Papst Gregor - erster „typisch mittelalterlicher Papst“ - warum?
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Papst Gregor - erster „typisch mittelalterlicher Papst“ - warum?
Durch eine Frage bin ich heute darauf gestolpert, dass der Papst Gregor ein erster "typisch mittelalterlicher" Papst war. Warum war das so? Was hatte er geändert?
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Marek1964- Admin
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Re: Papst Gregor - erster „typisch mittelalterlicher Papst“ - warum?
Welchen dieser Gregors hattest du im Blick:
Gregor I. 590-604
Gregor II. 715-731
Gregor III. 731-741
Gregor IV. 827-844
1. Gregor V. 996
2. Gregor V. 989-999
1. Gregor VI. 1012
2. Gregor VI. 1045-1046
Gregor VII. 1073-1085
1. Gregor VIII. 1118-1121
2. Gregor VIII. 1187
Gregor IX. 1227-1241
Gregor X. 1271-1276
Gregor XI. 1370-1378
Gregor XII. 1406-1415
Gregor XIII. 1572-1585
Weitere werden sicher nicht gemeint sein.
Gregor I. 590-604
Gregor II. 715-731
Gregor III. 731-741
Gregor IV. 827-844
1. Gregor V. 996
2. Gregor V. 989-999
1. Gregor VI. 1012
2. Gregor VI. 1045-1046
Gregor VII. 1073-1085
1. Gregor VIII. 1118-1121
2. Gregor VIII. 1187
Gregor IX. 1227-1241
Gregor X. 1271-1276
Gregor XI. 1370-1378
Gregor XII. 1406-1415
Gregor XIII. 1572-1585
Weitere werden sicher nicht gemeint sein.
Skeptik- Anzahl der Beiträge : 1364
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Re: Papst Gregor - erster „typisch mittelalterlicher Papst“ - warum?
Ich weiß auch nicht, welcher Gregor hier gemeint ist. Ich vermute aber, dass es sich um Gregor I den Großen handelt, der von 590 – 604 Papst war.
Er hat sich tendenziell von Ostrom gelöst und dafür gesorgt, dass der römische Papst seine einzigartige Stellung im Westen durchsetzen konnte. Gregor schrieb den Begriff „Papst“ als ausschließliche Amtsbezeichnung für den Bischof von Rom fest.
Er förderte das Klosterwesen und unterstützte den Benediktiner Order von Benedikt von Nursia. Wahrscheinlich hat er auch dessen Regeln konzipiert.
Die römische Liturgie, die bis heute weitgehend unverändert blieb, hat er maßgeblich entwickelt.
Um die Versorgung von Rom zu sichern, griff er auf die umliegenden Ländereien zurück und schuf damit die Voraussetzungen für den späteren Kirchenstaat.
Gregor förderte die Missionierung und war dabei nicht gerade zimperlich. Die Tötung von Heiden war für ihn akzeptabel.
Gregor hat dafür gesorgt, dass nach dem Ende des Weströmischen Reiches die Kirche quasi als Nachfolgerin daraus hervorging, indem große Teile der Kultur und auch die Verwaltung in vielen Orten von Geistlichen übernommen wurde.
Ihm ist es wahrscheinlich zu verdanken, dass die westliche Kirche langsam eine eigenständige Gestalt annahm und sich zunehmend von Konstantinopel entfernte. Die wachsende weltliche Macht legte allerdings auch den Keim für den späteren Konflikt mit den weltlichen Herrschern. Wer ist wem untertan? Steht der Kaiser an erster Stelle oder der Papst? Daraus entwickelte sich ein langwieriger Konflikt.
Er hat sich tendenziell von Ostrom gelöst und dafür gesorgt, dass der römische Papst seine einzigartige Stellung im Westen durchsetzen konnte. Gregor schrieb den Begriff „Papst“ als ausschließliche Amtsbezeichnung für den Bischof von Rom fest.
Er förderte das Klosterwesen und unterstützte den Benediktiner Order von Benedikt von Nursia. Wahrscheinlich hat er auch dessen Regeln konzipiert.
