Zeitgenössische Kritik am Imperialismus?
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Zeitgenössische Kritik am Imperialismus?
Moin,
ich stelle mir die Frage - gab es eigentlich zeitgenössische Kritik am Imperialismus? Ich kann mich an den Gandhi Film erinnern, wo es einen Englischen Pfarrer gab, aber gab es auch andere? Marx, Engels, Sozialdemokraten? Sonstwer?
ich stelle mir die Frage - gab es eigentlich zeitgenössische Kritik am Imperialismus? Ich kann mich an den Gandhi Film erinnern, wo es einen Englischen Pfarrer gab, aber gab es auch andere? Marx, Engels, Sozialdemokraten? Sonstwer?
Moschusochse- Anzahl der Beiträge : 267
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Re: Zeitgenössische Kritik am Imperialismus?
In der Tat denke ich auch, dass es nicht allzu viel zeitgenössische Kritk am Imperialismus und Kolonialismus gab, auch von Sozialdemokratischer Seite nicht, die sich vor allem um die Besserstellung der heimischen Arbeiter. Solidarität mit den kolinialisierten Ländern dürfte nicht allzu verbreitet gewesen sein.
In anderem Thread habe ich Wehler erwähnt, der war aber um 1970 aktiv.
In anderem Thread habe ich Wehler erwähnt, der war aber um 1970 aktiv.
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Marek1964- Admin
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Re: Zeitgenössische Kritik am Imperialismus?
Marek1964 schrieb:In der Tat denke ich auch, dass es nicht allzu viel zeitgenössische Kritk am Imperialismus und Kolonialismus gab, auch von Sozialdemokratischer Seite nicht, die sich vor allem um die Besserstellung der heimischen Arbeiter. Solidarität mit den kolinialisierten Ländern dürfte nicht allzu verbreitet gewesen sein.
In anderem Thread habe ich Wehler erwähnt, der war aber um 1970 aktiv.
Das ist nicht richtig. Das Gegenteil war der Fall. Der Kampf gegen den Imperialismus war eines der zentralen Themen in der deutschen und internationalen Sozialdemokratie. Diese Frage beherrschte die Parteitage und die Treffen der II.Internationale. Mit Recht sah man einen Zusammenhang mit der Errichtung der Kolonialreiche, der zunehmenden Aufrüstung und der wachsenden Kriegsgefahr.
Es gibt eine Fülle hervorragender theoretischer Arbeiten der Sozialdemokraten aus dieser Zeit. Nur einige davon seien genannt:
Rudolf Hilferding, Das Finanzkapital
Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals
Karl Kautsky, Der Imperialismus
Dann die Arbeiten von
Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus und
Bucharin, Imperialismus und Weltwirtschaft
Um nur einige von vielen weiteren Werken zu nennen.
Der Imperialismus war auch eines der Streitpunkte mit den Revisionisten, da Bernstein dem Imperialismus auch positive Seiten abgewinnen wollte. Auch ging es immer um die Frage, inwiefern die Kolonialvölker als Bündnispartner zu gebrauchen waren.
Ein sehr wichtiges Werk stammt von dem englischen liberalen Ökonomen John Atkinson Hobson, Der Imperialismus. Dessen Kritik an diesem System bildete eine wichtige Grundlage für die Argumentation in der Sozialdemokratie.
Wallenstein- Gründungsmitglied
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Re: Zeitgenössische Kritik am Imperialismus?
Vielen Dank Wallenstein, ein Thema, in dem ich nicht so stark bin, wobei mir natürlich Rosa Luxemburg und Lenin eigentich hätten einfallen müssen.
Aber weniger gute Antworten bessere nach sich ziehen, ist der Zweck des Forums bestens erfüllt!
Kann man den die Kritikpunkte der Sozialdemokratie irgenwie zusammenfassen? Du hast ja von der Rüstung und Kriegsgefahr gesprochen, die sicher berechtigt war.
Sicher viel Kritik war, sag ich mal, humanistisch.sozialkritisch bedingt, also die Unterdrückung und Ausbeutung.
Welche Vorschläge hatte man den bezüglich der kolonisierten Länder? Sah man nicht auch die wirtschaftlichen Vorteile des Welthandels?
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Kann man den die Kritikpunkte der Sozialdemokratie irgenwie zusammenfassen? Du hast ja von der Rüstung und Kriegsgefahr gesprochen, die sicher berechtigt war.
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Welche Vorschläge hatte man den bezüglich der kolonisierten Länder? Sah man nicht auch die wirtschaftlichen Vorteile des Welthandels?
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Marek1964- Admin
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Re: Zeitgenössische Kritik am Imperialismus?
Marek1964 schrieb:
Welche Vorschläge hatte man den bezüglich der kolonisierten Länder? Sah man nicht auch die wirtschaftlichen Vorteile des Welthandels?
Die SPD sah sehr wohl die Vorteile eines weltweiten Handels und Produktion, aber alles wurde überschattet durch den Militarismus und der drohenden Kriegsgefahr. Darauf richtete man den Fokus der Politik.
Es gibt aber interessante Überlegungen aus dieser Zeit vor 1914. Rudolf Hiferding analysiert in dem Buch „Das Finanzkapital“ die Entstehung von Kartellen in den Metropolen. Diese suchen nach Rohstoffen und Absatzmärkten und der Kampf um die Ressourcen führt zum Imperialismus. Hilferding glaubt aber, dass der Prozess der Kartellierung sich irgendwann auf internationaler Ebene fortsetzen wird. Somit antizipiert er die Entstehung multinationaler Konzerne. Diese Entwicklung wird von ihm begrüßt, denn wenn die Firmen in verschiedenen Industriestaaten ihr Kapital anlegen, schwindet die Kriegsgefahr, denn ein solcher würde ihnen nur schaden. Als er kurzfristig in der Weimarer Republik Finanzminister war, initiierte er die Kapitalverflechtung von deutschen und französischen Unternehmen, um die Feindseligkeiten zu beenden. Damit war um Jahrzehnte zu früh. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg realisierte sich seine Idee in Gestalt der Montanunion. (Hilferding starb 1941 in Gestapohaft.)
