Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Rübezahl schrieb:Österreich hatte Kriegsmotive nicht gegen "fast den gesamten Balkan", sondern nur gegen Serbien, dessen aggressive Expansionspolitik (Serbien hatte ja gerade erst zwei Angriffskriege geführt, mit denen es sein Gebiet fast verdoppelt hatte) Österreich Sorgen bereitete.
Das Gebiet von Kroatien gehörte zum KuK Gebiet, Geteilt zwischen einem österreichischen und einem ungarischen Teil. Also ein Volk, das durch die KuK Monarchie um die Nationale Einheit gebracht war.
Ebenso Bosnien-Herzogowina. Der Balkan, noch mit osmanischen Interessen und einem Verbündeten Bulgarien, der dieses Bündnis wegen der befürchteten, oder tatsächlichen Bedrohung durch Russland. Das meinte ich mit fast dem ganzen Balkan.
Rübezahl schrieb:Italien ging es nicht nur um Südtirol (und natürlich auch Welschtirol), sondern auch um Triest und das österreichische Küstenland, weiters um deutsche Kolonien. Russland wollte über Serbien und Albanien einen Zugang zum Mittelmeer erhalten. Das war wohl der Hauptgrund dafür, dass Russland mit seiner Mobilmachung die deutsche Kriegserklärung provozierte.
Das war einer der Fehler von Wilhelm II., denn Russland hatte einen Mittelmeerzugang über das schwarze Meer, wenn auch mit dem Problem Bosporus. Aber wegen Albanien ganz Europa, ja die gesamte Welt in einen Krieg zu stürzen war einfach nur dumm.
Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Bleiben wir realistisch: Kriegserklärungen sind allenfalls der publikumswirksame Höhepunkt - nicht der wirkliche Beginn des Krieges. Der beginnt eigentlich mit der im stillen Kämmerlein getroffenen Entscheidung, wirklich einen Krieg führen zu wollen. Und diese Entscheidung trifft man wiederum nicht aus einer Bierlaune heraus, sondern uter dem Aspekt einer Mobilisierung wirtschaftlicher, technologischer, materialmäßiger, logistischer, infrastruktureller Ressourcen. Und man führt keine Kriege aus Spass an der Freude, sondern weil man konkrete Kriegsziele verwirklichen will.
In diesem ganzen Prozess sind die Deutschen systematisch "führend". Sie versprechen sich einen politischen Aufstieg, der der erlangten wirtschaftlichen Stärke entspricht Entsprechend sind auch ihre Kriegsziele gestaltet.
Das Kaiserreich glaubte, Weltmachtstellung gewinnen zu können und steuerte daher planmäßig den Krieg an.
In diesem ganzen Prozess sind die Deutschen systematisch "führend". Sie versprechen sich einen politischen Aufstieg, der der erlangten wirtschaftlichen Stärke entspricht Entsprechend sind auch ihre Kriegsziele gestaltet.
Das Kaiserreich glaubte, Weltmachtstellung gewinnen zu können und steuerte daher planmäßig den Krieg an.
Atzec- Anzahl der Beiträge : 166
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Kriege geführt wurden in Europa ununterbrochen seit 1911, mit wachsender Intensität und Hunderttausenden von Toten. Das deutsche Kaiserreich wollte sich daran beteiligen, um seine Ziele zu verwirklichen, die anderen Mächte drängten ebenfalls zum Krieg, um ihre Ziele zu erreichen. Ob es eine Alleinschuld, eine Hauptschuld oder eine allgemeine Schuld an der Entwicklung von den begrenzten Kriegen zum Weltkrieg gegeben hat, ist eine Frage der Interpretation. Eine Alleinschuld würde ich ausschließen, über das Ausmaß der Hauptschuld bzw. der Schuld aller Beteiligten kann man diskutieren; man wird aber kaum eine allgemeingültige Antwort finden.
Rübezahl- Anzahl der Beiträge : 231
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
- Immer noch wird Wilhelm II. die Hauptschuld am Ausbruch des Krieges zugesprochen. Diese Deutung verkennt die wahren Befugnisse des Kaisers. Mit der Verteufelung des Kaisers ist nicht selten eine tiefe Bewunderung für Bismarck verbunden. Dabei wird immer übersehen, dass gerade Bismarck eine Verfassung geschaffen hatte, die nicht dafür geeignet war, einen unfähigen Monarchen im Zaume zu halten, weil sie einem solchen Monarchen zuviel Macht gab in Bezug auf die Personalpolitik im Reich und im Hinblick auf alles Militärische. Gewiss, Wilhelm II. hat manchen Unfug getrieben und auf diplomatischem Parkett manches Kopfschütteln über das Deutsche Reich und seinen Kaiser hervorgerufen. Seine Weltmachtsphantasien, eng verbunden mit seinem persönlichen Hang zur Marine, getrieben von seiner englischen Hassliebe, umgeben von einer in der Verfassung nicht vorgesehenen Kamarilla und unfähig, bei der Kanzlerwahl Schmeichler von fähigen Persönlichkeiten zu unterscheiden, hat er der deutschen Politik ohne Frage schweren Schaden zugefügt. Aber er hat nicht allein alles bestimmt und geleitet, wie er selbst glaubte, sondern auch seine Kanzler, hohe Militärs und sonstige Berater haben ihn fehlgeleitet und schlecht beraten. Vorallem hat Wilhelm nicht zielgerichtet auf einen Angriffskrieg hingearbeitet, im Gegenteil, gerade unter seinen so geförderten Militärs war er als Zauderer bekannt. Die Militärs hätten gerne schon Jahre zuvor ihren Schlieffenplan in die Tat umgesetzt. Letztlich war der Kaiser in der Krise 1914 ein Getriebener, kein Treiber, ohnmächtig wie andere Monarchen, was seine telegraphischen Bemühungen belegen, über seine britischen und russischen Kollegen den Krieg in letzter Minute zu verhindern. Das Militär hatte überall eine entscheidende Rolle, sie zwangen den Kaiser, die Marschbefehle abzuzeichnen – und das war seine Schuld: er hatte nicht den Schneid, dies zu verweigern!