Die römische Liturgie, die bis heute weitgehend unverändert blieb, hat er maßgeblich entwickelt.
Um die Versorgung von Rom zu sichern, griff er auf die umliegenden Ländereien zurück und schuf damit die Voraussetzungen für den späteren Kirchenstaat.
Gregor förderte die Missionierung und war dabei nicht gerade zimperlich. Die Tötung von Heiden war für ihn akzeptabel.
Gregor hat dafür gesorgt, dass nach dem Ende des Weströmischen Reiches die Kirche quasi als Nachfolgerin daraus hervorging, indem große Teile der Kultur und auch die Verwaltung in vielen Orten von Geistlichen übernommen wurde.
Ihm ist es wahrscheinlich zu verdanken, dass die westliche Kirche langsam eine eigenständige Gestalt annahm und sich zunehmend von Konstantinopel entfernte. Die wachsende weltliche Macht legte allerdings auch den Keim für den späteren Konflikt mit den weltlichen Herrschern. Wer ist wem untertan? Steht der Kaiser an erster Stelle oder der Papst? Daraus entwickelte sich ein langwieriger Konflikt.
Wallenstein- Gründungsmitglied
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Re: Papst Gregor - erster „typisch mittelalterlicher Papst“ - warum?
Vielleicht sind fake news keine so neue Erfindung. Da gibt es ernstzunehmende Hinweise auf zwei Gregor I. Den echten und einen Pseudo-Gregor. Der echte lebte vor den sogenannten dark ages, wie man die Zeit vom 6. zum 8. Jahrhundert auch oft bezeichnet. Der Pseudo-Gregor ist eine Figur späterer Zeit. Was wir so reichhaltig von ihm wissen - und dazu gehört auch unser Wissen über Benedikt von Nursia - verdanken wir diesem Pseudo-Gregor und geht eben in Richtung fake news.
Der Theologe Francis Clark hat darüber gearbeitet. Wikipedia weiß:
Der Theologe Francis Clark hat 1987 eine zweibändige Untersuchung der Dialogi vorgelegt, in der er die Hypothese vertritt, das Werk sei unecht. Der Verfasser sei nicht der 604 gestorbene Papst Gregor, sondern ein Fälscher, der im späten 7. Jahrhundert gelebt habe. Vorsichtige Zustimmung fanden einige von Clarks Überlegungen unter anderem bei dem Historiker Johannes Fried, der allerdings 2004 feststellte: „Clark ist über sein Ziel hinausgeschossen“: Die Dialogi seien zu Gregors Lebzeiten oder kurz danach in seiner Umgebung entstanden; es seien „literarisch gestaltete Zwiegespräche, die Gregor tatsächlich führte“. Vermutlich allerdings sei Benedikt nur ein Phantom, das „Produkt einer erbaulichen Geschichte“.
Und von dieser Seite habe ich einige Stellen gezogen:
http://www.fantomzeit.de/?p=2575
...Im selben Jahr 1957 prüfte G. FERRARI, inwieweit Benediktiner-Klöster in Rom nach 600 vorherrschend waren, und kam zu dem überraschenden Schluß, daß vor dem 10. Jh. weder Orden noch Gründer nachweisbar sind [Ferrari 379f].
...während G. PENCO OSB 1957 zeigte, wie substanzlos die Annahmen über die rasche Verbreitung der Benediktiner-Regel gerade in Italien waren. Und der hl. Benedikt konnte ebensowenig römischer Abt gewesen sein, wie das Lateran-Kloster als Heimstätte der Benediktiner während der Zerstörungszeit von Monte Cassino (581-717) gedient haben konnte [C 225]. Penco deckte auch auf, daß gallische Klöster des 10. Jh. allzugerne ihre Gründung auf direkte Schüler des hl. Benedikts zurückführten, wie Pfarreien und Diözesen gerne von einem Apostel oder Apostelschüler abstammten. Dazu hatten sie in viele Gründungsurkunden Hinweise auf die Regel des hl. Benedikts (= RB) hineingefälscht [Penco 322f].
