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Entstehung von Oligarchien in Parteien

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Beitrag von Wallenstein Di Mai 19, 2015 1:58 pm

Der deutsch-italienische Soziologe Robert Michels, ein Schüler von Max Weber, untersuchte 1911 die SPD, um eine Studie über die interne Struktur von Mitgliederparteien zu erstellen. Sein Hauptwerk Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens ist noch heute das Standardwerk über die Parteisoziologie, auch wenn der Autor durch seine Nähe zum italienischen Faschismus suspekt ist. Er kam zu der Erkenntnis, dass auch in demokratischen Parteien, in denen die Mitglieder die Führung wählen und es parteiinterne Diskussionen gibt, sich Oligarchien herausbilden, die eine beherrschende Stellung einnehmen. Er glaubt, hier eine Gesetzmäßigkeit zu erkennen und spricht vom ehernen Gesetz der Oligarchie. Dass sich solche Gruppen herausbilden, hat seinen Ansicht nach vor allem drei Gründe:

Die Notwendigkeit der Organisation


Wenn eine Partei nicht eine bedeutungslose Sekte bleiben will, braucht sie eine Organisation, aber Organisation bedeutet Bürokratie und somit einen ersten Ansatzpunkt in Richtung Oligarchie. Aber eine Verwaltung ist notwendig, mit dem Wachstum der Aufgaben auch unentbehrlich und sie erhöht die Schlagkraft. Die SPD hatte seinerzeit 2 Millionen Wähler über das Land verbreitet, ein halbes Hundert Abgeordnete im Reichstrag allein, besaß Dutzende von Zeitungen, hielt tausende von Versammlungen im Jahr ab. Die komplizierten organisatorischen Maßnahmen konnte man nicht mit Freiwilligen bewältigten, die dafür ihre Freizeit opferten, sondern man brauchte einen Apparat. Damals sprach man schon von proletarischen Beamten. So eine Organisation muss geleitet und strukturiert werden von Führungskräften, der neuen Oligarchie. Solange eine Partei sehr klein ist, werden nur Idealisten Mitglied sein. Bekommt sie aber eine gewisse Größe  und ist auch in den staatlichen Organen vertreten als Abgeordnete, zieht sie viele Personen an, denen es auch vor allem um persönliche Karrieren geht, die Beziehungen knüpfen möchten, die Macht und Einfluss haben wollen. Durch solche Leute kann die Partei korrumpiert werden, und nach Meinung von Michels entwickelt die Oligarchie Eigeninteressen, um die Macht zu behaupten und vertritt nicht mehr notwendig die Interessen den Mitgliedern. Wenn sie vielleicht ursprünglich eine Oppositionspartei gewesen ist, kann sie als Regierungspartei dann schnell mit den staatlichen Organen verschmelzen und korrigiert alte Forderungen.

(Anmerkung: Ist der Staat nicht demokratisch und ist die Partei verboten oder führt einen Guerillakrieg, entwickelt sie sehr schnell paramilitärische Strukturen. Ein Krieg zwingt von vorneherein militärische Organisationsformen auf von Befehl und Gehorsam, Zentralisierung und Koordination, wie in jeder Armee. Kommt die Partei durch Krieg an die Macht, ist die Versuchung groß, die militärischen, undemokratischen Strukturen auf die gesamte Gesellschaft zu übertragen. Siehe etwa China, Vietnam, Kambodscha, Kuba, Algerien, Eritrea und zahlreiche andere Beispiele)

Individualpsychologischer Gründe


Nicht jeder kann Mitglied der Oligarchie werden. Wichtig ist nach Michels, dass die Führungspersonen ein Charisma haben. Dies ist vielleicht schon da oder wird erworben. Führungspersonen müssen rhetorisch anderen überlegen sein, heute auch telegen, sie strahlen Kompetenz und Zuversicht aus, sie haben eine soziale Intelligenz, das heißt, sie können die Bedürfnisse und Wünsche von Mitgliedern und Wählern erkennen und formulieren. Da längst nicht alle ein Charisma besitzen, schränkt dies die Auswahl der Führungskräfte ein. Diese suchen sich ihre Mitarbeiter und Mitstreiter aus und bauen so Führungsgruppen auf, die Oligarchien.

Massenpsychologie

Die meisten Mitglieder haben ein Führungsbedürfnis. Es ist bequemer und einfacher, geführt zu werden, als selber zu führen. Dies können ohnehin nur wenige. Wie bei einer Herde von Säugetiere folgen sie dem Leithammel und vertrauen ihm. Diese Eigenschaft kommt der Oligarchie entgegen. Da die meisten Mitglieder sich auch nicht hauptberuflich der Politik widmen können, ist ihre Kompetenz in vielen Fragen der Kompetenz der Politprofis unterlegen. Der Oligarchie gelingt es deshalb, auf den Parteitagen ihre Mitglieder zu beeinflussen und deren Meinung in gewünschte Bahnen zu lenken. Auch in demokratischen Parteien stehen auf Parteitagen meistens nur wenige Bewerber als Vorsitzende zur Auswahl, wenn überhaupt, und die erhalten häufig Mehrheiten von 90% und darüber hinaus. Das erinnert manchmal an kommunistische Parteitage. Die Macht der Parteitage ist wesentlich geringer als angenommen, In der Regel geht es nur darum, Entscheidungen durchzuwinken, die von der Oligarchie schon getroffen wurden.

In einer parlamentarischen Demokratie haben die Wähler meistens nur die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Parteioligarchien zu wählen, was viele unbefriedigend finden.
Völlig entarten kann eine Parteioligarchie, wenn es in einem Land nur noch eine Partei gibt, wie in den faschistischen oder kommunistischen Staaten. Dann verschmilzt die Oligarchie mit dem Staatsapparat, der Parteitag ist nur noch ein Ritual und Demokratie völlig ausgeschaltet. Zum Machtwechsel kommt es dann nur, wenn in der Oligarchie Machtkämpfe hinter den Kulissen ausgetragen werden und Führungskräfte durch Intrigen oder Putsche gestürzt werden.

Wallenstein
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Beitrag von Klartext Di Mai 19, 2015 11:26 pm

Ist es nicht so, dass alle menschlichen Organisationen zu einer Art Filz neigen?

Klartext

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