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Bleiben staatliche Verbrechen ungesühnt?

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Marek1964
Wallenstein
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Beitrag von Wallenstein Sa Apr 18, 2015 11:16 am

„Rache ist sinnlos, aber bestimmte Leute hatten keinen Platz in der Welt, die wir errichten wollten.“
Simone de Beauvoir 1945

Gestern, am 17. April, erinnerte man sich in Kambodscha an die Eroberung der Hauptstadt durch die Roten Khmer  vor 40 Jahren. Nur drei Verantwortliche wurden bis heute von Gerichten verurteilt, alle anderen amnestiert.

Nicht nur in Deutschland tut man sich mit der Vergangenheitsbewältigung schwer. In Spanien erließ die Regierung 1977 ein Gesetz über eine umfassende Amnestie für alle politischen Straftaten aus der Franco Zeit. Dies sollte vor allem den Gegnern der Diktatur helfen, aber nun wurden auch alle Helfer des Regimes von jeder Strafverfolgung befreit. Während des Bürgerkrieges und vor allem auch in der Zeit danach wurden zehntausende von Republikanern exekutiert. Noch heute findet man Massengräber aus dieser Zeit. Niemand muss sich dafür verantworten, selbst wenn die Mörder bekannt sein sollten.

In Japan wurden nach 1945 28 Haupttäter von einem internationalen Gericht in den Tokioter Prozessen verurteilt, sieben davon zum Tode, die anderen zu lebenslangen Freiheitsstrafen, aber vorzeitig entlassen. Die japanischen Behörden selber interessierten sich nicht für die Verfolgung von Schuldigen, sondern waren erfolgreich damit bemüht, den Krieg aus dem Gedächtnis der Bevölkerung zu löschen.

In Italien wurden nach 1945 etwa 50 Personen zum Tode verurteilt, ungefähr 50.000 Personen kamen vor Gericht, doch die Urteile wurden im März 1946 fast alle wieder aufgehoben und die Angeklagten begnadigt. Der damalige kommunistische Justizminister Togliatti entwarf diese Generalamnestie.

Und hier ist das Problem. Togliatti versprach sich keinen Nutzen davon, in einem Land, in dem Millionen von Menschen durch ihre Beziehung zum Faschismus kompromittiert waren, unter anderem die gesamte Elite des Landes, Strafverfolgungen durchzuführen. Er wollte eine Rückkehr zur Normalität und die faschistische Ära abschließen. Und das ist immer das Argument. Viel zu viele Menschen sind in die Verbrechen involviert, besser, man lässt die Vergangenheit in Ruhe.

Gibt es andere Wege? In Südafrika gründete man Wahrheitskommissionen, Täter und Opfer sollten sich begegnen und versöhnen, allen wurde Straffreiheit garantiert. Nicht nur Weiße, auch Schwarze, die terroristische Gewalttaten begangen hatten, mussten sich verantworten. Die Ergebnisse sind umstritten, viele Täter zeigten keine Reue, die Opfer waren mit der Prozedur oft unzufrieden.

In einer Reihe lateinamerikanischer Staaten wurden ebenfalls solche Wahrheitskommissionen gegründet, um die Zeit der Militärdiktaturen aufzuarbeiten wie z.B. in Chile oder Peru. Die Ergebnisse sind umstritten.

Werden manchmal tatsächlich staatliche Verbrechen später verfolgt, wirkt dies nicht selten wie eine nachträgliche Verhöhnung der Opfer. In My Lai in Vietnam ermordeten amerikanische Soldaten 1968 über 500 Zivilisten. Die Armee versuchte, dieses Massaker zu verheimlichen, aber dann wurde  es doch von Journalisten entdeckt. Lediglich vier Soldaten wurden angeklagt, aber nur der Offizier, Calley, wurde zu einer lebenslangen Strafe verurteilt, die aber gleich am nächsten Tag von dem Präsidenten Nixon in Hausarrest umgewandelt wurde. Bereits 1974 wurde er begnadigt. 1972 veröffentlichte er sein Buch „Ich war gerne in Vietnam“.

Bleiben staatliche Verbrechen ungesühnt? Eddieadamsvietcong_3378

Quelle: http://www.foerderland.de/uploads/pics/eddieadamsvietcong_3378.png

Ein Bild, das um die Welt ging. Einige Verbrechen wurden gar nicht erst verfolgt. Der Polizeichef von Saigon, Nguyễn Ngọc Loan, erschießt auf offener Straße einen Vietcong. 1975 flüchtete er in die USA und betrieb dort eine Pizzeria. Jede Strafverfolgung wurde von den amerikanischen Behörden  abgelehnt.

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Beitrag von Marek1964 Sa Apr 18, 2015 5:24 pm

Ja, es scheint wohl so zu sein, dass diese Verbrechen zu bestrafen meist dann aus politischer "Vernunft" nicht gewollt sind. Man solle ja nach vorne schauen, gewissermassen.

Die oft gebrachte Ausrede, man habe nur "Befehle ausgeführt" hilft wohl auch mit, das die Gesellschaft das ganze lieber unter den Teppich kehrt als aufarbeitet.

Auch die Verbrechen der Deutschen in Belgien im ersten Weltkrieg wurden ebensowenig gesühnt wie diejenigen der Österreicher in Serbien, wo auch Frauen gehängt worden sind.

