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Die Entstalinisierung oder Überwindung des Personenkultes - Anfang vom Ende des Kommunismus

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 Die Entstalinisierung oder Überwindung des Personenkultes - Anfang vom Ende des Kommunismus Empty Die Entstalinisierung oder Überwindung des Personenkultes - Anfang vom Ende des Kommunismus

Beitrag von Wallenstein So Feb 08, 2015 12:55 pm

Diesen Begriff gibt es nur im Westen. In Osteuropa sprach man von der „Überwindung des Personenkultes“ oder von einer „Korrektur von Fehlern und Einstellungen“.
Die Geheimrede von Chruschtschow hatte zwei schwerwiegende Folgen:

1. Sie beschädigte die kommunistische Mentalität
2. Sie führte zum osteuropäischen Revisionismus und langfristig zum Untergang des Sozialismus

Erstens: Die Verbrechen von Stalin waren größtenteils im Westen bereits bekannt gewesen, aber da sie nur von bürgerlichen Medien verbreitet wurden, hielten Kommunisten in Ost und West sie für Propaganda im Kalten Krieg. Das sie plötzlich vom Kreml bestätigt wurden, löste bei linientreuen Kommunisten eine „Glaubenskrise“ und Verwirrung aus, der Herrschaftsapparat geriet in Unordnung. Auf den Arbeiteraufstand Juni 1956 in Posen (Polen) reagierte die Partei zunächst völlig hilflos und erst die Ernennung von Gomulka, der unter Stalin im Gefängnis gesessen hatte und daher unbelastet war, konnte die Krise beheben. In Ungarn brach die Partei unter dem Volksaufstand völlig zusammen und löste sich auf. Erst die sowjetische Intervention brachte sie wieder an die Macht. Das sich die Partei im Falle von Stalin so unglaublich getäuscht hatte, dies schadete dem Ruf ihrer angeblichen Unfehlbarkeit nachhaltig. Davon sollte sie sich nie wirklich erholen.

Nach 1956 wurde die Repression aber immerhin in einigen Staaten ein wenig gelockert. In der UDSSR löste man die Lager auf und Millionen Menschen kamen endlich frei.

Zweitens: Der osteuropäische Revisionismus war eine Strömung innerhalb der kommunistischen Bewegung, der eine Reform des Sozialismus forderte und  dies mit marxistischen Argumenten  untermauerte:

1. Sie forderten eine innerparteiliche Demokratie und Fraktionsfreiheit
2 . Eine Gleichberechtigung aller sozialistischen Staaten
3 . Wirtschaftsreformen: Verzicht auf Kollektivierung der Landwirtschaft und Duldung von kleineren Privatunternehmen, größere Unabhängigkeit der Betriebe vom Staat, Einführung von   Marktmechanismen etc.

Gleichzeitig kritisierten sie einige Pateidogmen, wie z.B. die
1. Leninsche „Abbild-Theorie“. Sie betonten die Dialektik von Subjekt und Objekt.
2. Kritik des Determinismus:  Die Geschichte folgt nicht „historischen Gesetzmäßigkeiten“. Zufälle und Ungewissheiten spielen eine große Rolle.
3. Kritik an Versuchen, moralische Werte spekulativ abzuleiten. Nur weil der Sozialismus existiert, bedeutet dies nicht, dass er moralisch besser sei als der Kapitalismus.

Als Vertreter dieser Richtungen könnte man nennen:  für die DDR, z.B. Harich, Havemann, Bahro, Hans Mayer, Alfred Kantorowicz. Für Polen: Kolakowski, W.Brus, O.Lange, Kuron. Für Ungarn etwa  Georg Lukács, für die CSSR Karel Kosik und Ota Sik.

Alle diese Reformversuche wurden nach einiger Zeit rigoros unterdrückt. Der Kommunismus war nun überhaupt kein intellektuelles Problem mehr und nur noch eine Frage von Herrschaft und Repression. Zurück blieb eine primitive Staatsideologie, die unglaublich simpel und wirklichkeitsfremd war,  die weder von den Herrschenden noch von den Beherrschten geglaubt wurde, ein Schwall von Phrasen. Zynismus machte sich überall breit.

Auch die Kritiker, die sich selbst noch für Marxisten hielten, mussten erkennen, dass eine Reform dieses Systems nicht möglich war.

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Beitrag von Marek1964 So Feb 08, 2015 2:20 pm

Die Hauptfehlkonstrukte des Kommunismus waren die Diktatur der Proletariats und die monopolistische Wirtschaft. Es schaffte diktatorische Strukturen und wirtschaftliche Ineffizienz.

