Verbrechen nach Kriegsende, Rache oder Siegerjustiz
+4
Wallenstein
Judas Phatre
Marek1964
Nemeth
8 verfasser
Seite 1 von 1
Re: Verbrechen nach Kriegsende, Rache oder Siegerjustiz
Lese ich den Titel des Threads so muss ich sagen, dass eine gewisse Rache bzw. Siegerjustiz schon bestanden hatte.
Auf der einen Seite wollte man in den Nürnberger Prozessen den Angeklagten einen relativ fairen Prozess machen, auf der
anderen Seite liess man doch viele kleine Helfer, wie z.B. den "Auschwitz-Buchhalter" mehrmals laufen. Ohne diese Leute hätte
der Holocaust nie in dem Mass funktionieren können.
Ich verweise hier auf eine Interview der mehrmals verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck, einer Frau, die es nie begreifen wird.
Auf der einen Seite wollte man in den Nürnberger Prozessen den Angeklagten einen relativ fairen Prozess machen, auf der
anderen Seite liess man doch viele kleine Helfer, wie z.B. den "Auschwitz-Buchhalter" mehrmals laufen. Ohne diese Leute hätte
der Holocaust nie in dem Mass funktionieren können.
Ich verweise hier auf eine Interview der mehrmals verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck, einer Frau, die es nie begreifen wird.
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Grant stood by me when I was crazy, and I stood by him when he was drunk, and now we stand by each other.
General William Tecumseh Sherman
Re: Verbrechen nach Kriegsende, Rache oder Siegerjustiz
Nemeth schrieb:Heute vor 70 Jahren
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/vor-70-jahren-fand-das-massaker-von-aussig-statt-13716067.html
Dies ist ein Artikel aus der FAZ, die nicht im Verdacht steht mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft
auf einer Linie zu sein.
Die FAZ ingesamt sicher nicht, aber den Autor kenne ich und sehe ihn als problematisch an.
Der Artikel des Autors, der in der Vergangenheit auch schon mal die Racheakte der Tschechen an den Deutschen in Böhmen und Mähren mit dem Holocaust verglich – eine völlig unhaltbare Behauptung - ist schon vom Titel her tendenziös.
Da wird von dem gesprochen was „Tschechen und Sudetendeutsche bis heute trennt“ - das ist reisserisch. Vor allem muss heute gefragt werden, wer überhaupt heute noch Sudetendeutsche sind. Seit 70 Jahren leben diese in Deutschland und von dene, respektive deren Nachfahren, fühlen sich die wenigsten noch als Sudetendeutsche, ohnehin nur ein Kunstbegriff von Deutschen, die Vorfahren in Böhmen und Mähren haben oder dort geboren worden sind. Es ist nur noch eine kleine Schar Leute. Da muss gesagt werden, dass diese kaum als Volksgruppe betrachtet werden und eigentlich auch fast niemanden mehr repräsentieren.
Weiter geht der Artikel darauf ein, dass die Polnischen Kirchenvertreter zwar schon 1965 „vergaben und um Vergebung baten“, das aber von der tschechischen katholischen Kirche erst 25 Jahre später (1990) der Fall war – und übersieht dabei, das Evangelische Christen um Přemysl Pitter schon 1958 die Tutzinger Erklärung unterzeichnet hatten http://mujweb.cz/mathesius/139n.shtml#ToC107. Ohnehin ist die Frage, welchen Wert eine solche Aussage hat – ausser zu sagen, wie schlecht die Tschechen sind.
Dann begeht er einen ganz krassen Fehler : "In den Beziehungen zwischen der Tschechischen Republik und Deutschland vergingen weitere 17 Jahre bis zur „Deutsch-Tschechischen Erklärung“. Allein das lässt die Frage im Raum, inwieweit der Autor tatsächlich über die ganze Geschichte der Aufarbeitung seit 1990 im Bilde ist.
http://www.bundestag.de/kulturundgeschichte/geschichte/gastredner/havel/havel2/244732
Hier scheint ihn die Fähigkeit zum Rechnen verlassen zu haben – die Erklärung kam 1997 zu Stande – also sieben Jahre danach. Dass es nicht schneller ging, daran hatte die Deutsche Seite ihren Anteil. Es waren aber auch objektiv Recherchearbeiten der gemeinsamen Historikerkommission von Nöten.