Das Thema haben wir hier auch schon angesprochen: https://geschichte-forum.forumieren.de/t271-auch-frauen-gehangt-osterreichische-kriegsverbrechen-in-serbien-im-ersten-weltkrieg

Über die Verbrechen der Roten Khmer, hier der link: https://geschichte-forum.forumieren.de/t351-kambodscha-unter-pol-pot-der-alptraum-der-roten-khmer-massenmord-am-eigenen-volk
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Beitrag von wfwbinder So Apr 19, 2015 11:11 am

Bei den Kriegsverbrechen gibt es (so schwer so etwas zu verstehen ist) auch Abstufungen in der Schuld.

So wurden und werden in Kriegen, Massenvergewaltigungen als Terrorinstrument für die Kriegsführung eingesetzt. Dies ist von der individuellen Schuld von Einzeltätern zu unterscheiden, so schwer das nachzuvollziehen sein mag.

Erschießungen wie in Katyn, sind davon zu unterscheiden, dass eventuell ein Soldat sich ergebende Feide mit dem Maschinengewehr niedermäht, weil er eventuell vor Stunden, oder am Vortag Kameraden tot vorgefunden hat, die im gefesselten Zustand vom Feind erschossen wurden.

Diese Liste könnte man lange fortsetzen. Wie will man in Prozessen nach eventuell Jahren, diesen Taten gerecht werden?

Man sieht es ja auch daran, dass die USA es völlig ablehnen, einen internationalen Gerichtshof für ihre Soldaten anzuerkennen.
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Beitrag von Wallenstein So Apr 19, 2015 12:13 pm

Kriegsverbrechen sind noch wieder ein besonderes Kapitel für sich. Sie werden auch von demokartischen Staaten begangen.
Ich hatte allerdings vor allem die Aufarbeitung von Diktaturen vor Augen. Und da scheint mir die Idee der südafrikanischen Wahrheitskommissionen nicht schlecht zu sein, die Konfrontation zwischen Täter und Opfer. Trotz aller Kritikpunkte, meines Erachtens immer noch besser, als wenn man gar nichts macht.

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Beitrag von Gontscharow Mo Apr 20, 2015 11:05 am

Ich fand die Idee der südafrikanischen truth commissions auch genial - beide Seiten werden angehört, um der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Wenn Täter und Opfer sich dabei gegnübersitzen, werden beide eher dazu neigen, sich so genau wie möglich an die wahren Umstände und Begebenheitgen zu erinnern, weil der jeweils andere sie eben auch kennt.
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Beitrag von Klartext Mo Apr 20, 2015 11:27 am

Verbrechen gehören immer bestraft. Das mit den Truth commssions kann ich mir nicht so recht vorstellen, vor allem für die Opfer muss das doch unerträglich sein, wenn sie den Peinigerns gegenüberstehen und diese dann nicht bestraft werden sondern nur darüber geredet wird?

Oder verstehe ich da etwas falsch?

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Beitrag von Wallenstein Mo Apr 20, 2015 1:12 pm

Klartext schrieb:Verbrechen gehören immer bestraft. Das mit den Truth commssions kann ich mir nicht so recht vorstellen, vor allem für die Opfer muss das doch unerträglich sein, wenn sie den Peinigerns gegenüberstehen und diese dann nicht bestraft werden sondern nur darüber geredet wird?

Oder verstehe ich da etwas falsch?

Nein, du hast völlig richtig verstanden. Für die Opfer muss dies auch qualvoll gewesen sein, vor allem dann, wenn die Täter keine Reue zeigen.

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Beitrag von Judas Phatre Mo Apr 20, 2015 1:53 pm

Verzeihen zu lernen ist eine der wichtigsten Lektionen des Lebens. Strafe ist kein Selbstzweck, sondern soll der Gemeinschaft dienen. Straftaten in besonderen Situationen sind auch besonders zu werten. Das gilt vor allem im Krieg aber auch z.B. im Dritten Reich. Hier trat die Rohheit, der Egoismus und die Dummheit der Menschen besonders zutage. Das dumme ist, dass man aus genau diesen Menschen den neuen Staat bauen muss. Das geht nicht ohne Verzeihen.
Ein gutes Beispiel ist Ruanda. Es entwickelt sich zum wirtschaftlichen Motor der Region. Wie sollte das ohne Vergebung möglich sein?
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Beitrag von Wallenstein Mo Apr 20, 2015 3:11 pm

Das ist schön gesagt, aber das Verzeihen darf keine einseitige Angelegenheit sein. Man sollte zumindest von den Tätern erwarten, dass sie sich ihrer Schuld bewusst sind und Reue zeigen. Das ist aber gerade bei Personen, die im Auftrage des Staates Verbrechen begehen, oft nicht der Fall. Sie fühlen sich unschuldig, glauben, sie hätten alles richtig gemacht. Khieu Samphan, Hauptschuldiger an dem Massenmord in Kambodscha, will von den Massakern nichts gewusst haben, Mladic, der Schlächter vom Balkan und sein Kumpel Karadžić, die in Holland vor Gericht stehen, fühlen sich unschuldig und sehen sich als Opfer einer Verleumdung, auch Eichmann in Jerusalem präsentierte sich als Unschuldslamm. Sie drehen den Spieß um, blame the victims, wie das etwa Mladic gegenwärtig macht. Leuten, die sich nicht schuldig fühlen und auch jetzt noch ihre Opfer verhöhnen, diesen Menschen kann man nicht verzeihen.

