicherungssucht von Senatoren in der altrömischen Republik oder mit dem Einfluss von pressure groups, Lobbyisten und Stiftungen großer Unternehmen auf die Politik unserer Tage zu tun haben, es läuft auf Refeudalisierung hinaus.
Das mag schon in unseren biologisch-gesellschaftlichen Wurzeln begründet liegen, nur konnten sich unsere fernsten Vorfahren noch besser dagegen wehren (in einer Schimpansengruppe wird der Anführer, wenn er's zu bunt treibt, gemeinschaftlich davongejagt!). Mit dem Entstehen des Staates und seiner wachsenden, in den Händen Weniger konzentrierten Macht, wurde das immer schwerer. Genau darauf setzen auch heutige Machteliten. Solche Entwicklungen muss man also stets aufmerksam-kritisch verfolgen und darf sich nicht einlullen lassen.
Was Solshenizyn letztlich vorschwebte, ist schwer zu sagen, obwohl die WP dazu einige Aussagen macht. Ihm ging's wohl in 1.Linie um ein starkes Russland und die SU war ihm zu westlich beeinflusst (der Marxismus/Kommunismus kam ja daher!). Was den Atheismus betrifft, liegt er mit Sicherheit falsch, denn gerade in den USA versuchen bestimmte Machteliten evangelikale Kreise und deren charismatische Prediger als Transporteure ihrer Ambitionen zu benutzen. Natürlich darf man sich dann fragen wie religiös diese Kreise tatsächlich sind, denn im biblischen Sinn tanzen sie doch um das Goldene Kalb, ihr Gott ist das Kapital. Theismus allein schützt also nicht vor Irrungen! Putin mag andere Gründe haben, aber eine breite Massenwirksamkeit strebt sicher auch er auf diese Weise an. Ist ja auch ein altbewährtes Rezept. Da muss man dann auch einige Zugeständnisse an den geistlichen Partner machen wie bspw Homosexuellenfeindlichkeit (FKK gab's ja schon zu SU-Zeiten nicht - in den Clubs der Superreichen ist erotisierende Nacktheit natürlich kein religiöses Tabu und wohl auch nicht bei so mancher 'Geschäftsidee').
Lux :-?
Durch den Sieg der SDAPR in der Oktoberrevolution und den späteren Kalten Krieg geriet dieser nationale in den Hintergrund des ideologischen Gesichtspunkts, wohl auch für Gorbatschow und Jelzin. Erst der noch von Jelzin etablierte Putin hat daraus letztendlich Konsequenzen gezogen, was die Annäherung der beiden erklären mag, zumal er ja auch das orthodoxe Patriarchat in seiner staatstragenden Rolle bestätigte. Der dahin führende Prozess begann allerdings Jahrzehnte früher, die russisch-orthodoxe Kirche hat sich immer als Staatskirche verstanden und war als reine Ritualkirche für die SU längst nicht mehr gefährlich, da ihr andere Bündnispartner fehlten. Die sogenannte Rückbesinnung weiter Teile der Bevölkerung zur Orthodoxie war sicher auch den für viele lebensbedrohlichen Verhältnissen unter Jelzin geschuldet. In wohl keinem ehemals (real-)sozialistischen Land Europas kann eine derartige Entwicklung beobachtet werden, schon gar nicht im Osten Deutschlands (der stärkere Zulauf katholischer Kirchen ist hier Bevölkerungsverschiebungen geschuldet, in evangelischen Kirchen war er vor der Wende größer).
Das die sog westliche Demokratie nicht 1:1 auf alle Länder der Welt übertragen werden kann, sehen wir täglich - es fehlt ja meist auch die vorhergehende Entwicklung dahin. Besonders bevölkerungsreiche Staaten wie Indien und China tun sich schwer damit. Sie würden unter diesen Umständen wohl unregierbar werden und zerfallen. Dieser Aspekt mag auch ein, wenn nicht gar der Grund für westlicherseits angestrebten Demokratie-Export sein.
In Bezug auf Russland, aber auch die arabische Welt, haben das auch andere Kenner erkannt, zB der leider verstorbene P.Scholl-Latour.
Nebenbei, diese Art von Demokratie funktioniert in ihren Herkunftsländern auch nur durch 100-200-jährige, medial begleitete allmähliche Gewöhnung der Bevölkerung an dieses System. Henry Ford soll mal gesagt haben, wenn die Leute heute erfahren würden wie unser Finanzsystem funktioniert, hätten wir morgen eine Revolution. Da braucht es nicht zu verwundern, dass es unter anderen Voraussetzungen in anderen Teilen der Welt offene Hemmungslosigkeit der Eliten hervorgebracht hat. Es gab schlicht keine regulierenden Elemente und darauf passende Traditionen.
Die Geschichte der Staaten unserer Welt lehrt uns, dass jede positive Entwicklung mehr oder weniger allmählich auch in ihr Gegenteil verkehrt werden kann. Das wussten auch schon altgriechische Philosophen, die deshalb den guten Regierungsformen genausoviele schlechte gegenübergestellt hatten. So wirft man bspw dem Realsozialismus sich nachundnach ausprägende feudale Elemente vor und übersieht dabei, dass sich dieser Prozess auch in westlichen Demokratien finden lässt. Ob wir es nun mit korrupten allmächtigen Mandarinen in einem (chinesisch-) kaiserlichen Beamtenstaat, mit der Bereicherungssucht von Senatoren in der altrömischen Republik oder mit dem Einfluss von pressure groups, Lobbyisten und Stiftungen großer Unternehmen auf die Politik unserer Tage zu tun haben, es läuft auf Refeudalisierung hinaus.
Das mag schon in unseren biologisch-gesellschaftlichen Wurzeln begründet liegen, nur konnten sich unsere fernsten Vorfahren noch besser dagegen wehren (in einer Schimpansengruppe wird der Anführer, wenn er's zu bunt treibt, gemeinschaftlich davongejagt!). Mit dem Entstehen des Staates und seiner wachsenden, in den Händen Weniger konzentrierten Macht, wurde das immer schwerer. Genau darauf setzen auch heutige Machteliten. Solche Entwicklungen muss man also stets aufmerksam-kritisch verfolgen und darf sich nicht einlullen lassen.
Was Solshenizyn letztlich vorschwebte, ist schwer zu sagen, obwohl die WP dazu einige Aussagen macht. Ihm ging's wohl in 1.Linie um ein starkes Russland und die SU war ihm zu westlich beeinflusst (der Marxismus/Kommunismus kam ja daher!). Was den Atheismus betrifft, liegt er mit Sicherheit falsch, denn gerade in den USA versuchen bestimmte Machteliten evangelikale Kreise und deren charismatische Prediger als Transporteure ihrer Ambitionen zu benutzen. Natürlich darf man sich dann fragen wie religiös diese Kreise tatsächlich sind, denn im biblischen Sinn tanzen sie doch um das Goldene Kalb, ihr Gott ist das Kapital. Theismus allein schützt also nicht vor Irrungen! Putin mag andere Gründe haben, aber eine breite Massenwirksamkeit strebt sicher auch er auf diese Weise an. Ist ja auch ein altbewährtes Rezept. Da muss man dann auch einige Zugeständnisse an den geistlichen Partner machen wie bspw Homosexuellenfeindlichkeit (FKK gab's ja schon zu SU-Zeiten nicht - in den Clubs der Superreichen ist erotisierende Nacktheit natürlich kein religiöses Tabu und wohl auch nicht bei so mancher 'Geschäftsidee').
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