Dann beschreibt er den Gegensatz auch in der tschechischen Politik angesichts dieser Frage: Einige sind bereit, ein gewisses Mass an Schuld einzugestehen, andere betonen, dass die Racheakte wie den Bevölkerungstransfer als Folge der Politik der Nazis zu sehen sind. In der Tat, diesen Gegensatz gibt es, er ist aber verständlich.
Dann kommt er zum Massaker von Aussig (Ústí nad Labem) zur Rede von Beneš, in der er von der Liquidation der Deutschen Frage gesprochen hat. Dazu gibt es zu sagen, dass hier schon das Problem der Übersetzung auftaucht. „Vylikvidovat“ auf tschechisch hat nicht dieselbe Bedeutung wie „liquidieren“ auf Deutsch. Es heisst lediglich, dass das Problem gelöst werden muss – und damit war der Transfer der Deutschen Bevölkerung gemeint, keinesfalls sollte das dem Morden freien Lauf lassen.
In Aussig waren an den Ausschreitungen vor allem die Revolutionären Garden beteiligt. Diese wurden in der Tat vor allem aus Kommunisten, aber auch aus allerhand üblen Gesellen zusammengestellt. Die tschechische Bevölkerung nannte sie „rabovací gardy“ - plündernde und marodierende Garden“.
Man kann natürlich Beneš vorwerfen, dass er nicht entschlossener dagegen eingegriffen hat. Dazu gibt es einiges zu sagen. Zuerst muss man sagen, dass der Mann schon nicht mehr bei Kräften war – 1948 sollte er sterben. Dann waren die Revolutionären Garden dem Verteidigungsminister Svoboda unterstellt, einem Kommunisten. Dieser hatte die Ostfront als General der dortigen tschechoslowakischen Armee mitgemacht. Die Gräuel, die die Deutschen dort hinterlassen haben, haben ihn sicher nicht zu Milde gegenüber der ehemaligen Herrenrasse, die die Tschechen teils germanisieren, teils nach Osten deportieren und natürlich auch umbringen wollte.
Gewalttaten an Deutschen zu verhindern oder gar zu bestrafen, das war aber nun mal nirgendwo in Europa in den ersten Monaten nach dem Kriegsende die Priorität – angesichts der Wochenschauberichten mit den Leichenbergen, den Gräueltaten während der Okkupationszeit, der permanenten Angst, mitsamt seiner Familie erschossen zu werden, wie dann vor allem den bis zuletzt fanatisch betriebenen Kampf der Nazis (die letzten Schüsse von SS Männern in Prag fielen am 13. Mai 1945) liessen die Gewalt explodieren. Der Hass war enorm.
Die von Sudetendeutschen gerne betonte Tatsache, dass die alles nach dem Kriegsende geschah, soll suggerieren, dass man schon im Frieden diese Racheakte verübt hat und wie feige dies doch ist. Es ist aber eine völlige Illusion, zu meinen, ein Krieg gehe zu Ende und plötzlich kehrt auf der ganzen Welt Frieden auf Erden und allen Menschen ein Wohlgefallen ein. Ein Krieg führt immer zur Verrohung der Sitten, die war schon nach dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland der Fall, mit der Revolution und den vielen politischen Morden, vor allem der Rechten.
Der Zweite Weltkrieg war aber noch mal um mindestens eine Dimension reicher, nämlich um diejenige der Versklavung, Deportation und Ausrottung der Völker, um Morde an ganzen Familien von Widerstandskämpfern oder auch nur falsch Denunzierten. Und dazu wäre es im Falle eines Endsiegs der Nazis zweifellos gekommen.
Ein weiterer Aspekt ist wichtig. Von den meisten Menschen der gegen die Nazis kämpfenden und von ihnen unterdrückten Nationen wurde die Deutschen als homogene Einheit gesehen, bei der alle sich willig in die Kriegsmaschinerie fügten, auch die Kinder, die gerade im Protektorat Böhmen und Mähren gerne als Denunzianten und Spitzel funktionierten. Es war sicher auch ein Teil einer totalitären Maschinerie, aber man darf nicht übersehen, dass viel zu viele sich mit Begeisterung dieser Maschinerie zur Verfügung stellten und der Idee, eine Herrenrasse zu sein, sehr wohl Gefallen fanden.