Ich bin der Meinung: Klar, die vielen Mitläufer kann man nicht bestrafen, da hilft nur eine Amnestie. Aber wenn ganz offensichtlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorliegen, muss eine Bestrafung erfolgen. Diese Art von Verbrechen wurde in der Londoner Charta vom 8. August 1945 erstmals definiert und bildete die Grundlage für die Nürnberger Prozesse:

„„Verbrechen gegen die Menschlichkeit, unter anderem: Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche Akte gegen die Zivilbevölkerung oder: Verfolgung aufgrund von rassistischen, politischen und religiösen Motiven; unabhängig davon, ob einzelstaatliches Recht verletzt wurde.“ (Londoner Charta von 1945)

Artikel 7 des 2002 in Kraft getretenen Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs als Rechtsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshofes definiert den Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ im Einzelnen.

Siehe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Verbrechen_gegen_die_Menschlichkeit
In solchen Fällen, die nachgewiesen wurden, sollte meiner Meinung nach in jedem Falle eine Strafverfolgung einsetzen. Über die Höhe des Strafmaßes muss dann von Fall zu Fall entschieden werden.

In den vielen Fällen, wo nur eine geringe Belastung vorliegt, wird man von einer Straffreiheit ausgehen. Sind diese Personen allerdings in Positionen aktiv gewesen, bei denen man von einer Belastung ausgehen kann, ohne das aber schwerwiegende Verbrechen vorliegen, ist eine Entfernung von der Position wahrscheinlich sinnvoll. So ist man nach der Wiedervereinigung in der früheren DDR vorgegangen. Richter, Staatsanwälte, Polizeioffiziere, Generäle, Schulleiter usw. wurden aus dem Dienst entlassen. Das wird man wohl nicht in allen Ländern so machen können, in Deutschland hatten wir aber 1989 jede Menge Ersatzpersonal.

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Beitrag von wfwbinder Mo Apr 20, 2015 3:15 pm

Judas Phatre schrieb:Verzeihen zu lernen ist eine der wichtigsten Lektionen des Lebens. Strafe ist kein Selbstzweck, sondern soll der Gemeinschaft dienen. Straftaten in besonderen Situationen sind auch besonders zu werten. Das gilt vor allem im Krieg aber auch z.B. im Dritten Reich. Hier trat die Rohheit, der Egoismus und die Dummheit der Menschen besonders zutage. Das dumme ist, dass man aus genau diesen Menschen den neuen Staat bauen muss. Das geht nicht ohne Verzeihen.
Ein gutes Beispiel ist Ruanda. Es entwickelt sich zum wirtschaftlichen Motor der Region. Wie sollte das ohne Vergebung möglich sein?

Wobei man sagen muss, dass es für viele Opfer schon schwierig sein muss zu verzeihen. Ich sah in einem Fernsehbericht über Liberia ein Opfer, dem man beide Hände mit der Machete abgeschlagen hatte. Wie schwer muss es so einem Menschen sein, dass zu verzeihen?
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Beitrag von Klartext Mo Apr 20, 2015 9:59 pm

Also ich stimme das Wallenstein und wfwbinder zu - verzeihen kann man nur, wenn der Gegenüber bereut und Wiedergutmachung zu leisten bereit ist. Bei abgehackten Händen hiesse das, dem anderen bis zum Ende des Lebens behilflich zu sein.

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Beitrag von Judas Phatre Di Apr 21, 2015 1:27 pm

Was ich sagen wollte, ist, dass man 2 Dinge trennen muss:
1. die Verbesserung der Gesellschaft
2. Rache
Der erste Punkt ist sehr kompliziert und ganz ohne Strafe wird es nicht gehen. Der Egoismus ist berechnend. Also darf sich Verbrechen nicht lohnen. Der Internationale Gerichtshof, der Kriegsverbrecher aus Jugoslawien und Afrika aburteilt, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Eindeutige individuelle Schuld sollte auch im Einzelfall bestraft werden. Nur muss nach einer Situation, wo Verbrechen legal waren oder sogar wie im Krieg gefordert wurden, das Hauptaugenmerk nicht auf Vergeltung sondern auf Besserung liegen. Ich bin nicht einmal überzeugt, dass es eine gute Idee war, die Richter und Staatsanwälte der DDR auszumustern. "Umschulung" und Kontrolle wäre besser gewesen. Sie hätten zeigen können, dass Menschen sich ändern können.
Punkt 2 ist immer falsch. Rache ist Verbrechen in umgekehrter Reihenfolge. Es läuft mir kalt den Rücken 'runter, wenn ich an die Parties bei Exekutionen in Amerika denke. Der Mensch, dem beide Hände abgehackt wurden, gewinnt nichts, wenn der Verbrecher auch beide Hände verliert.
Auge um Auge und die ganze Welt wird blind.
Apropos: Ich finde es interessant, dass gerade die Kirche, die sich in der Nachfolge von Jesus sieht, Buße für "Sünden" fordert und damit das Racheprinzip befolgt. Die gnostischen Gegner der Antike haben ihr das immer zu recht vorgeworfen. Für die Gnostiker bestand Jesus' Botschaft darin, dass man nicht für seine Fehler bestraft wird, sondern zum Umdenken gebracht wird. Ich denke, weder Jesus von Nazareth noch M.K. Gandhi hätten gewollt, dass ihre Mörder ebenfall getötet würden.
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Beitrag von Wallenstein Di Apr 21, 2015 2:57 pm

Unter Strafe meinte ich die juristische Definition aus dem Strafrecht. Sie ist eine Sanktion der Gesellschaft gegen abweichendes, anderen Mitgliedern der Gesellschaft schädigendes Verhalten.