- Die Reichsregierung sollte nicht mit dem Hinweis entlastet werden, dass es kriegstreibende politisch-militärische Kräfte auch in F, GB und Russland gegeben hat. Zwar war die Lage allgemein so, dass alle Länder im Prinzip kriegsbereit waren, aber wer hat Krieg tatsächlich ausgelöst? Das steht fest: Ö, gestützt von D. Der Krieg gegen Serbien war vollkommen unnötig! Als der Krieg einmal ausgelöst war, Russland Serbien beisprang, da griffen die Bündnisse. D hätte Ö bremsen können, ja müssen. Außerdem war es wegen seines alternativlosen Schlieffenplanes so ungeschickt, mit dem völkerrechtswidrigen Überfall auf das neutrale Belgien auch noch GB in den Krieg zu ziehen. Wo waren Reichsregierung und Kaiser, wenigstens GB aus dem Krieg herauszuhalten? Warum gab es keine Alternativen zum Schlieffenplan, z. B. nur im Osten offensiv, im Westen defensiv – und nur gegen F - Krieg zu führen? Die Reichsregierung hat im Krisenmoment völlig versagt – mit fatalen Folgen!
- War der Krieg unvermeidbar? Nichts ist unvermeidbar, was der Mensch ins Werk setzt! Für ihre Entscheidungen tragen die Menschen dann aber auch Verantwortung. Um es zu wiederholen: es gab keinen deutschen politischen Willen, der konsequent auf das Ziel ausgerichtet war und es politisch vorbereitet hätte, einen Angriffskrieg zu führen. Angesichts dessen war der Schlieffenplan eine Dummheit (s. o.), und als er fehlschlug, gab es auch keinen Plan B. Was es immer, schon unter Bismarck, gegeben hat, war eine säbelrasselnde deutsche Kriegsbereitschaft, also die öffentliche Bekundung des Willens, Krieg nicht um jeden Preis zu vermeiden. Kriegsbereitschaft, das traf allerdings auch auf andere Länder zu. Kriege haben immer ihre Vorgeschichte, und man muss gerade auf Bismarck verweisen, der F 1870/71 und auch danach gedemütigt, überhaupt nichts dafür getan hat, das politische Verhältnis beider Länder zu bessern – sh. sein ständiges Drohen mit einem Präventivkrieg! Damit hat er den nachfolgenden kaiserlichen Regierungen fatalerweise den Weg gewiesen, der in die Konfrontation, dann in die Niederlage führte. Niemand in der deutschen Reichsleitung, auch Bismarck nicht, hat Lehren aus der Zeit des Wiener Kongresses zu ziehen für nötig gehalten, das besiegte F zu schonen und mit ihm zu einem modus vivendi zu kommen, der beide Seiten befriedigt hätte.
- Keine Großmacht, so heißt es, war wirklich an Frieden interessiert. War das so? Waren denn nicht alle Bündnisse in erster Linie defensiver Natur? Traten sie nicht erst bei einem unprovozierten Angriff einer Feindesmacht in Kraft? Gab es in irgendeinem Bündnisvertrag von wem auch immer auch nur einen Paragraphen, der die gemeinsame Vorbereitung eines Angriffskrieges vorsah?
- Die Reichsregierung sollte nicht mit dem Hinweis entlastet werden, dass es kriegstreibende politisch-militärische Kräfte auch in F, GB und Russland gegeben hat. Zwar war die Lage allgemein so, dass alle Länder im Prinzip kriegsbereit waren, aber wer hat Krieg tatsächlich ausgelöst? Das steht fest: Ö, gestützt von D. Der Krieg gegen Serbien war vollkommen unnötig! Als der Krieg einmal ausgelöst war, Russland Serbien beisprang, da griffen die Bündnisse. D hätte Ö bremsen können, ja müssen. Außerdem war es wegen seines alternativlosen Schlieffenplanes so ungeschickt, mit dem völkerrechtswidrigen Überfall auf das neutrale Belgien auch noch GB in den Krieg zu ziehen. Wo waren Reichsregierung und Kaiser, wenigstens GB aus dem Krieg herauszuhalten? Warum gab es keine Alternativen zum Schlieffenplan, z. B. nur im Osten offensiv, im Westen defensiv – und nur gegen F - Krieg zu führen? Die Reichsregierung hat im Krisenmoment völlig versagt – mit fatalen Folgen!