Hatten die Revisionisten dies nicht schon Ende des 19. Jahrhunderts eingesehen?

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Beitrag von Wallenstein So Feb 08, 2015 2:47 pm

Marek1964 schrieb:Die Hauptfehlkonstrukte des Kommunismus waren die Diktatur der Proletariats und die monopolistische Wirtschaft. Es schaffte diktatorische Strukturen und wirtschaftliche Ineffizienz.

Hatten die Revisionisten dies nicht schon Ende des 19. Jahrhunderts eingesehen?

Nein, im Revisionsmusstreit ging es um ganz andere Probleme. Damals waren die sozialistischen Parteien noch weit von einer Machtübernahme entfernt und machten sich über die Struktur des zukünftigen sozialistisches Staates noch keine große Gedanken. Ihnen ging es vor allem darum: Wie ist die Dynamik des kapitalistischen Systems einzuschätzen und was soll die Sozialdemokratie tun, um irgendwann an die Regierung zu kommen.?

Die Positionen der Revisionisten (Eduard Bernstein) lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Kapitalismus hat noch eine lange Lebensdauer

"Die Krisen schwächen sich ab und sind prinzipiell  überwindbar

Die Monopolisierung ist noch nicht weit genug fortgeschritten, das Privateigentum daher noch nicht „sozialisierungsreif“

Positive Einschätzung des Imperialismus und des Kolonialismus. Der Imperialismus fördere die Entwicklung der in Übersee lebenden Völker und bringe ihnen die abendländische Kultur bei.

Die Mittelschichten verschwinden, entgegen den Aussagen von Marx nicht, sondern es bilden sich immer wieder neue (Entstehung der Angestelltenschaft)

Strategien zur Überwindung des Kapitalismus: schrittweise Reformen, um das System sukzessive zu verändern, Konzentration auf parlamentarische Tätigkeit: „Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts.“


Um Monopole oder Diktatur des Proletariats machte man sich hier keine Sorgen.

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Beitrag von SarahF Mo Feb 09, 2015 11:40 am

Deine Beiträge sind sehr interessant zu lesen, Wallenstein !
Wenn als Folge von Chruschtschows Rede der Kommunismus kein "intelektuelles Problem", sondern nur noch "eine Frage von Herrschaft und Repression" war , wieso haben sich dann noch 25 weitere Jahre Menschen in aller Welt dafür begeistert ? Ich nenne nur mal die Befreiungsbewegungen in der dritten Welt ,von Kuba über Vietnam bis nach Äthiopien .Wieso waren die kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich so stark ? In den 70er Jahren war die PCI teilweise stärkste Partei Italiens, gleichauf mit den Christdemokraten. Nicht zu vergessen die Studentengenerationen der 60er bis 80er Jahre.

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Beitrag von Wallenstein Mo Feb 09, 2015 1:04 pm

SarahF schrieb:Deine Beiträge sind sehr interessant zu lesen, Wallenstein !
Wenn als Folge von Chruschtschows Rede der Kommunismus kein "intelektuelles Problem", sondern nur noch "eine Frage von Herrschaft und Repression" war , wieso haben sich dann noch 25 weitere Jahre Menschen in aller Welt dafür begeistert ? Ich nenne nur mal die Befreiungsbewegungen in der dritten Welt ,von Kuba über Vietnam bis nach Äthiopien .Wieso waren die kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich so stark ? In den 70er Jahren war die PCI teilweise stärkste Partei Italiens, gleichauf mit den Christdemokraten. Nicht zu vergessen die Studentengenerationen der 60er bis 80er Jahre.


Ich glaube, dass es sich in Kuba, Vietnam, Angola, Mozambik etc. primär um nationale Unabhängigkeitsbewegungen handelte. Da sie von den Amerikanern bekämpft wurden, lag es nahe für sie, sich mit der UDSSR und China zu verbünden. Auch dachten die Führer dieser Bewegungen, dass eine sozialistische Planwirtschaft ihre Staaten schneller aus der Unterentwicklung herausführen könnte als eine Marktwirtschaft. Auch der spätere enge Kontakt mit den sozialistischen Staaten begünstigte die teilweise Übernahme von deren Herrschaftssystemen, da sie aus diesen Ländern Waffen und Wirtschaftshilfe bekamen und Offiziere, Wissenschaftler, Lehrer, Ärzte etc. dort ausgebildet wurden. Die UDSSR unterhielt zudem in diesen Staaten der Dritten Welt oft Stützpunkte.