„Eine Strafe ist als eine Sanktion anzusehen, welche aufgrund eines bestimmten Verhaltens, welches als Unrecht anzusehen ist, verhängt wird. Im Strafrecht dient sie dazu, eine Person für einen Verstoß gegen eine Rechtsnorm zu bestrafen. Dies kann aus verschiedenen Gründen geschehen:

   Als Generalprävention, was bedeutet, dass andere potentielle Täter durch die Strafe abgeschreckt werden sollen.

   Als Spezialprävention, welche dazu dienen soll, den Bestraften zum Besseren zu verändern.

   Zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit.

   Zum Schutz anderer Personen vor dem Bestraften.“

http://www.juraforum.de/lexikon/strafen

Rache wird juristisch nicht näher definiert. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird häufig darunter verstanden, dass ein Unrecht durch ein anderes Unrecht ausgeglichen werden soll. Das ist in meinem Beitrag aber nicht gemeint.

In Diktaturen wird aber oftmals aus Unrecht Recht gemacht. Deshalb muss es einen Bezugspunkt geben, der sagt, was Recht ist. Laut UNO sind das die Menschenrechte. Wenn eine Diktatur Gesetze erlässt oder Maßnahmen durchführt, die gegen die Menschenrechte verstoßen, dann ist dies Unrecht. Wer diese Gesetze oder Maßnahmen dann dennoch befolgt, begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der Definition durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

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Beitrag von Judas Phatre Do Apr 23, 2015 1:27 pm

Wallenstein schrieb:
   Zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit.

Rache wird juristisch nicht näher definiert. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird häufig darunter verstanden, dass ein Unrecht durch ein anderes Unrecht ausgeglichen werden soll. Das ist in meinem Beitrag aber nicht gemeint.
"Wiederherstellung von Gerechtigkeit" kann die Rache beinhalten. Geldstrafe, besonders aber die Haftstrafe dient der Schädigung eines Menschen, daran ist nicht zu rütteln. Ob damit ein weitergehender Effekt erreicht wird, ist strittig. Für mich steht die Rache und das Entfernen eines Individuums an oberster Stelle bei der Strafe.
Wallenstein schrieb:
In Diktaturen wird aber oftmals aus Unrecht Recht gemacht. Deshalb muss es einen Bezugspunkt geben, der sagt, was Recht ist. Laut UNO sind das die Menschenrechte. Wenn eine Diktatur Gesetze erlässt oder Maßnahmen durchführt, die gegen die Menschenrechte verstoßen, dann ist dies Unrecht. Wer diese Gesetze oder Maßnahmen dann dennoch befolgt, begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der Definition durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag.
Auch Demokratien erlassen Gesetze, die gegen Menschenrechte im weiteren Sinn verstoßen, insbesondere handeln Staaten gegen die Menschenrechte. Das ist ein sehr nebulöser Begriff. Man kann kaum vom Einzelnen in einer totalitären Gesellschaft verlangen, dass er sich von deren Ethik trennt und stattdessen nur das Menschenrecht befolgt. Ein gutes Beispiel ist Oskar Gröning. Hier wurde, nachdem kaum noch jemand betroffen ist, eine Erweiterung der Strafverfolgung für NS-Verbrechen erlassen und - schwupp - ist noch einer ins Netz gegangen. Darf man solch einen Menschen nach so langer Zeit für ein Vergehen bestrafen, dass er damals kaum als solches erkennen konnte?
Interessant war ein Interview mit einer KZ-Insassin aus Kanada. Sie wurde wie so viele vor ihr danach gefragt, ob ihr Genugtuung wiederfahren würde. Mir fehlen die Worte.
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Beitrag von Wallenstein Do Apr 23, 2015 2:05 pm

Judas Phatre schrieb:
   . Für mich steht die Rache und das Entfernen eines Individuums an oberster Stelle bei der Strafe.



Wie gesagt, es geht nicht um Rache sondern um Strafe im Sinne des Strafgesetzbuches. Was heißt „Entfernen eines Individuums“? Verstehe ich nicht.


Judas Phatre schrieb:Ein gutes Beispeil  ist Oskar Gröning. Hier wurde, nachdem kaum noch jemand betroffen ist, eine Erweiterung der Strafverfolgung für NS-Verbrechen erlassen und - schwupp - ist noch einer ins Netz gegangen. Darf man solch einen Menschen nach so langer Zeit für ein Vergehen bestrafen, dass er damals kaum als solches erkennen konnte?
Interessant war ein Interview mit einer KZ-Insassin aus Kanada. Sie wurde wie so viele vor ihr danach gefragt, ob ihr Genugtuung wiederfahren würde. Mir fehlen die Worte.