- War der Krieg unvermeidbar? Nichts ist unvermeidbar, was der Mensch ins Werk setzt! Für ihre Entscheidungen tragen die Menschen dann aber auch Verantwortung. Um es zu wiederholen: es gab keinen deutschen politischen Willen, der konsequent auf das Ziel ausgerichtet war und es politisch vorbereitet hätte, einen Angriffskrieg zu führen. Angesichts dessen war der Schlieffenplan eine Dummheit (s. o.), und als er fehlschlug, gab es auch keinen Plan B. Was es immer, schon unter Bismarck, gegeben hat, war eine säbelrasselnde deutsche Kriegsbereitschaft, also die öffentliche Bekundung des Willens, Krieg nicht um jeden Preis zu vermeiden. Kriegsbereitschaft, das traf allerdings auch auf andere Länder zu. Kriege haben immer ihre Vorgeschichte, und man muss gerade auf Bismarck verweisen, der F 1870/71 und auch danach gedemütigt, überhaupt nichts dafür getan hat, das politische Verhältnis beider Länder zu bessern – sh. sein ständiges Drohen mit einem Präventivkrieg! Damit hat er den nachfolgenden kaiserlichen Regierungen fatalerweise den Weg gewiesen, der in die Konfrontation, dann in die Niederlage führte. Niemand in der deutschen Reichsleitung, auch Bismarck nicht, hat Lehren aus der Zeit des Wiener Kongresses zu ziehen für nötig gehalten, das besiegte F zu schonen und mit ihm zu einem modus vivendi zu kommen, der beide Seiten befriedigt hätte.
- Keine Großmacht, so heißt es, war wirklich an Frieden interessiert. War das so? Waren denn nicht alle Bündnisse in erster Linie defensiver Natur? Traten sie nicht erst bei einem unprovozierten Angriff einer Feindesmacht in Kraft? Gab es in irgendeinem Bündnisvertrag von wem auch immer auch nur einen Paragraphen, der die gemeinsame Vorbereitung eines Angriffskrieges vorsah?
ArnoldB.- Anzahl der Beiträge : 90
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Das ist ein faszinierender Punkt!ArnoldBentheim schrieb:
- Keine Großmacht, so heißt es, war wirklich an Frieden interessiert. War das so? Waren denn nicht alle Bündnisse in erster Linie defensiver Natur? Traten sie nicht erst bei einem unprovozierten Angriff einer Feindesmacht in Kraft? Gab es in irgendeinem Bündnisvertrag von wem auch immer auch nur einen Paragraphen, der die gemeinsame Vorbereitung eines Angriffskrieges vorsah?
Im Grunde hatte Europa nach den Napoleonischen Kriegen die Rekonstruktion des europäischen Gleichgewichts versucht, offensichtlich, um den Frieden zu sichern. Der Deutsch-Französische Krieg hat dieses Gleichgewicht massiv verschoben. Ein deutscher Nationalstaat war nicht vorgesehen. Preußen hatte diesen Krieg zur Staatengründung benutzt. Offensichtlich sahen sich viele Machthaber gegenüber den anderen europäischen Mächten noch benachteiligt. Und so, denke ich, wurde die Karte des politisch motivierten Krieges allzuleicht gezogen. Auf der anderen Seite war sicher auch ein Gefühl des Bedrohtseins in England, Russland und Frankreich vorhanden angesichts des wirtschaftlichen und militärischen Aufstiegs Deutschlands. Österreich sah sich ebenfalls im Bestand seines Vielvölkerstaats gefährdet.
Am Ende bleibt wieder die Erkenntnis, dass diejenigen die gefährlichsten Fehler machen, die von sich behaupten:
"Mir blieb ja nichts anderes übrig!"
Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Das europäische Gleichgewicht ist nicht so sehr durch den französisch-deutschen Krieg 1870/71 (begonnen hat ja Frankreich) gestört worden, sondern vor allem durch den Krieg von Preußen und Italien gegen den von Österreich geführten Deutschen Bund 1866. Das war die Voraussetzung für die Entstehung eines preußisch dominierten deutschen Nationalstaates.
Rübezahl- Anzahl der Beiträge : 231
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Rübezahl schrieb:Das europäische Gleichgewicht ist nicht so sehr durch den französisch-deutschen Krieg 1870/71 (begonnen hat ja Frankreich) gestört worden, sondern vor allem durch den Krieg von Preußen und Italien gegen den von Österreich geführten Deutschen Bund 1866. Das war die Voraussetzung für die Entstehung eines preußisch dominierten deutschen Nationalstaates.
Ich glaube nicht, dass die Kriege 1866 und 1870/71 sowie die deutsche Nationalstaatsgründung das europäische Gleichgewicht gestört haben. Italien hatte sich wenige Jahre zuvor schon als Nationalstaat konstitutiert, ohne dass Europa aus dem Gleichgewicht geraten war. Mit dem deutschen Kaiserreich gab es eine neue europäische Großmacht, die aber ebenfalls in das "europäische Konzert" eingepasst wurde bzw. sich einpasste. Außer Frankreich fühlte sich keine europäische Macht von Bismarcks Deutschland bedroht. Es war die verfehlte und unbesonnene Politik des wilhelminischen Deutschland, die das europäische Mächtegleichgewicht aus dem "Gleichgewicht" brachte.
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Der Krieg von Preußen und Italien gegen den Deutschen Bund im Jahr 1866 hat das Ende des Deutschen Bund bedeutet. Österreich wurde aus der Mitte Europas in den Osten und auf den Balkan abgedrängt. An die Stelle der ausgleichenden Politik Österreich ist die aggressive Politik Preußens getreten. Ich glaube schon, dass auf diese Weise das europäische Gleichgewicht gestört wurde.