Die kommunistischen Parteien im Westen begannen sich nach dem Einmarsch der Russen in die CSSR 1968 langsam ideologisch von Moskau zu trennen. Es entstand in den siebziger Jahren der Eurokommunismus, die Kommunisten in Westeuropa verwandelten sich in linke Sozialdemokratien, bejahten Parlamentarismus und Marktwirtschaft. Deshalb war es für sie einfach, sich nach 1989 in reine sozialdemokratische Parteien umzuwandeln. Sie änderten ihre Namen, wie in Italien, lösten sich endgültig vom Kommunismus und in Italien übernahmen sie zeitweilig sogar die Regierung.

Die Studentenbewegung 1968 lehnte die stalinistischen Regime im Osten ab. Sie träumte von einem libertären Sozialismus, jenseits von Kapitalismus und Stalinismus. Ihre Ideologie war eine Mischung aus Marx, Freud, Anarchismus und diversen anderen Ideen. Die Machthaber im Osten standen deshalb dieser Bewegung auch eher ablehnend gegenüber. Einige Studentengruppen schwärmten von Kuba oder Vietnam, ohne aber wirkliche Kenntnisse darüber zu besitzen.

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Beitrag von Exmitglied-1 Di Feb 17, 2015 9:18 am

Das Grundübel des Kommunismus ist, dass er -egal wo er in Erscheinung tritt - stets mit dem Schwert in der Hand kommt. Alles muss  gewonnen oder aufrecht erhalten werden mit Panzern und Gewehren.
Wenn der Kommunismus wirklich zum Volksbegehren wird, dann kommt er und setzt sich durch auch ohne Waffen. Aber er braucht auch einen neuen Menschen, frei vom Eigentumsdünkel. Und da müssten die Funktionäre und Berufsrevolutionäre als erste mit gutem Beispiel vorangehen.
Bisher hat die Umerziehung zum selbstlosen Menschen immer nur zwangsweise in Gulags und ausgedienten ehemaligen faschistischen Konzentrationslagern stattgefunden.
Der neue Mensch aber muss von sich aus das Bedürfnis haben, der Gesellschaft ohne Wenn und Aber dienlich zu sein und an materiellen Gütern nur das zu bedürfen, was er unbedingt für sich braucht. Hieran kann jeder für sich selbst absehen, wie weit er noch vom kommunistischen Ideal entfernt ist.
Und so wirds wohl noch ewig dauern. Shocked

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Beitrag von Gontscharow Di Feb 17, 2015 12:16 pm

Ja, segula, diese Gedanken hatte ich auch schon.
Lange habe ich mir darüber Illusionen gemacht, daß es möglich sein müßte,
idealistisch der Gemeinschaft ergebene Menschen zu haben, die zum Wohle aller
- und dem eigenem - den Sozialismus aufzubauen.
Meine Erfahrung : Solche Menschen gibt es durchaus - nicht nur bei Linken sondern
überall sonst auch, beispielsweise bei in den Kirchen. Aber sie sind eine verschwindend
kleine Minderheit, und völliger Mangel an Eigennutz ist es selbst bei ihnen nicht -
wenn es auch nur die Anerkennung und Zuneigung der Mitmenschen ist, die sie anstreben
und keine materiellen oder sonstigen Vorteile für sich selbst. Leider werden solche hilfsbereiten Menschen
oft von anderen ausgenutzt und resignieren in Konsequenz ( verständlich).
Der "neue Mensch" ist eine Idee von Utopisten, man kann ihn weder mit Zwang noch mit sonst welchen Methoden "herstellen".
Die katkolische Soziallehre weiß das übrigens seit Jahrhunderten. Deshalb ist ihre Mildtätigkeit
nicht an eine V e r ä n d e r u n g des Schicksals beispielsweise von alkoholkranken Bettlern geknüpft,
sondern zielt drauf ab, ihr Los hier auf Erden zu erleichtern. Früher fnd ich diesen Ansatz der Katholiken
geradezu unmoralisch ( als ich noch links dachte), heute verstehe ich, daß er viel humaner und großzügiger ist als "der neue Mensch" der Linken.