Natürlich kann man das und das geschieht jetzt hoffentlich auch. Genauso wie Mord nie verjährt, verjähren auch diese Verbrechen glücklicherweise nicht. Jemand, der dabei behilflich ist,  täglich Menschen für das Gas auszusortieren, muss klar sein, das so etwas ein Verbrechen ist. Ganz Ausschwitz war ein ungeheuerliches Verbrechen und es kann doch wohl keiner so dumm sein, um dies nicht zu bemerken. Dass die Überlebenden froh sind über diesen Prozess, kann ich sehr gut nachvollziehen. Nur schade, dass dieses Schwein, ein anderes Wort fällt mir jetzt nicht ein, erst jetzt vor Gericht kommt, ist schade. Das ist viel zu spät. Er hätte eine sehr lange Gefängnisstrafe verdient. Jetzt wird er wahrscheinlich für haftunfähig erklärt.[/quote]
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Beitrag von wfwbinder Do Apr 23, 2015 2:33 pm

Wallenstein schrieb:
Judas Phatre schrieb:Ein gutes Beispeil  ist Oskar Gröning. Hier wurde, nachdem kaum noch jemand betroffen ist, eine Erweiterung der Strafverfolgung für NS-Verbrechen erlassen und - schwupp - ist noch einer ins Netz gegangen. Darf man solch einen Menschen nach so langer Zeit für ein Vergehen bestrafen, dass er damals kaum als solches erkennen konnte?
Interessant war ein Interview mit einer KZ-Insassin aus Kanada. Sie wurde wie so viele vor ihr danach gefragt, ob ihr Genugtuung wiederfahren würde. Mir fehlen die Worte.

Natürlich kann man das und das geschieht jetzt hoffentlich auch. Genauso wie Mord nie verjährt, verjähren auch diese Verbrechen glücklicherweise nicht. Jemand, der dabei behilflich ist,  täglich Menschen für das Gas auszusortieren, muss klar sein, das so etwas ein Verbrechen ist. Ganz Ausschwitz war ein ungeheuerliches Verbrechen und es kann doch wohl keiner so dumm sein, um dies nicht zu bemerken. Dass die Überlebenden froh sind über diesen Prozess, kann ich sehr gut nachvollziehen. Nur schade, dass dieses Schwein, ein anderes Wort fällt mir jetzt nicht ein, erst jetzt vor Gericht kommt, ist schade. Das ist viel zu spät. Er hätte eine sehr lange Gefängnisstrafe verdient. Jetzt wird er wahrscheinlich für haftunfähig erklärt.
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Ich denke, dass Empfinden der Strafe die ein Täter bekommt ist auch für den Geschädigten, oder den Angehörigen sehr unterschiedlich.

Eine möchte, dass der Täter "verknackt" wird. Der nächste sagt, was habe ich davon, wenn der 10 Jahre im Gefängnis brummt, mir geht es vorallem daraum, dass es zugegeben wird.

Andere hätten wiederum Rachegedanken.

Man hat es ja schon in den Nürnberger Prozessen gesehen, dass es den entscheidenden Leuten an Einsicht gefehlt hat. Wenn Leute, die zu der Zeit wo sie im KZ Verbrechen begingen gerade knapp über 20 waren, als Jahrgänge 1923 - 1925, die haben den größten Teil Ihrer Jugend in einem Schul- und Jugenderziehungssystem verbracht, was sie mit Vorurteilen ausgestattet hat. Die konnten nicht das gleiche Schuldgefühl haben, wie ein Mensch, der das nicht mitgemacht hat. Dazu noch, wenn sie durch Befehl dazu verpflichtet wurden. Verschärfend, hätten sie sich geweigert, wären sie eventuell wegen Befehlsverweigerung erschossen worden.
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Beitrag von Wallenstein Do Apr 23, 2015 3:06 pm

Judas Phatre schrieb:
   


Auch Demokratien erlassen Gesetze, die gegen Menschenrechte im weiteren Sinn verstoßen, insbesondere handeln Staaten gegen die Menschenrechte. Das ist ein sehr nebulöser Begriff.

Ganz so nebulos sind die Menschenrecht nicht, sonst könnten auch die Richter in Den Haag keine Urteile fällen. Die Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von der UNO verabschiedet wurden, finden sich übrigens unter
https://www.amnesty.de/umleitung/1899/deu07/001

Natürlich können auch Demokratien Gesetze erlassen, die gegen Menschrechte verstoßen. Nenne mal einige Beispiele aus der BRD.

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Beitrag von wfwbinder Do Apr 23, 2015 3:10 pm

Wallenstein schrieb:

Natürlich können auch Demokratien Gesetze erlassen, die gegen Menschrechte verstoßen. Nenne mal einige Beispiele aus der BRD.

Na die Beispiele interessieren mich dann aber auch.
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Beitrag von Judas Phatre Do Apr 23, 2015 6:25 pm

Wallenstein schrieb:
Judas Phatre schrieb:
   . Für mich steht die Rache und das Entfernen eines Individuums an oberster Stelle bei der Strafe.
Was heißt „Entfernen eines Individuums“? Verstehe ich nicht.
...aus der Gesellschaft. Stichwort: "Sicherheitsverwahrung".