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Rübezahl schrieb:Der Krieg von Preußen und Italien gegen den Deutschen Bund im Jahr 1866 hat das Ende des Deutschen Bund bedeutet. Österreich wurde aus der Mitte Europas in den Osten und auf den Balkan abgedrängt. An die Stelle der ausgleichenden Politik Österreich ist die aggressive Politik Preußens getreten. Ich glaube schon, dass auf diese Weise das europäische Gleichgewicht gestört wurde.
Italien war in diesen Krieg nicht involviert.
Im Grunde führte Preußen mit seinen Verbündeten den Krieg nicht gegen den Deutschen Bund - dessen Mitglieder waren ja auch Preußen und seine Verbündeten -, sondern gegen Österreich-Ungarn und seine vorallem süddeutschen Verbündeten. So gesehen, war es eine Art Bürgerkrieg innerhalb des Deutschen Bundes, der mit dem Ende des Deutschen Bundes und Preußens Vormachtstellung in Deutschland endete.
Ob Österreich-Ungarn eine "ausgleichende Politik" im Deutschen Bund geführt hat, die dann durch eine "aggressive Politik" Bismarcks abgelöst wurde, kann man diskutieren. Mir scheint es, dass Österreichs Bestrebungen, die Führungsmacht im Deutschen Bund zu sein und zu bleiben, alles Andere als "ausgleichend" genannt werden können. Insofern waren beide Mächte "aggressiv".
Was das "europäische Gleichgewicht" betrifft, so kann man im Hinblick auf die wilhelminische Zeit durchaus konstatieren, dass Deutschland dieses Gleichgewicht mutwillig infrage gestellt hat. Aber eine zwangsläufige Entwicklung war das keineswegs.
ArnoldB.- Anzahl der Beiträge : 90
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Der Krieg 1866 war ein Krieg von Preußen und dem mit Preußen verbündeten Italien gegen den von Österreich geführten Deutschen Bund. Österreich war zwar gegen Italien zu Land (Schlacht von Custoza) und zu See (Seeschlacht von Lissa) äußerst erfolgreich, verlor aber gleichzeitig bei Königgrätz gegen Preußen. Die Folge war, dass Österreich Venetien an das neue Königreich der Savoyer verlor. Das Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund hat dem europäischen Gleichgewicht sehr geschadet, da Österreich als multinationaler Staat keinen Nationalismus kannte, keine Expansionsziele hatte, keine Kolonien erwerben wollte usw.
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Rübezahl schrieb:Der Krieg 1866 war ein Krieg von Preußen und dem mit Preußen verbündeten Italien gegen den von Österreich geführten Deutschen Bund. Österreich war zwar gegen Italien zu Land (Schlacht von Custoza) und zu See (Seeschlacht von Lissa) äußerst erfolgreich, verlor aber gleichzeitig bei Königgrätz gegen Preußen. Die Folge war, dass Österreich Venetien an das neue Königreich der Savoyer verlor. Das Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund hat dem europäischen Gleichgewicht sehr geschadet, da Österreich als multinationaler Staat keinen Nationalismus kannte, keine Expansionsziele hatte, keine Kolonien erwerben wollte usw.
Du hast Recht, Italien hat tatsächlich in den Krieg eingegriffen, ich hatte das vergessen.
Dennoch scheint mir deine positive politische Einschätzung Österreiches und deine negative politische Einschätzung Preußens nicht recht nachvollziehbar. Gerade die im Österreichischen Imperium politisch maßgeblichen und dominierenden Deutschen haben eine sehr nationalistische Einstellung an den Tag gelegt, die für den Zusammenhalt der Vielvölkermonarchie kontraproduktiv war und nicht zuletzt zum Ausbruch des WK I beigetragen hat. Keine "Expansionsziele"? Und was war z. B. mit der Annexion Bosnien-Herzegowinas?
ArnoldB.- Anzahl der Beiträge : 90
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Ich bitte mich nicht falsch zu verstehen. Natürlich hat auch Österreich zahlreiche Fehler gemacht, doch war seine Politik insgesamt gesehen weniger aggressiv und nationalistisch als die Politik Preußens. Das Problem des Zusammenhaltes der Donaumonarchie war nicht der bei Teilen der deutschen Bevölkerung (bei weitem nicht bei allen) vorhandene Nationalismus, sondern die Schwierigkeiten, vom deutsch-ungarischen Dualismus zu einem deutsch-ungarisch-slawischen Trialismus zu gelangen. Blockiert haben vor allem die Ungarn. Ein stärkerer Anteil italienischsprachiger Bevölkerung (Venetien) hätte den Ausgleich der Völker in der Monarchie erleichtert. Der Verlust Venetiens und damit der einzigen italienischsprachigen Universität Österreichs (Padua) hat ja die Universitätsfrage hervorgerufen, die das Verhältnis Österreichs zu seiner italienischsprachigen Bevölkerung sehr belastet hat. Die Annexion Bosniens war aus heutiger Sicht ein großer Fehler. Sie ist aber nicht dem Expansionsdrang Österreichs entsprungen, sondern dem missglückten Versuch, den ungeheuren Expansionsdrang Serbiens in die Schranken zu weisen. Die Befürchtungen waren, wie man heute weiß, vollkommen berechtigt, die Antwort darauf, von der Annexion Bosniens bis zur Kriegserklärung an Serbien, falsch.