Eine ähnliche Theorie hatte schon der Chefideologe der SPD, Karl Kautsky, formuliert mit seiner These vom Ultraimperialismus. Er hatte vermutet, dass weltpolitisch ein „Stadium [näher rücke], in dem der Konkurrenzkampf der Staaten durch ihr Kartellverhältnis ausgeschaltet wird.“ Kautskys Ultraimperialismus war somit durch Staatenkartelle, d. h. politische Kartellstrukturen geprägt. Dies hatte auch schon Hobson als Möglichkeit vermutet. Denkbar wäre die Entstehung mehrerer solcher imperialistischer Machtblöcke, die miteinander konkurrieren, aber dies würde nicht notwendigerweise auch zu militärischen Auseinandersetzungen führen. Einige Marxisten sehen diese Aussagen bestätigt durch die Entstehung der EU, dem amerikanisch- kanadischen Block, heute vielleicht noch erweitert durch Japan, Russland und China.
Und auch Karl Liebknecht äußerte bereits vor Kautsky – nämlich 1907 in seiner Broschüre “Militarismus und Antimilitarismus“ – die Ansicht, es könne eine „Vertrustung des überhaupt möglichen Kolonialbesitzes unter die Kolonialstaaten, sozusagen … eine Ausschaltung der Kolonialkonkurrenz zwischen den Staaten [eintreten …], wie sie für die private Konkurrenz zwischen kapitalistischen Unternehmern in den Kartellen und Trusts in gewissem Umfange erfolgt ist.“
Der spätere Präsident von Österreich, Renner, glaubte, der Imperialismus würde zu einer internationalen Austauschgemeinschaft führen. Seine Idee: Durch Imperialismus zum Frieden der Welt.
Bezüglich der Kolonien folgte die SPD den Ideen von Karl Marx und geriet in das gleiche Dilemma. Für Marx waren die außereuropäischen Kulturen primitiv und rückständig. Hier seine Meinung über Indien:
„Wir dürfen nicht vergessen, daß dieses menschenunwürdige, stagnierende Dahinvegetieren, diese passive Art zu leben, auf der andern Seite ihre Ergänzung fanden in der Beschwörung wilder, zielloser, hemmungsloser Kräfte der Zerstörung, und in Hindustan selbst aus dem Mord einen religiösen Ritus machten. Wir dürfen nicht vergessen, daß diese kleinen Gemeinwesen durch Kastenunterschiede und Sklaverei befleckt waren, daß sie den Menschen unter das Joch äußerer Umstände zwangen, statt den Menschen zum Beherrscher der Umstände zu erheben, daß sie einen sich naturwüchsig entwickelnden Gesellschaftszustand in ein unveränderliches, naturgegebenes Schicksal transformierten und so zu jener tierisch rohen Naturanbetung gelangten, deren Entartung zum Ausdruck kam in der Tatsache, daß der Mensch, der Beherrscher der Natur, vor Hanuman, dem Affen, und Sabbala, der Kuh, andächtig in die Knie sank.“
Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 127-133
Berlin 1960 Karl Marx, Die britische Herrschaft in Indien
Marx begrüßte daher den britischen Imperialismus, da er in Indien den Kapitalismus einführt und dieser war für Marx identisch mit der eigentlichen Zivilisation. Gleichzeitig verurteilte er das brutale Vorgehen der Engländer, aber es blieb bei moralischen Protesten.
Die SPD vertrat die gleiche Auffassung. Die Kolonialvölker waren primitiv und deshalb war es gut, dass sie nun zivilisiert werden. Das war im Prinzip kein großer Unterschied zu der imperialistischen Ideologie von der „Bürde des weißen Mannes“. Allerdings beklagten sie die rücksichtslose Vorgehensweise der Eroberer, ohne dem aber mehr als moralische Vorhaltungen entgegenzusetzen. Eine wirkliche Alternative besaßen sie nicht, sie forderten lediglich eine bessere Behandlung der Eingeborenen.
Vielleicht war die Zeit dafür auch zu früh. Der Eroberungsprozeß war noch im vollen Gange. Der Widerstand gegen die Kolonialisten wurde von Gesellschaftsklassen getragen, die in den Augen der SPD reaktionär waren: Stammesführer, Feudalherren, Priester, religiöse Fanatiker. Diese Gruppen wollten nur den Status ex ante wieder herstellen, die Kolonialherren vertreiben und die Länder erneut in die unterstellte Barbarei zurückführen, kämpften damit eigentlich gegen die Zivilisation. Das war nun keineswegs im Interesse der SPD und daher hatte man für diese „Wilden“ nur wenige Sympathien, auch wenn man das Vorgehen der Imperialisten scharf verurteilte.
Erst in den nächsten Jahrzehnten sollte sich in einigen Kolonien ein Wandel vollziehen, als sich dort ein nationales Bürgertum bildete, Unternehmer und Intellektuelle, die für die Unabhängigkeit ihrer Länder eintraten, gleichzeitig aber der europäischen Zivilisation gegenüber aufgeschlossen waren und ihre Staaten nach westlichem Vorbild modernisieren wollten. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es aber nur sehr wenige solcher Politiker und Organisationen in den Kolonien.
Wallenstein- Gründungsmitglied
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