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Beitrag von Exmitglied-1 Fr Feb 20, 2015 4:02 am

Genau, Gontscharow.
Es gibt Ideale an Menschen, aber das sind eher Ausnahmen und Einzelbeispiele, gerade in der katholischen Kirche.
Ich denke da an Elisabeth von Thüringen, 1207 - 1231, die auch heilig gesprochen wurde.
Hl. Elisabeth

Aber ein so handelndes Volk müsste es sein. Die Vorbildwirkung sollte auch im Sozialismus zum Tragen kommen. Da gab es als Beispiel die Stachanowbewegung oder die Aktivistenbewegung in der DDR. Das ist aber nicht übergeschlagen, sondern wurde insgeheim vom Volk abgelehnt. Offiziell wurde es durch administrative Maßnahmen forciert. So was geht aber auch nicht ewig gut, wie wir gesehen haben.

Marx prägte den Satz: "Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit."
Das habe ich lange nicht verstanden. Soll aber heißen, wenn du die Notwendigkeit erkennst, für die (klassenlose) Gesellschaft was zu leisten, dann hast du du die Freiheit der Wahl der Mittel, das durchzusetzen.
Dieser Satz ist eigentlich so komplex, dass es einen eigenen Thread bedürfte.

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Beitrag von Wallenstein Fr Feb 20, 2015 1:58 pm

an Gontscharow und Segula

Das sind interessante Überlegungen und natürlich haben sich unzählige Wissenschaftler schon damit beschäftigt. Ich habe darüber auch einiges gelesen und kann jetzt vorab nur eine hausbackene Beschreibung abliefern.

Der Mensch ist ein Individuum und an der Erhaltung seiner Existenz interessiert, insofern also von Natur aus eigentlich Egoist. Aber, der Mensch ist auch ein soziales Wesen, er lebt mit anderen und kann nur durch sie existieren und mit ihnen  zusammen, er muss also auf andere Rücksicht nehmen. Die Interessen der Gemeinschaft sind aber nicht zwangsläufig mit denen des einzelnen Individuums identisch. Die Gesellschaft muss so aufgebaut sein, das es zu einem Gleichgewicht kommt zwischen Ego und Alter.

Wenn die Anthropologen Recht haben, lebten wir zu 99% unserer Entwicklungsgeschichte in kleinen Gruppen, den berühmten Jägern und Sammlern. Hier existiert eine extreme gegenseitige Abhängigkeit. Nur durch Zusammenarbeit und Teilung von Früchten und Tieren kann sie überleben. Wer mehr erwirtschaftet, als er braucht, gibt seiner Gruppe etwas ab, denn morgen benötigt er vielleicht Hilfe. Überschüsse werden gemeinsam aufgebraucht und an alle verteilt. Es gibt so gut wie nichts, was man sich privat aneignen könnte. Egoistisches Verhalten wurde auch hier beobachtet, jemand schnappt sich etwa die besten Stücke der Beute weg, doch in der Regel wird dies von der Gruppe sofort sanktioniert und geahndet. Dies asoziale Verhalten gefährdet die Gemeinschaft unter Umständen in ihrer Existenz. Sozialisation der Kinder läuft auch darauf hinaus, Egoismus zu ächten.

Solche Verhaltensweisen sind möglicherweise auch biologisch verankert. Auch heute gilt Egoismus in vielen Gesellschaften als negative Eigenschaft und Millionäre fühlen sich dazu veranlasst, durch gute Werke wieder etwas an die Gemeinschaft zurückzugeben.

In frühen Ackerbaukulturen bildete sich Sondereigentum heraus, gerodetes Land wurde an Familien oder Sippen verteilt zur besonderen Benutzung. Doch das Ackerland wurde ohne richtige Düngung bald wieder unfruchtbar. Neues Land musste gerodet und dann nach je nach Bedürftigkeit der Mitglieder wieder erneut verteilt werden. Das Obereigentum besaß die Gemeinschaft und forderte solidarisches Verhalten beim Roden, Bewässern, Errichtung von Befestigungen usw.

Man kann an diesen Beispielen sehen: Solidarisches Verhalten entsteht zumeist durch den Druck äußerer Verhältnisse, die das Ausleben von Egoismus unterbinden und als schädlich sanktionieren. Die meisten Religionen versuchen auch, Bindungen an Gemeinschaften zu erzeugen, um solches Verhalten durch Sozialisation in den Köpfen zu verankern.

In späteren Gesellschaften, vor allem in solchen mit starker Verbreitung des Privateigentums, kommt der Egoismus viel stärker zum Durchbruch. Die Familien sind nur durch Tauschprozesse oder rechtlichen Bindungen, beispielsweise Staatsbürgerschaften, miteinander verbunden. Die Soziologen nennen das Vergesellschaftung, während sie die früheren Verbindungen, die häufig auf  affektiver Zuneigung beruhten, als Vergemeinschaftung bezeichnen. Menschen suchen vor allem nach Vergemeinschaftung, dem Zusammenschluss in Partnerschaften, Verbänden, Vereinen etc. weil die Vergesellschaftung anonym und oft abstoßend ist.