Rübezahl- Anzahl der Beiträge : 231
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Der Expansionsdrang Serbiens? Das ist mir etwas erklärungsbedürftig. Wohl wollten die Serben einen Zugang zum Meer, das konnte man aber verhindern. Russland hat in der Bosnienkrise einen Rückzieher gemacht, oder?
Musste man wirklich Serbien im Zaume halten? Vor allem nach der weitgehenden Annahme des Ultimatums hätte man doch sich zufrieden geben können.
Musste man wirklich Serbien im Zaume halten? Vor allem nach der weitgehenden Annahme des Ultimatums hätte man doch sich zufrieden geben können.
Moschusochse- Anzahl der Beiträge : 267
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Serbien wollte den Staat aller Südslawen. Aber eine ungeheuere Expansion würde ich das nicht nennen. Ein kleiner Staat auf dem Balkan, mit Gegnern wie Bulgarien, konnte sicher nicht Österreich gefährlich werden.
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Serbien hat in den beiden Balkankriegen 1912 und 1913 sein Territorium beinah verdoppelt (Gebietszuwachs von 80 Prozent). Im zweiten Balkankrieg hatte Serbien auch schon Albanien besetzt, nach einem sehr harten Ultimatum Österreichs aber innerhalb eine Woche wieder geräumt. Dass Serbien weiterhin alle Südslawen vereinen und zusätzlich auch noch Albanien sich einverleiben wollte, war bekannt. Ich würde das schon als äußerst großen Expansionsdrang bezeichnen. Dahinter stand natürlich Russland, das über Serbien und Albanien ans Meer drängte. 1913 ordnete Russland den Serben noch an, das österreichische Ultimatum zu erfüllen, weil die russische Aufrüstung noch nicht so weit war. 1914 gab es dann die absolute Rückendeckung für Serbien, weil Russland sich für den Krieg gerüstet fühlte, was Österreich nicht wissen konnte.
Rübezahl- Anzahl der Beiträge : 231
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Es bleibt aber immer so, dass Serbien ein Kleinstaat war, zwar grösser als Albanien oder Montenegro, die man als Satelliten betrachtete, gleich gross wie Griechenland, aber immer noch kleiner als Rumänien oder Bulgarien, vom osmanischen Reich oder Österreich Ungarn ganz zu schweigen.
Warum wollte man einer kleinen nation die Seeanbindung verweigern, die man als Grossmacht doch auch hatte - im übrigen alle anderen benachbarten Staaten auch?
Warum wollte man einer kleinen nation die Seeanbindung verweigern, die man als Grossmacht doch auch hatte - im übrigen alle anderen benachbarten Staaten auch?
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Serbien, das dank des Berliner Kongresses 1878 (bei dem Österreich die Verwaltung von Bosnien übertragen wurde) unabhängig und dann 1882 zum Königreich wurde, hat mit den Balkankriegen bis 1913 den Kosovo, das heutige Mazedonien sowie den größeren Teil des Sandschaks von Novi Pazar dazu erworben. Es war damit die Großmacht am Balkan, weit größer als etwa Griechenland. Serbien hatte in kurzer Zeit sein Gebiet beinahe verdoppelt und war auf eine Verdreifachung seines Gebietes mit Eingliederung großer nichtserbischer Gebiete aus. aus. Serbien konnte keinerlei gerechtfertigten Ansprüche auf Albanien geltend machen. Der Wunsch, eine Seeanbindung zu haben, ist keine Rechtfertigung dafür, ein anderes, vollkommen fremdes Volk zu unterwerfen und sich den Seezugang mit Gewalt zu schaffen, abgesehen davon, dass dies gar nicht der Wunsch der Serben, sondern der Russen war. Wie stark Serbien tatsächlich war, hat man ja im Verlauf des Krieges gesehen. Erst in der konzertierten Aktion von Österreich, Deutschland und Bulgarien war es möglich, die militärische Großmacht Serbien zu besiegen.
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Die serbischen Soldaten wie auch Partisanen waren in der Tat sehr tapfer und waren eigentlich nie restlos ausgeschaltet - sie retteten sich auf Korfu um schliesslich von Griechenland aus 1918 wieder zurückzukehren.
Als Angegriffene hatten sie aber schon ihre Legitimation dazu und brachten den Österreichern etliche Schlappen bei, hier wurde das thematisiert. Ausserdem wurden die Truppen wohl auch durch die Verbrechen, die an Landsleuten und Landsfrauen verübt wurden, den Serben eine Motiavtion:
https://geschichte-forum.forumieren.de/t271-auch-frauen-gehangt-osterreichische-kriegsverbrechen-in-serbien-im-ersten-weltkrieg
Ob ein Gebietsanspruch wegen seiner Bevölkerung gerechtfertigt war oder nicht, das war vor 1914 meist kein Thema - es wurde ja auch nicht argumentiert, dass auf dem Gebiet keine Serben gelebt haben, sondern dass Serbien keine Seeanbindung haben sollte.
Aber schon richtig, Serbien hatte seine grosserbischen Pläne, ähnliche hatten die Bulgaren auch - wohlgemerkt überschnitten sich diese. Serben haben ja den berühmten Slogan - wo ein Serbe begraben ist, ist Serbien.