Als weiteren Punkt erwähnt der Autor, dass sich die Sudetendeutschen vorstellen, Beneš solle nicht Namensgeber der Brücke in Aussig sein. Sie haben sich ihn schon zur Zeiten der tschechoslowakischen Republik, auch in Anlehnung an Hitler, zum Feindbild aufgebaut. Und sehen ihn als Hauptverantwortlichen der Racheakte. Manche bezeichnen ihn sogar als Kriegsverbrecher. Das ist masslos übertrieben.
Beneš war wohl für den Transfer der Deutschen in Böhmen und Mähren, aber in humaner Weise. Seine untergeordneten Minister, vor allem der Innen- sowie der Verteidigungsminister, beides Kommunisten, handelten aber selbständig, wobei selbst ihnen keine direkten Befehle zu Massakern nachgewiesen werden konnten. Aber die untergeordneten Stellen handelten selbst willkürlich. Ja, man kann sicher sagen, der Wille, sie zu stoppen, war sicher nicht in ausreichendem Masse da, wiewohl es sehr schnell nach dem 8. Mai 1945 tschechische Stimmen gab, die der Lynchjustiz Einhalt gebieten wollten.
Die Umbennenung von Örtlichkeiten von Beneš auf andere ist aber absurd, gerade wenn ich bedenke, dass es auch heute in Deutschland Strassen und Plätze gibt, die nach Hindenburg benannt werden, auch eine sehr problematische Persönlichkeit eines Militaristen, der einen Krieg geführt hat, in dem namentlich in Belgien Kriegsverbrechen begangen wurden, die diejnigen in der Tschechoslowakei übertreffen. Dazu ist der Mann einer der Dolchstosslegendenerfinder und ernannte Hitler zum Reichskanzler. Anderes Beispiel: Man könnte auch von den Briten verlangen, Churchill zu entehren, weil er schliesslich auch die Bombardierung ziviler Ziele zu verantworten hatte.
Abschliessend muss gesagt sein, dass alle Toten, die auch im entferntesten den Racheakten von tschechischer Seite zugerechnet werden können (also auch Tote in Folgen von Hunger, Krankheiten, Kälte und Selbstmorde), die von der Deutsch-Tschechischen Historikerkommissionn von 1997 festgelegt worden sind zwischen 15 000 und 30 000 betragen. Das ist soviel, wie es Ziviltote (also ohne Soldaten) an der Ostfront zwischen 1941 und 1944 auf sowjetischem Boden in ein bis zwei Tagen gab. Nur um die Dimensionen zu sehen. Im Verhältnis zu den Opfern des Nationalsozialismus in Tschechien betragen sie etwa 4-8%.
Die Penetranz, mit der sudetendeutsche Kreise lange Jahre mit diesen sicher zu verurteilenden Ereignissen operierte, um die Tschechen insgesamt zu diskreditieren, und sich dabei auch in Vergleiche mit dem Holocaust verstieg, ist etwas, was mich ärgert. Leider konnte sich recht wirksam die Rezeption in Deutschland und Österreich beeinflussen, und, was ich noch schlimmer finde, auch das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik wirksam stören, was mich noch mehr ärgert und masste sich noch an, den EU-Eintritt Tschechiens verhindern zu wollen.
Dabei ist festzuhalten, dass die Sudetendeutsche Landsmannschaft ihre eigene, spezifisch sudetendeutsche Geschichte hinsichtlich ihrer Schuld nicht aufgearbeitet hat. Darunter auch das, dass zwischen 1848 und 1945 es hinreichend Deutsche in Böhmen und Mähren aber auch anderswo gab, die das Existenzrecht der tschechischen Nation insgesamt immer wieder negierte. Trauriger Höhpunkt war der Nationalsozialismus und der liess nun mal ebenfalls als traurigen Höhepunkt die Vertreibung und die Racheakte folgen.
Als weitergehende Literatur empfehle ich den Aufsatz von Jan Pauer, der vor allem auf die Entwicklung der deutsch-tschechischen Verhältnisse nach 1990 eingeht.
https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/index/index/year/2006/docId/1055
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