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Psychoanalyse der Minne-Kultur

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Beitrag von Tammuz Do Aug 25, 2016 4:55 pm

Die Idee, einen Menschen ´aus der Ferne´ zu lieben, war der Grundgedanke der mittelalterlichen Minnedichtung (Minne = Liebe), die im 12. Jahrhundert von französischen Rittern (troubadours) kreiert wurde. Ihr Thema war die poetische Liebes- und Treuebekundung an eine sozial höhergestellte Frau (z.B. die Frau des Lehnsherrn), die - vor allem wegen ihrer Bindung an einen anderen Mann - für den Sänger unerreichbar war.

Der Adlige Jaufré Rudel gilt als erster historisch nachgewiesener Minnesänger; seine Dichtung widmete er einer Frau, die er persönlich überhaupt nicht kannte, nämlich der Gräfin Melisende von Tripolis, der Enkelin des damaligen Königs von Jerusalem, Balduin II., die die Ehefrau des byzantinischen Kaisers Manuel I. hätte werden können, wenn dieser sich nicht an ihrer unehelichen Herkunft gerieben hätte. Jaufré benannte seine ferne ´Geliebte´ in seiner Dichtung aber nicht mit dem realen Namen, sondern umschrieb sie als ´Prinzessin Lointaine´. Das war ein typischer Zug der Minnedichtung - das angebetete Objekt nicht beim Namen zu nennen.

Dennoch pflegten die Angebeteten beim Vortrag der Liebeslyrik oft anwesend zu sein, die Minnebeziehung war also keine heimliche ´Affäre´. Die vom Sänger beteuerte Liebe galt nicht als unmoralisch, sondern genoss im Gegenteil eine allgemeine Wertschätzung, solange sie keine sexuellen Konsequenzen hatte. Ihr Wesen lag also in a) der Aufrichtigkeit und b) der Unerfülltheit. Dass der Sänger unter der Unerfülltheit seelisch litt, versteht sich von selbst. Es war aber gerade dieser Triebstau, der ihn zu poetischen Höchstleistungen motivierte (Freuds Sublimierungstheorie lässt grüßen).

Andreas Capellanus, ein Kaplan am Hof des französischen Königs Philipp II., war nicht nur Minnedichter, sondern auch der Cheftheoretiker der Minnekultur. Er schrieb:

(aus: "Andreae Capellani regii Francorum de amore libri tres")

Die reine Liebe aber ist diejenige, die in Liebesgefühlen aller Art die Herzen zweier Liebender verbindet. Diese Liebe besteht in der Betrachtung des Geistes und der Zuneigung des Herzens; sie reicht aber bis zum Küssen des Mundes, bis zur Umarmung und bis zur ehrfürchigen Berührung der nackten Geliebten durch den Liebenden, sie unterlässt jedoch den letzten Trost: Denn den auszuführen, ist jenen nicht erlaubt, die rein lieben wollen. Das also ist die Liebe, die jeder, der sich Liebe vorgenommen hat, mit aller Kraft ergreifen soll.

Die späteren Ritter wuchsen an Fürstenhöfen und waren von ihrem 7. bis zu ihrem 14. Lebensjahr der Obhut und Erziehung durch die Burgherrin unterworfen. Ihr ganzes Dasein stand also in einer Phase unter dem Zeichen einer mächtigen Frau, in welcher im Jüngling die ´Triebe erwachen´. Es ist klar, dass in der Phantasiewelt der Heranwachsenden die Burgherrin die Funktion der begehrten Idealfrau annimmt. Dieses im Unbewussten verankerte Idealbild wird später, wenn aus den Jünglingen gestandene Ritter geworden sind, auf ähnliche Frauengestalten projiziert und das Begehren auf diese ausgerichtet. Zum Idealbild gehört aber die Unerreichbarkeit des Objekts. Wäre es erreichbar, verlöre es die Idealität, um deren halber das Objekt doch begehrt wird. Diese innere Widerspruch macht das Wesen der Minne aus. Zu diesem Widerspruch gehört notwendig der ´Triebstau´, also die Unmöglichkeit, am begehrten Objekt sexuelle Befriedigung zu finden.

Dass die Ritter daneben auch reale sexuelle Erfahrungen mit niedriger gestellten Frauen hatten, mindert die Macht jenes psychologischen Komplexes nicht entscheidend. Das Begehren nach dem Ideal, also der unerreichbaren Geliebten, bleibt bestehen und wird durch reale Sexualität oft eher noch bestärkt. Diese Dissoziation ´der Frau´ in das Profane und das ´Sakrale´ (also quasi-sakral Idealisierte) ist ohnehin typisch für die Jahrhunderte der Minne und im wesentlichen ein Produkt der christlichen Sexualmoral, die das Weibliche zum einen abwertet (als sündig) und zum anderen idealisierend verherrlicht (der hochbeliebte Marienkult jener Zeit). Dieser Drang zur Idealisierung spiegelt sich auch in der Minne wieder.

Hinzu kommen soziale Spannungen zwischen dem Ritter- und dem Fürstentum aufgrund der materiellen Abhängigkeit vieler Ritter von ihren fürstlichen Herren. Das dabei unweigerlich entstehende rebellische Aggressionspotential musste psychologisch verarbeitet, also in andere, sublimere Bahnen gelenkt werden, die zum einen halfen, einen offenen Konflikt zu vermeiden, und zum andern den Ritter mit seiner Erniedrigungssituation versöhnte. Diese Versöhnung konnte, da die Situation leidhaft war, nur durch eine masochistische Strategie realisiert werden, also als Versagungsbeziehung zur idealisierten, aber unerreichbaren Geliebten. Die aggressiven Regungen gegen den Fürsten (konkret und allgemein) konnten umso besser verdrängt werden, als der Ritter aufgrund des Triebverzichts im Rahmen seiner Liebe zur Idealfrau die eigene soziale Machtlosigkeit zu akzeptieren, ja zu idealisieren lernte.

An die Stelle des gefährlichen "Ich darf den gehassten Fürsten nicht töten" tritt also das harmlose "Ich darf die geliebte Fürstin nicht besitzen". Intuititv müssen die Fürsten diese Zusammenhänge geahnt haben, anders ist ihre Akzeptanz der öffentlich geäußerten Sehnsucht fremder Männer nach ihren Frauen kaum erklärbar.

Tammuz

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Beitrag von OlliBjörn Di Aug 08, 2017 1:15 am

Dazu fällt mir ein: "Minne" = ursprünglich "Gedenken",
der Wortstamm ist noch im Gebrauch in den nordgermanischen Sprachen.

z.B. Schwedisch "minne" = Gedächtnis, aber auch Erinnerung, modern: Speicher
                       "minne-pinne" = USB-Stick (pinne = stick)
                       "jag minns" = ich erinnere mich

Isländisch "muninn" = das Gedächtnis/die Erinnerung

In der Edda ist beschrieben, dass Odin zwei Raben hat, "huginn" (der Gedanke) und "muninn" (die Erinnerung). Diese Raben überfliegen jeden Tag das Land und kehren wieder zu Odin zurück. Sie sind Sinnbilder für das Denken und Erinnern Odins.

OlliBjörn

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