Wie aber ein deutschen Historiker meinte - der Balkan hätte nicht zum Weltkrieg geraten müssen, wenn es Deutschland nicht gewollt hätte. Denn vor allem die Briten hatten hier nicht das Interesse einer allzu grossen Stärkung Russlands.
Als Angegriffene hatten sie aber schon ihre Legitimation dazu und brachten den Österreichern etliche Schlappen bei, hier wurde das thematisiert. Ausserdem wurden die Truppen wohl auch durch die Verbrechen, die an Landsleuten und Landsfrauen verübt wurden, den Serben eine Motiavtion:
https://geschichte-forum.forumieren.de/t271-auch-frauen-gehangt-osterreichische-kriegsverbrechen-in-serbien-im-ersten-weltkrieg
Ob ein Gebietsanspruch wegen seiner Bevölkerung gerechtfertigt war oder nicht, das war vor 1914 meist kein Thema - es wurde ja auch nicht argumentiert, dass auf dem Gebiet keine Serben gelebt haben, sondern dass Serbien keine Seeanbindung haben sollte.
Aber schon richtig, Serbien hatte seine grosserbischen Pläne, ähnliche hatten die Bulgaren auch - wohlgemerkt überschnitten sich diese. Serben haben ja den berühmten Slogan - wo ein Serbe begraben ist, ist Serbien.
Wie aber ein deutschen Historiker meinte - der Balkan hätte nicht zum Weltkrieg geraten müssen, wenn es Deutschland nicht gewollt hätte. Denn vor allem die Briten hatten hier nicht das Interesse einer allzu grossen Stärkung Russlands.
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Marek1964- Admin
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Aus damaliger Sicht ist es verständlich, dass Österreich nicht tatenlos zuschauen wollte, wie Serbien immer größer und mächtiger wurde und Anspruch auf österreichische Gebiete erhob.
Die Serben waren tatsächlich ausgezeichnete Soldaten, sie waren ja auch durch die beiden vorausgegangenen Balkankriege geübt. Nachdem Österreich, Deutschland und Bulgarien Serbien besiegt hatten, setzte sich der Großteil der serbischen Armee in das damals italienisch besetzte Korfu ab. Die österreichischen Gefangenen wurden nach Italien (Sardinien) gebracht, was die meisten nicht überlebten.
In Bezug auf Kriegsverbrechen haben sich beide Seiten nichts bzw. viel vorzuwerfen. Die Kriegsverbrechen der Serben waren vermutlich schlimmer, nach dem Krieg hat man aber nur über die der Österreicher gesprochen.
Gebietsansprüche hat man in der Zeit des Ersten Weltkrieges sehr wohl mit Volkszugehörigkeiten begründet, wobei auch ganz kräftig geschwindelt wurde. So hat z. B. Italien schon vor dem Krieg für viele deutsche Ortsnamen in Südtirol italienische Phantasienamen erfunden, um eine angeblich italienische Besiedlung des Gebietes vorzuweisen.
Die Verantwortung Deutschlands am Ersten Weltkrieg ist unbestritten, aber ich bin doch überzeugt, dass es nicht zum Großen Krieg gekommen wäre, wenn Russland ihn nicht gewollt hätte. Russland hat ja Serbien gedrängt, ihm den Zugang zum Meer zu verschaffen.
Die Serben waren tatsächlich ausgezeichnete Soldaten, sie waren ja auch durch die beiden vorausgegangenen Balkankriege geübt. Nachdem Österreich, Deutschland und Bulgarien Serbien besiegt hatten, setzte sich der Großteil der serbischen Armee in das damals italienisch besetzte Korfu ab. Die österreichischen Gefangenen wurden nach Italien (Sardinien) gebracht, was die meisten nicht überlebten.
In Bezug auf Kriegsverbrechen haben sich beide Seiten nichts bzw. viel vorzuwerfen. Die Kriegsverbrechen der Serben waren vermutlich schlimmer, nach dem Krieg hat man aber nur über die der Österreicher gesprochen.
Gebietsansprüche hat man in der Zeit des Ersten Weltkrieges sehr wohl mit Volkszugehörigkeiten begründet, wobei auch ganz kräftig geschwindelt wurde. So hat z. B. Italien schon vor dem Krieg für viele deutsche Ortsnamen in Südtirol italienische Phantasienamen erfunden, um eine angeblich italienische Besiedlung des Gebietes vorzuweisen.
Die Verantwortung Deutschlands am Ersten Weltkrieg ist unbestritten, aber ich bin doch überzeugt, dass es nicht zum Großen Krieg gekommen wäre, wenn Russland ihn nicht gewollt hätte. Russland hat ja Serbien gedrängt, ihm den Zugang zum Meer zu verschaffen.
Rübezahl- Anzahl der Beiträge : 231
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
ArnoldBentheim schrieb:- Das Militär hatte überall eine entscheidende Rolle, sie zwangen den Kaiser, die Marschbefehle abzuzeichnen – und das war seine Schuld: er hatte nicht den Schneid, dies zu verweigern!
hast du dazu genaueres --- wie kann da Militär den Kaiser zwingen? Er gibt keine Unterschrift und sie rennen halt ohne. Dann kann er danach die Militärführung entlassen und nimmt selbst keinen Schaden.