...Ebenfalls 1957 meldete Kassius HALLINGER OSB noch massivere Zweifel an. Er entlarvte jene Akten der römischen Synoden von 601 und 610 als Fälschungen, in denen Gregor I. und Bonifaz IV. der Regula Benedikti die päpstliche Anerkennung ausdrückten [Hallinger 235]. Ein weiteres Fälschungsverdikt traf einen äbtlichen Brief, der bislang als Beweis dafür galt, daß sich die RB rasch und vorrangig im Italien des späteren 6. Jhs. verbreitet hätte [Hallinger 236]. Weitere Fälschungen sind die Vita des Benedikt-Schülers St. Placidus, derzufolge Benediktinerklöster im Sizilien des 6. Jhs. gegründet worden wären, und die Vita von St. Maurus samt seiner Missionstätigkeit in Gallien [Hallinger 236]. Aufgeklärt wurde schließlich, daß keineswegs Gregor d. Gr. die RB der Kirche generell vorgeschrieben hat [Hallinger 235].
...Damit stammen die frühesten historischen Belege für die Dialoge erst vom Ende des 7. Jhs. [C 15], von Aldhelm von Malmesbury (zwischen 688 und 693) und Julian von Toledo [C 112, 742, 744]. Ein Jahrhundert lang haben Zeitgenossen und Nachfolger ‘sehr beredt’ über die Dialoge geschwiegen [C 49-64]. In dieses Bild paßt, daß die Dialoge aus Quellen schöpfen, die erst aus dem 7. Jh. stammen [C 22] und chronologische Fehler enthalten, die Gregor zu seiner Zeit nicht gemacht haben dürfte [C 24]. Dazu nur zwei Beispiele: Die Gregor unterstellte Haltung gegenüber den seit 568 ins Land drängende Langobarden kann nicht der Realität um 600 entsprochen haben [C 63f]. Weiter sollen 440 Bauern im Jahre 578 den Märtyrertod durch die Langobarden erlitten haben, wie in den angeblich nur 15 Jahre später erschienen Dialogen berichtet wird. Trotzdem gab es noch lange Zeit später kein allgemeines Wissen um diese Märtyrer, keine zu ihrer Ehre geweihte Kirche und kein Wissen um den Ort ihres Todes [C 669]. Überhaupt scheint die angebliche Grausamkeit der Langobarden vorwiegend den Dialogi zu entstammen [C 729]; denn ganz im Gegensatz dazu weiß man, daß in Rom trotz langobardisch-arianischer Eroberung viele Patrozinien überdauerten [C 738].
...Was war die Motivation für diesen Pseudo-Papst? Ihn muß der Wunsch getrieben haben, anderen großen Wundertätern wie dem Hl. Antonius von Ägypten oder dem Hl. Martin von Gallien ein italienisches Pendant an die Seite zu stellen [C 726]. Dementsprechend wichtig sind ihm möglichst aufsehenerregende Wunder. Hier unterscheiden sich Gregor und Pseudo-Gregor beträchtlich. Hatte Gregor es abgelehnt, Wundererzählungen für die moralische Belehrung und Erziehung einzusetzen, bildeten sie für Pseudo-Gregor den Prüfstein für das Heilige [C 641]. Dabei bevorzugt er bizarre, alberne und “subchristliche” Geschehnisse, wie es Gregor selbst nie getan hat [C 23]. Der hielt sich noch an das Gelasianische Dekret, das vor 550 klarstellte: Märtyrergeschichten werden in der Kirche nicht gelesen, weil ihre Verfasser nicht bekannt sind, vor allem aber, weil dem schlichten Volk dadurch widersinnige und sehr unrealistische Dinge nahegebracht würden [C 601].
...Für Th. Mommsen war Gregor der Große deshalb ein “recht kleiner großer Mann” [C 42], für v. Harnack “der Vater des (mittelalterlichen) Aberglaubens”. Während in Zukunft der hl. Gregor, um Pseudo-Gregor bereinigt, auch vor den Historikern bestehen könnte, werden wir aus diesem Vulgärkatholizismus Pseudo-Gregors eigentliche Datierung gewinnen.