Wallenstein schrieb:
Judas Phatre schrieb:Ein gutes Beispeil  ist Oskar Gröning. Hier wurde, nachdem kaum noch jemand betroffen ist, eine Erweiterung der Strafverfolgung für NS-Verbrechen erlassen und - schwupp - ist noch einer ins Netz gegangen. Darf man solch einen Menschen nach so langer Zeit für ein Vergehen bestrafen, dass er damals kaum als solches erkennen konnte?
Interessant war ein Interview mit einer KZ-Insassin aus Kanada. Sie wurde wie so viele vor ihr danach gefragt, ob ihr Genugtuung wiederfahren würde. Mir fehlen die Worte.
Jemand, der dabei behilflich ist,  täglich Menschen für das Gas auszusortieren, muss klar sein, das so etwas ein Verbrechen ist. Ganz Ausschwitz war ein ungeheuerliches Verbrechen und es kann doch wohl keiner so dumm sein, um dies nicht zu bemerken.
Ich glaube, das war ihm sogar klar. Nur war er ein sehr junger Mensch nach einer Gehirnwäsche. Andere in seiner Situation hielten das für Gerechtigkeit, was dort passierte. Ich überblicke nicht alle Einzelheiten, aber es sieht für mich so aus, als ob er versuchte, dort wegzukommen, an die Front, und das, obwohl der Krieg schon so gut wie verloren war. Er hat nach dem Krieg nicht geleugnet, wie so viele andere. Er hat das Getane bereut. Was will ich mehr von einem Menschen mit über 90?
Wallenstein schrieb:
Dass die Überlebenden froh sind über diesen Prozess, kann ich sehr gut nachvollziehen. Nur schade, dass dieses Schwein, ein anderes Wort fällt mir jetzt nicht ein, erst jetzt vor Gericht kommt, ist schade. Das ist viel zu spät. Er hätte eine sehr lange Gefängnisstrafe verdient. Jetzt wird er wahrscheinlich für haftunfähig erklärt.
Es macht für mich keinen Sinn, ihn den Rest seines Lebens einzusperren. Viel wichtiger ist, dass er erzählt, wie es kam und wie er dazu steht. Bestrafen kann man ihn doch kaum noch.
Wenn man all die Mitläufer, Duckmäuser und Gehilfen des NS-Regimes bestrafen wollte, wären nach dem Krieg nicht viele übriggeblieben. Allein die Soldaten, die für das Verbrecherregime einen Angriffs- und Vernichtungskrieg geführt haben. Die haben wirklich Unschuldige getötet.
Für mich ist der Skandal nicht, dass so wenig gestraft, sondern, dass so viel geschwiegen wurde.
Will man die Intention bestrafen? Duckmäuser gibt es auch heute noch. Soll man die Buchhalter der deutschen Rüstungsindustrie, die nach dem Krieg Antipersonenminen hergestellt hat, bestrafen?
Wenn man vor solch einem Riesenscherbenhaufen steht, wie unsere Vorfahren nach 1945 oder Südafrika nach der Apartheid, dann muss man vergeben, was irgendwie menschlich verständlich ist, solange die Menschen bereit sind, umzudenken.
Südafrika ist für mich in dieser Frage vorbildlich. "Truth and Reconciliation Commission" und "Confirmative Action" hätte auch Deutschland gut getan.
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Beitrag von Judas Phatre Do Apr 23, 2015 6:34 pm

Wallenstein schrieb:
Judas Phatre schrieb:
Auch Demokratien erlassen Gesetze, die gegen Menschenrechte im weiteren Sinn verstoßen, insbesondere handeln Staaten gegen die Menschenrechte. Das ist ein sehr nebulöser Begriff.

Ganz so nebulos sind die Menschenrecht nicht, sonst könnten auch die Richter in Den Haag keine Urteile fällen. Die Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von der UNO verabschiedet wurden, finden sich übrigens unter
https://www.amnesty.de/umleitung/1899/deu07/001

Natürlich können auch Demokratien Gesetze erlassen, die gegen Menschrechte verstoßen. Nenne mal einige Beispiele aus der BRD.
Artikel 1
"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen."
Deutschland unterscheidet zwischen Bürgern und Fremden, Freien und Gefangenen (die ihre Bürgerrechte verlieren). Das widerspricht im weiteren Sinne gleich dem ersten Artikel. Ohne in die weltanschaulichen Tiefen vordringen zu wollen, kann man wohl sagen, dass zwischen philosophischem Anspruch und dem Machbaren ein großer dunkler Riss klafft, klaffen muss. Natürlich kann man nach dem Grundgesetz und den Menschenrechten urteilen. Es wird aber immer eine relative Gerechtigkeit bleiben.
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Beitrag von wfwbinder Do Apr 23, 2015 10:02 pm

Judas Phatre schrieb:
Artikel 1
"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen."
Deutschland unterscheidet zwischen Bürgern und Fremden, Freien und Gefangenen (die ihre Bürgerrechte verlieren). Das widerspricht im weiteren Sinne gleich dem ersten Artikel. Ohne in die weltanschaulichen Tiefen vordringen zu wollen, kann man wohl sagen, dass zwischen philosophischem Anspruch und dem Machbaren ein großer dunkler Riss klafft, klaffen muss. Natürlich kann man nach dem Grundgesetz und den Menschenrechten urteilen. Es wird aber immer eine relative Gerechtigkeit bleiben.