ThomasAral- Anzahl der Beiträge : 135
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Einen schwachen Machthaber kann man zu nichts zwingen, wohl aber manipulieren. Es gab ja den Satz vom Kaiser, nach der weitgehenden Annahme des Ultimatums der Österreicher, "dann gibt es eigentlich keinen Kriegsgrund", aber seine Untergebenen sabotierten dies. Er setzte sich in der Folge nicht mehr durch.
Aber er gab dann den Satz "mitten im Frieden überfällt uns der Feind". Wiewohl niemand Deutschland überfiel. Aber die Russen machten mobil - die Chance Österreichs, die Kriegserklärung rückgängig zu machen oder zumindest die Kriegsziele zu beschränken - eine Strafaktion gegen Serbien, aber sich dann zurückzuziehen.
Aber das wurde nicht gemacht. Getreu der Doktrin "wenn sich die Gelegenheit bietet, nicht zu kneifen".
Aber er gab dann den Satz "mitten im Frieden überfällt uns der Feind". Wiewohl niemand Deutschland überfiel. Aber die Russen machten mobil - die Chance Österreichs, die Kriegserklärung rückgängig zu machen oder zumindest die Kriegsziele zu beschränken - eine Strafaktion gegen Serbien, aber sich dann zurückzuziehen.
Aber das wurde nicht gemacht. Getreu der Doktrin "wenn sich die Gelegenheit bietet, nicht zu kneifen".
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Marek1964- Admin
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
ThomasAral schrieb:ArnoldBentheim schrieb:- Das Militär hatte überall eine entscheidende Rolle, sie zwangen den Kaiser, die Marschbefehle abzuzeichnen – und das war seine Schuld: er hatte nicht den Schneid, dies zu verweigern!
hast du dazu genaueres --- wie kann da Militär den Kaiser zwingen? Er gibt keine Unterschrift und sie rennen halt ohne. Dann kann er danach die Militärführung entlassen und nimmt selbst keinen Schaden.
Wilhelm war angesichts der Umstände des Kriegsausbruchs - völlig korrekt - der Ansicht, dass man entgegen dem Schlieffenplan den Hauptschlag nicht gegen Frankreich führen solle, also im Westen rein defensiv bleiben, stattdessen die Truppen gegen Russland massieren müsse. Aber der deutsche Generalstab, der nie Alternativpläne zum Schlieffenplan aufgestellt hatte, behauptete, dass es unmöglich sei, den schon begonnenen Aufmarsch gegen Frankreich über das neutrale Belgien noch aufzuhalten, weil es die gesamte militärische Planung durcheinanderwerfen und zum Chaos führen würde. Wilhelm hätte die Macht gehabt, die Aufmarschbefehle gegen Belgien und Frankreich nicht zu unterzeichnen, stattdessen den Angriff gegen Russland zu befehlen. Der spätere Kriegsverlauf gegen Russland belegt, dass das die erfolgreichere Perspektive für Deutschland und Österreich gewesen wäre, zumal sich vielleicht auch England aus dem Krieg herausgehalten hätte. Aber Wilhelm gab dem Drängen seiner Militärs nach, den Schlieffenplan durchzuführen.
Zur Lektüre empfehle ich folgende detaillierte Studie:
- Dieter Hoffmann: Der Sprung ins Dunkle oder wie der 1. Weltkrieg entfesselt wurde. 2010.
ArnoldB.- Anzahl der Beiträge : 90
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Die Kriegsschuldfrage 1914 ist wohl eine der komplexesten in der Weltgeschichte aufgrund der vielfaeltigen Perspektiven der Entscheidungstraeger in den massgeblich beteiligten Regierungen. Ich halte folgende Aspekte des Dillema im Denken der deutschen Militaerfuehrung fuer beachtenswert.
Russland wurde damals stark ueberschaetzt als staerkster militaerischer Gegner Deutschlands. Die einsetzenden Effekte der Industrialisierung Russlands liessen vermuten das Russland in ein paar Jahren gaenzlich unbezwingbar werden koennte. Diese Angst zeigt sich auch in der Anpassung des Schlieffenplans von 1909, in der das Gewicht des Aufmarsches zugunsten der Ostfront verschoben wurde. England hingegen wurde nicht fuer vollgenommen, man hielt eine massive britische Intervention fuer nicht wahrscheinlich. Man stellte sich ferner vor mit Frankreich ein zweites 1871 veranstalten zu koennen.
Aus diesem Denken ergab sich zum einen Schlieffenplan selbst aber auch eine tragische "besser frueher als spaeter" Einstellung der hohen Militaers, u.a. Moltke. Man verstand die Julikrise auch als Test ob Russland gewillt war Krieg gegen Deutschland zu fuehren. Sollte diese Vermutung bestaetigt werden, waere es ohnehin besser es darauf ankommen zu lassen. Der deutschen Fuehrung wurde die Bestaetigung mit der Teilmobilmachung Russlands gegeben, auch wenn diese moeglicherweise nicht in erster Linie als Aggression gegen Deutschland gemeint war.
Dies ist zwar nur einer von vielen Aspekten die schliesslich das aggressive Vorgehen von Deutschland begruenden aber es zeigt meiner Meinung nach gut das Dilemma der Zeit. Oscar Clarke hat es in seinem Buch sehr schoen dargestellt: Jedem Akteur fehlte jegliches Verstaendnis dafuer wie die eigenen Aktionen von der Gegenseite verstanden wurden.
