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Brigadier Jean-Louis Jeanmaire - Ein Verräter?

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Beitrag von Orianne Di Jan 27, 2015 11:23 am

Jean-Louis Jeanmaire - Ein Verräter?


Im August 1976 schnappte die Falle zu: der pensionierte Brigadier Jean-Louis Jeanmaire, ehemaliger Chef der Luftschutztruppen, wurde in Lausanne von der Bundespolizei verhaftet. Er soll militärische Geheimnisse an die Sowjets verraten haben. Jeanmaire gab im Verhör zu, tatsächlich Unterlagen an Mitglieder der sowjetischen Botschaft in Bern übergeben zu haben. Die Öffentlichkeit reagierte geschockt: ausgerechnet ein hoher Offizier im Generalsrang, ein strammer Antikommunist, erwies sich als «Landesverräter»?

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Bild aus meiner Sammlung, koloriert)

Der Schock steigerte sich zur Empörung, als Bundesrat Kurt Furgler vor dem Parlament zum «Fall Jeanmaire» Stellung nahm – jener Furgler, der Jahre zuvor bei der Aufarbeitung des Mirage-Skandals brilliert hatte. Der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements erklärte, der Ex-Brigadier habe «geheimste Unterlagen und Informationen» weitergeleitet. Für die Medien wurde Jean-Louis Jeanmaire danach endgültig zum «Jahrhundertverräter». Rufe nach der Todesstrafe wurden laut, der Baselbieter FDP-Nationalrat Karl Flubacher anerbot sich, gleich selber Hand anzulegen.

So weit kam es nicht, doch die Strafe war happig. Im Juni 1977 verurteilte das Divisionsgericht 2 den «Verräter» nach dreitägiger Verhandlung hinter verschlossenen Türen zu 18 Jahren Zuchthaus, plus Degradierung und Ausschluss aus der Armee. Der Ankläger hatte nur 12 Jahre gefordert. Die mitangeklagte Ehefrau Marie-Louise wurde freigesprochen. 1988 wurde Jeanmaire wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Der perfekt zweisprachige Bieler kündigte an, er werde um seine «vollständige Rehabilitierung» kämpfen, doch viel Zeit blieb ihm nicht mehr. 1992 starb Jean-Louis Jeanmaire mit 82 Jahren.

Hinweis kam von der CIA

Was wirklich geschehen war, blieb lange im Dunkeln. Der Historiker und ehemalige Bundeshausjournalist Jürg Schoch konnte als erster die Akten im Bundesarchiv einsehen. Vor zwei Jahren veröffentlichte er das Resultat seiner Recherchen in einem Buch mit dem Titel «Fall Jeanmaire, Fall Schweiz». Für Schoch steht fest, dass die Affäre nur im aufgeheizten Klima des Kalten Krieges möglich war. So weiss man nun, dass es die amerikanische CIA war, die 1974 den Schweizer Behörden den Hinweis gab, ein hoher Militär kooperiere mit den Sowjets.

Es dauerte Monate, bis Jeanmaire als Verdächtiger identifiziert war. Eine intensive Überwachung begann, doch belastendes Material ergab sich nicht. «Wir müssen einräumen, dass nichts Konkretes festgestellt werden konnte», hiess es in einem Rapport. Bei der Verhaftung hatten die Behörden kaum etwas in der Hand, Jeanmaires Redseligkeit erwies sich als Glücksfall. Er gab zu, dass er mit Wassili Denissenko befreundet war, dem ehemaligen Militärattaché der Sowjetunion in Bern. Dieser umschmeichelte den ehrgeizigen Offizier und gaukelte ihm unter anderem vor, er sei eigentlich ein Zarist. Daneben begann Denissenko eine Affäre mit Jeanmaires Ehefrau.

Schaden nicht dramatisch

Fest steht, dass der Brigadier seinem «Freund» zahlreiche Dokumente übergeben hatte, darunter auch solche zur Mobilmachung. Heute sind sich die Historiker jedoch einig, dass die hohe Strafe von 18 Jahren in keinem Verhältnis stand zur Schwere des Vergehens. Denn zu wirklich brisanten Unterlagen hatte Jeanmaire als Chef der Luftschutztruppen gar keinen Zugang. Schon damals kam eine Expertise des späteren Korpskommandanten Josef Feldmann zum Schluss, dass der Schaden für die Abwehrvorbereitungen der Schweiz «nicht als dramatisch eingestuft werden musste».

Für Buchautor Schoch war der «Jahrhundertverräter» im Kalten Krieg ein perfekter Sündenbock für Behörden, Armeespitzen und patriotische Interessengruppen, an dem sie Exempel statuieren und ihre innenpolitische Position stärken konnten. Wirklich ausgestanden ist die Affäre bis heute nicht. Bestsellerautor John Le Carré hat darüber einen Roman geschrieben («Ein guter Soldat»), Urs Widmer ein erfolgreiches Theaterstück. Und die noch lebenden Beteiligten schweigen eisern. «Alles in allem war die Episode keine Sternstunde des demokratischen Rechtsstaates», lautet das Fazit im Buch von Jürg Schoch.

Quellen: Jürg Schoch - Fall Jeanmaire, Fall Schweiz, Eigene Aufzeichnungen

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