...Clark hatte also klargestellt, daß Gregor und Pseudo-Gregor zwei separate Geister waren. Wer von beiden mag den größeren Einfluß auf die Christenheit ausgeübt haben? Zwar wurde Gregor heiliggesprochen, als der Große benannt, zum einzigen Kirchenvater auf dem Stuhl Petri erhoben und zusammen mit Leo d. Gr. als einziger Kirchenlehrer in dieser Position erachtet, doch ist er gegen Pseudo-Gregor und sein wundersüchtiges Christentum ins Hintertreffen geraten.
...Wir können damit zu jenem Heiligen zurückkehren, der – seltsame Vorstellung – ein Geschöpf, ein Homunkulus des Pseudo-Gregors zu sein scheint. Weil seine eigenen Mönche nichts über ihren Abt hinterlassen haben, stammt praktisch unser gesamtes Wissen über den hl. Benedikt von Nursia aus dem zweiten Band der Dialoge, der ihn zweifellos zum Patriarchen der Mönche im Westen gemacht hat [P. Battifol lt. C 186]. Wie steht es um den Gründer des Benediktinerordens, neben Karl dem Großen der zweite oder sogar erste “Vater des Abendlandes”?
...Dieser Benedikt schrieb nicht nur die Benediktinerregel samt dem berühmten “ora et labora”, sondern er war auch einer der ganz großen Wundertäter. Wie Moses läßt er für seine Brüder Wasser aus dem Felsen strömen, wie Elias spendet er Öl bei einer Hungersnot, wie Jesus erweckt er Menschen vom Tod und läßt einen Jünger, den hl. Maurus, auf dem Wasser wandeln. Er kann Dämonen austreiben, Gifttränke (seiner Mitbrüder) erkennen und hat die Gabe des Fernwissens und des Prophezeiens [Deschner 1990, 223].
...Die Gründung seines Hauptklosters Monte Cassino fiel in dasselbe Jahr 529, in dem der byzantinische Kaiser die athenische Akademie auflöste; ihr Datum steht also für den geistigen Übergang von der Antike zum Mittelalter. Von da an hat sich der Geist der Benediktiner über Europa ausgebreitet und in verschiedenen Reformen – Cluny, Gorze, Hirsau – das Christentum auf seinem dornenreichen Weg vorangebracht. Solches galt bis dato.
...Dem Tod des Heiligen, vorgeblich 547, folgen nicht nur keine Nachrufe und Erinnerungen von Seiten seiner Mönche, sondern überhaupt nur sehr wenige Hinweise auf ihn oder seine Nachfolger,
...In ganz Europa gibt es bis 700 keinen Festtag, keinen Jahrestag, keine ihm geweihte Kirche, keinen ihm geweihten Altar. Erst im frühen 8. Jh. wird Benedikt erstmals in einem liturgischen Dokument erwähnt [C 16]. Davor fehlt auch jeder Hinweis darauf, daß seine Regel irgendwo beachtet worden wäre (s.u.). Das benediktinische Mönchtum erlebt erst mit Papst Gregor II. und dem hl. Bonifaz im 8. Jh. eine erste Blüte [C 17].
...Das Fegefeuer, 1274 vom zweiten Konzil von Lyon als existent formuliert [Le Goff 287] und 1563 auf dem Trientiner Konzil dogmatisiert, hat vier viel ältere Väter: Die Begründer Clemens von Alexandria (+| 215) und Origenes (+| 254), den “wahren Vater” Augustinus (+| 430) und Gregor d. Gr. (+| 604) [Le Goff 72, 84, 110]. Doch diese Väter sprachen allenfalls vom ignis purgatorius, einem reinigenden Feuer, nicht von einem realen Ort, der wie Himmel und Hölle die Seele im Jenseits erwartet. Diese Wandlung vom ortslos brennenden Feuer zur realen Institution Fegefeuer, zum Purgatorium, erfolgte erst, “als sich zwischen 1150 und 1250 das Fegefeuer im Glauben der abendländischen Christenheit etablierte” [Le Goff 14]. (Im Deutschen werden beide Begriffe gleich übersetzt, ihre Unterschiede also verwischt).