Die Perspektive Italien als Ausloeser des ersten Weltkriegs zu sehen halte ich fuer ueberzogen. Sicherlich hatte das italienische Vorgehen gegen das Osmanische Reich verherrende Folgen fuer die Stabilitaet in der Region und hat damit auch einen Grundstein zum entstehen der Julikrise gelegt. Ich sehe aber keinerlei Absicht auf der italienischen Seite einen mehr als regionalen Konflikt in Kauf zu nehmen. Dieser Spielball liegt meiner Meinung nach zwischen Deutschland und Russland.
Russland wurde damals stark ueberschaetzt als staerkster militaerischer Gegner Deutschlands. Die einsetzenden Effekte der Industrialisierung Russlands liessen vermuten das Russland in ein paar Jahren gaenzlich unbezwingbar werden koennte. Diese Angst zeigt sich auch in der Anpassung des Schlieffenplans von 1909, in der das Gewicht des Aufmarsches zugunsten der Ostfront verschoben wurde. England hingegen wurde nicht fuer vollgenommen, man hielt eine massive britische Intervention fuer nicht wahrscheinlich. Man stellte sich ferner vor mit Frankreich ein zweites 1871 veranstalten zu koennen.
Aus diesem Denken ergab sich zum einen Schlieffenplan selbst aber auch eine tragische "besser frueher als spaeter" Einstellung der hohen Militaers, u.a. Moltke. Man verstand die Julikrise auch als Test ob Russland gewillt war Krieg gegen Deutschland zu fuehren. Sollte diese Vermutung bestaetigt werden, waere es ohnehin besser es darauf ankommen zu lassen. Der deutschen Fuehrung wurde die Bestaetigung mit der Teilmobilmachung Russlands gegeben, auch wenn diese moeglicherweise nicht in erster Linie als Aggression gegen Deutschland gemeint war.
Dies ist zwar nur einer von vielen Aspekten die schliesslich das aggressive Vorgehen von Deutschland begruenden aber es zeigt meiner Meinung nach gut das Dilemma der Zeit. Oscar Clarke hat es in seinem Buch sehr schoen dargestellt: Jedem Akteur fehlte jegliches Verstaendnis dafuer wie die eigenen Aktionen von der Gegenseite verstanden wurden.
Die Perspektive Italien als Ausloeser des ersten Weltkriegs zu sehen halte ich fuer ueberzogen. Sicherlich hatte das italienische Vorgehen gegen das Osmanische Reich verherrende Folgen fuer die Stabilitaet in der Region und hat damit auch einen Grundstein zum entstehen der Julikrise gelegt. Ich sehe aber keinerlei Absicht auf der italienischen Seite einen mehr als regionalen Konflikt in Kauf zu nehmen. Dieser Spielball liegt meiner Meinung nach zwischen Deutschland und Russland.
Lars Grimmberg- Anzahl der Beiträge : 4
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Natürlich hat Italien mit der Kriegserklärung an die Türkei nicht beabsichtigt, einen Weltkrieg zu entfesseln. Auch Österreich hat dies mit dem Ultimatum an Serbien nicht beabsichtigt. Dennoch waren das alles Schritte, die ungewollt zum Weltkrieg führten. Etwas mehr Aufmerksamkeit sollte man übrigens auch Montenegro schenken. König Nikola beanspruchte die Führungsrolle für alle Serben (womit im großserbischen Sinn alle Südslawen gemeint waren). Er war Schwiegervater der Könige von Serbien und Italien und von zwei russischen Großfürsten der Zarenfamilie Romanow.
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Re: Die Kriegsschuldfrage von 1914 - ein Evergreen der Geschichtsinterpretation
Hier bin ich heute auf einen interessanten Artikel vom britischen Historiker Röhl, der ein klarer Antipode von Christopher Clark, der die Schuld der Mittelmächte kleinredete.
Zentraler Punkt ist dabei die Kriegsratssitzung vom 8. Dezember 1912 legte klar fest, dass bei einer günstigen Gelegenheit der Krieg zu führen sei. Frankreich und Russland sollten besiegt werden, der europäische Kontinent unter Deutsche Hegemonie gestellt werden.
Zwar wird selbst diese Kriegsratssitzung gerne heruntergespielt - wofür ich aber eigentlich keinen Grund sehe, insbesondere dann nicht, wenn doch die nachfolgenden Ereignisse eben genau so eintrafen - der Schlieffenplan war von 1905 und zielte ja auch schon auf eine vollständige Besiegung der Gegner.
Und genauso bestätigte das dann auch der Ditkatfrieden von Brest Litowsk, den wir hier behandeln (link folgt)
Zentraler Punkt ist dabei die Kriegsratssitzung vom 8. Dezember 1912 legte klar fest, dass bei einer günstigen Gelegenheit der Krieg zu führen sei. Frankreich und Russland sollten besiegt werden, der europäische Kontinent unter Deutsche Hegemonie gestellt werden.
Zwar wird selbst diese Kriegsratssitzung gerne heruntergespielt - wofür ich aber eigentlich keinen Grund sehe, insbesondere dann nicht, wenn doch die nachfolgenden Ereignisse eben genau so eintrafen - der Schlieffenplan war von 1905 und zielte ja auch schon auf eine vollständige Besiegung der Gegner.
Und genauso bestätigte das dann auch der Ditkatfrieden von Brest Litowsk, den wir hier behandeln (link folgt)
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Marek1964- Admin
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