In Vergemeinschaftungen kommt es auch zu dem, was als altruistisches Verhalten bezeichnet wird, ein Verhalten, welches dem einzelnen unmittelbar scheinbar keinen Nutzen bringt, sondern nur anderen hilft. Eltern opfern sich für Kinder, einzelnen Menschen für ihre Gruppe usw. Den Sozialisten schwebt anscheinend eine Vergemeinschaftung vor aus lauter altruistisch handelnden Personen und keine Vergesellschaftung nach dem Tauschprinzip, wo jeder nur fragt: Wenn ich das für die mache, was bekomme ich als Gegenleistung?  Ich erwarte ungefähr die gleiche Menge zurück.

Altruistisches Verhalten bringt allerdings wohl auch dem, der dies ausübt, ebenfalls einen gewissen Nutzen, wie vielleicht ein Gefühl der Befriedigung, Anerkennung durch andere und manches mehr. Allerdings ist ein solches Verhalten eher selten.

Die Frage ist also: Wie muss die Gesellschaft aussehen, in der Egoismus und Gemeinnutz keine Gegensätze sind, sondern sich ergänzen: einer für alle, alle für einen. So etwas kann man nicht verordnen, auch nicht erzwingen. Die gesellschaftlichen Bedingungen müssen so sein, dass egoistisches Verhalten ganz von allein von den Menschen vermieden wird, weil es ihnen nur Nachteile bringt, so wie in der frühen Gesellschaft der menschlichen Entwicklung. Wenn Egoismus sich aber auszahlt und viele Vorteile bringt, dann ist nichts zu machen. Das schaffen weder die Religionen oder sozialistische Ideen.

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Beitrag von Exmitglied-1 Fr Feb 27, 2015 12:42 pm

Wallenstein schrieb:an Gontscharow und Segula

...
Auch heute gilt Egoismus in vielen Gesellschaften als negative Eigenschaft und Millionäre fühlen sich dazu veranlasst, durch gute Werke wieder etwas an die Gemeinschaft zurückzugeben.
...
Wenn Egoismus sich aber auszahlt und viele Vorteile bringt, dann ist nichts zu machen. Das schaffen weder die Religionen oder sozialistische Ideen.


Naja, wenn Millionäre Brosamen als Almosen ans Volk verteilen, dann hat das für mich immer ein Geschmeckle. Da steckt doch sicher die Steuerfahndung dahinter. Cool  

Nein, wenn einer sagt: " Die Lage ist so, dass es besser für alle ist, ich arbeite heute länger - notfalls auch ohne Entgelt - dafür bleibt uns der Broterwerb und die Zukunft erhalten. Die Situation muss aber objektiv so sein und nicht von einem Ausbeuter herbeigeführt oder durch einen unfähigen Parteifunktionär angeordnet.

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Beitrag von Gontscharow Fr Feb 27, 2015 1:22 pm

Leider kann man als Arbeitnehmer in den wenigsten Situationen erkennen,
was wirklich Sache ist - man ist auf die Informationen angewiesen, die die
Firmenleitung liefert ( entsprechend im Sozialismus die Funktionäre ).
Deren Interpretationen der Lage sind von vielen Faktoren abhängig - beispielsweise
von dem, was man für die Zukunft erwartet und als wahrscheinlich erachtet.
Man kann nicht wissen, ob es dann wirklich so eintritt.
Meine Erfahrung in unserem Sytem ist, daß Privatunternehmer Unternehmen besser
und verantwortungsvoller führen als "der Staat", wie auch immer er auftritt, als
städtisches Unternehmen, als Krankenversicherung der (ehemaligen) Bahnbeamten
oder als Volkshochschule.
Da ich jahrzehntelang eher links gedacht habe, war diese Erkenntnis nicht leicht für mich,
der Augenschein hat mich aber immer wieder davon überzeugt. Was nicht heißt, daß   j e d e r
Unternehmer sein Unternehmen gut und erfolgreich führt - tut er es nicht oder sind die Umstände gegen ihn, muß aber er persönlich dafür haften und die Verantwortung tragen, was auch ein großer und entscheidender Unterschied zur Staatswirtschaft ist, wo das Prinzip der
persönlichen Verantwortung kaum umgesetzt wird.
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