Lieber JudasPhatre, ich schätze Deine Beiträge sehr. Sie geben immer neben Antworten auch Anstöße zu einer anderen Sichtweise, aber hier bitte ich Dich, Deine Ansichten zu überdenken.

Deutschland unterscheidet zwischen Bürgern und Fremden. Stimmt, ich habe noch nie einen Asylanten in der U-Bahn um Geld schnorren sehen, weil er noch kein Nachtlager hat. Natürlich ist der Satz tendenziös, aber wenn man keinen Unterschied machen würde, hätte jeder, der die deutsche Grenze überschreitet, alles Rechte eines Deutschen auf Sozialleistungen. Das könnten wir nicht leisten.

Gefangene verlieren nicht die Bürgerrecht (sie können wählen), denn der früher vorhandene Strafbestandteil "Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf X Jahre" gibt es nicht mehr. Gefangene verlieren die Freiheit, weil das als Strafe ausgesetzt ist. In einem anderen Thema habe ich selbst vorgeschlagen an andere Strafen als Freiheitsstrafen zu arbeiten. Aber auch DU empfiehlst ausdrücklich die Sicherungsverwahrung udn die ist problematisch, weil sie Freiheitsverlust über die verhängte Strafe hinaus bedeutet.

Man sollte sich nie an den Fehlern anderer orientieren, sondern immer versuchen eigene Fehler zu verringern, aber ich denke die Bundesrepublik ist eines der demokratischsten Länder der Erde.

Man bedenke, der selbsternannte Vorzeigestaat des Westens, unterhält ein Lager in dem Menschen inhaftiert sind. Ohne Urteil, ohne Anspruch darauf sich auf die Verfassung des Landes zu beziehen, das sie inhaftiert hat und selbst die höchsten Richter des Landes sagen nichts dazu.
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Beitrag von Judas Phatre Do Apr 23, 2015 10:30 pm

wfwbinder schrieb:Natürlich ist der Satz tendenziös, aber wenn man keinen Unterschied machen würde, hätte jeder, der die deutsche Grenze überschreitet, alles Rechte eines Deutschen auf Sozialleistungen. Das könnten wir nicht leisten.
Das ist der Unterschied zwischen Anspruch und Machbarkeit. Ich habe das nicht gewertet. Es war nur zur Demonstration, dass die Menschenrechte der UN von heute kein Maßstab sind, an dem man das Verhalten eines Jugendlichen der 40er Jahre messen kann.
wfwbinder schrieb:
Gefangene verlieren nicht die Bürgerrecht (sie können wählen),
Oh, Wissenslücke meinerseits. Für die Vergangenheit gilt das aber zumindest.
wfwbinder schrieb:
Aber auch DU empfiehlst ausdrücklich die Sicherungsverwahrung und die ist problematisch, weil sie Freiheitsverlust über die verhängte Strafe hinaus bedeutet.
Noch einmal: Ich hebe nicht den moralischen Zeigefinger, ich behaupte nicht, ich wäre der Garant der Menschenrechte oder wüsste, wie man die Probleme der Menschheit löst. Ich will nur zeigen wie schwierig die Bewertung von Taten von vor 70 Jahren ist und dass man lieber einen zuviel schont. Ich stehe dazu, dass es besser sein kann, die Bevölkerung vor manchen Menschen zu schützen, OBWOHL das meiner Meinung nach gegen die Menschenrechte verstößt.
wfwbinder schrieb:
Man sollte sich nie an den Fehlern anderer orientieren, sondern immer versuchen eigene Fehler zu verringern, aber ich denke die Bundesrepublik ist eines der demokratischsten Länder der Erde.
Ich wollte in keinem anderen Land leben. Ich bin der Meinung, dass die BRD sogar in manchen Aspekten anarchistische Züge aufweist, die über die Demokratie hinausgehen. Doch woran liegt das? Das ist sozusagen Adolfs Verdienst. Wären wir nicht der Staat, der das grausamste Verbrecherregime hatte, wären wir heute anders. Ich meinte, SOGAR demokratische Länder erlassen Gesetze, die streng genommen gegen die Menschenrechte verstoßen. Das Beispiel aus unserem Land ist die nachträgliche Sichrheitsverwahrung, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gekippt wurde. Für die USA würde ich auf die Regelungen nach dem 11. September 2001 verweisen, wie Du selbst aufführst:
wfwbinder schrieb:
Man bedenke, der selbsternannte Vorzeigestaat des Westens, unterhält ein Lager in dem Menschen inhaftiert sind. Ohne Urteil, ohne Anspruch darauf sich auf die Verfassung des Landes zu beziehen, das sie inhaftiert hat und selbst die höchsten Richter des Landes sagen nichts dazu.
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Beitrag von wfwbinder Fr Apr 24, 2015 3:17 pm

Judas Phatre schrieb:
Ich wollte in keinem anderen Land leben. Ich bin der Meinung, dass die BRD sogar in manchen Aspekten anarchistische Züge aufweist, die über die Demokratie hinausgehen. Doch woran liegt das? Das ist sozusagen Adolfs Verdienst. Wären wir nicht der Staat, der das grausamste Verbrecherregime hatte, wären wir heute anders. Ich meinte, SOGAR demokratische Länder erlassen Gesetze, die streng genommen gegen die Menschenrechte verstoßen. Das Beispiel aus unserem Land ist die nachträgliche Sichrheitsverwahrung, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gekippt wurde. Für die USA würde ich auf die Regelungen nach dem 11. September 2001 verweisen, wie Du selbst aufführst:
wfwbinder schrieb:
Man bedenke, der selbsternannte Vorzeigestaat des Westens, unterhält ein Lager in dem Menschen inhaftiert sind. Ohne Urteil, ohne Anspruch darauf sich auf die Verfassung des Landes zu beziehen, das sie inhaftiert hat und selbst die höchsten Richter des Landes sagen nichts dazu.

Das schlimme (oder Gute) ist, dass es keine gesetzliche Regelung ist. Die US-Truppen haben die Leute einfach gefangen genommen und nach Guantanamo gebracht.

Man muss sch das vorAugen führen, die sitzen dort ohne Urteil, ohne Klärung des Status, ob Kriegsgefangener, oder einer kriminellen Tat angeklagt, inzwischen länger, als die deutschen
Kriegsgefangenen seinerzeit in Sibirien. Das kann man auch nicht damit entschuldigen, dass auf Kuba ja das Wetter besser ist.
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Beitrag von Marek1964 Fr Apr 24, 2015 4:41 pm

Ein anderes Beispiel hierfür sind die Massaker im Rahmen des Völkermords an den Armeniern - das Auf und Ab lässt sich in wikipedia, dessen Artikel im übrigen mE sehr gut ist, recht gut nachvollziehen.

Als das den Krieg verlierende Türkei mit den Alliierten verhandelte, stimmte sie der Bestrafung der Verantwortlichen zu. http://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermord_an_den_Armeniern#.E2.80.9EUnionistenprozesse.E2.80.9C_und_politische_Entwicklung_bis_1920
17 Todesurteile wurden ausgesprochen, drei vollstreckt. Als dann aber die politische Situation sich änderte liess man einige frei, Briten internierten noch einige nach Malta, von wo sie aber später von den Türken freigepresst worden sind.

Allerdings bildete sich in der Operation nemesis, die ua vor allem zwei der drei Hauptverantwortlichen erschoss, Said Halim Pascha und Cemal Pascha und Talat Pascha.

http://www.operationnemesis.com/
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Beitrag von Judas Phatre Sa Apr 25, 2015 8:40 am

Vielleicht noch einmal etwas Grundsätzliches zu staatlich-gesellschaftlich motivierten Verbrechen:
Die Position, die ich im Allgemeinen vertrete, ist, dass man das Individuum nicht von seiner Gesellschaft trennen darf. Wenn man das tut, begeht man unweigerlich Fehler. Trennungen sind eine Illusion. Wir sind das Produkt der Gesellschaft, in der wir aufgewachsen sind. Unsere Leistungen sind gesellschaftliche Leistungen, unsere Verbrechen gesellschaftliche Verbrechen. "Gerechtigkeit" ist kein feststehender Begriff. Das Ziel muss am Ende ein gesellschaftliches sein. Die Gemeinschaft muss profitieren.
Unser System der Bestrafung hat seine Wurzeln in der Auflösung der Familienverbände. Sie ersetzen die Liebe, die ein Familienmitglied davon abhält, ein Verbrechen zu begehen. Dabei erhalten Straftäter die Rolle eines gefährlichen Tieres, also von etwas Fremdem, Feindlichen, Unverbesserlichen. Das Effektivste ist die Tötung. Danach kommt die Verstümmelung (Handamputation von Dieben). Die Vergeltung "Auge um Auge" ist eine scheinlogische Weiterentwicklung. Danach kommt das Einsperren.
Am Ende sind Verbrecher aber in der Regel nichts Anderes als wir. Sie sind ein Teil unserer Gesellschaft. Der Hollywood-Bösewicht ist eine absolute Rarität. Es sind Menschen, die Fehler machen. Seneca sagt, dass ein Verbrecher sich selbst bestraft. Das Allerwichtigste ist, dass er das einsieht. Nur so nähern wir uns wieder dem Ursprung, der natürlichen Gesellschaftsform des Menschen. "Zurück zur Natur" ist übrigens auch stoisch und natürlich das Credo der Aufklärung.
Das Beste, was man noch über das Abscheckungssystem sagen kann, ist, dass es potentielle Verbrecher zwingt, zu kalkulieren, ob sich ein Verbrechen lohnt. Ich gebe hier offen zu, dass ich selbst oft solche Berechnungen durchgeführt habe. Aber ist das unser Ziel?
Am Anfang schrieb ich, dass es ein Fehler ist, das Individuum als etwas Abgetrenntes zu betrachten und später, dass Verbrechen Fehler sind. Daraus folgt aber, dass das System der Vergeltungsstrafen ein Verbrechen ist. Aus diesem Grund benutzen Stoiker kaum "Gut" und "Böse", sondern nur "Richtig" und "Falsch".
Ich bin ein entschiedener Gegner aller rechtgläubiger Religionen. Das Christentum hat aber aus seiner frühesten Zeit eine Grundeinstellung bewahrt, die ich hoch einschätze: "Du sollst nicht richten." In dieser Hinsicht halte ich diese Religion dem Islam für überlegen. Wer das Christentum für die Basis unserer Kultur hält, wird sich damit auseinandersetzen müssen.
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