C = Clark, Francis (1987): The Pseudo-gregorian Dialogues; 2 Bände in der Reihe Studies in the History of Christian Thought; Leiden
Der Theologe Francis Clark hat darüber gearbeitet. Wikipedia weiß:
Der Theologe Francis Clark hat 1987 eine zweibändige Untersuchung der Dialogi vorgelegt, in der er die Hypothese vertritt, das Werk sei unecht. Der Verfasser sei nicht der 604 gestorbene Papst Gregor, sondern ein Fälscher, der im späten 7. Jahrhundert gelebt habe. Vorsichtige Zustimmung fanden einige von Clarks Überlegungen unter anderem bei dem Historiker Johannes Fried, der allerdings 2004 feststellte: „Clark ist über sein Ziel hinausgeschossen“: Die Dialogi seien zu Gregors Lebzeiten oder kurz danach in seiner Umgebung entstanden; es seien „literarisch gestaltete Zwiegespräche, die Gregor tatsächlich führte“. Vermutlich allerdings sei Benedikt nur ein Phantom, das „Produkt einer erbaulichen Geschichte“.
Und von dieser Seite habe ich einige Stellen gezogen:
http://www.fantomzeit.de/?p=2575
...Im selben Jahr 1957 prüfte G. FERRARI, inwieweit Benediktiner-Klöster in Rom nach 600 vorherrschend waren, und kam zu dem überraschenden Schluß, daß vor dem 10. Jh. weder Orden noch Gründer nachweisbar sind [Ferrari 379f].
...während G. PENCO OSB 1957 zeigte, wie substanzlos die Annahmen über die rasche Verbreitung der Benediktiner-Regel gerade in Italien waren. Und der hl. Benedikt konnte ebensowenig römischer Abt gewesen sein, wie das Lateran-Kloster als Heimstätte der Benediktiner während der Zerstörungszeit von Monte Cassino (581-717) gedient haben konnte [C 225]. Penco deckte auch auf, daß gallische Klöster des 10. Jh. allzugerne ihre Gründung auf direkte Schüler des hl. Benedikts zurückführten, wie Pfarreien und Diözesen gerne von einem Apostel oder Apostelschüler abstammten. Dazu hatten sie in viele Gründungsurkunden Hinweise auf die Regel des hl. Benedikts (= RB) hineingefälscht [Penco 322f].
...Ebenfalls 1957 meldete Kassius HALLINGER OSB noch massivere Zweifel an. Er entlarvte jene Akten der römischen Synoden von 601 und 610 als Fälschungen, in denen Gregor I. und Bonifaz IV. der Regula Benedikti die päpstliche Anerkennung ausdrückten [Hallinger 235]. Ein weiteres Fälschungsverdikt traf einen äbtlichen Brief, der bislang als Beweis dafür galt, daß sich die RB rasch und vorrangig im Italien des späteren 6. Jhs. verbreitet hätte [Hallinger 236]. Weitere Fälschungen sind die Vita des Benedikt-Schülers St. Placidus, derzufolge Benediktinerklöster im Sizilien des 6. Jhs. gegründet worden wären, und die Vita von St. Maurus samt seiner Missionstätigkeit in Gallien [Hallinger 236]. Aufgeklärt wurde schließlich, daß keineswegs Gregor d. Gr. die RB der Kirche generell vorgeschrieben hat [Hallinger 235].
...Damit stammen die frühesten historischen Belege für die Dialoge erst vom Ende des 7. Jhs. [C 15], von Aldhelm von Malmesbury (zwischen 688 und 693) und Julian von Toledo [C 112, 742, 744]. Ein Jahrhundert lang haben Zeitgenossen und Nachfolger ‘sehr beredt’ über die Dialoge geschwiegen [C 49-64]. In dieses Bild paßt, daß die Dialoge aus Quellen schöpfen, die erst aus dem 7. Jh. stammen [C 22] und chronologische Fehler enthalten, die Gregor zu seiner Zeit nicht gemacht haben dürfte [C 24]. Dazu nur zwei Beispiele: Die Gregor unterstellte Haltung gegenüber den seit 568 ins Land drängende Langobarden kann nicht der Realität um 600 entsprochen haben [C 63f]. Weiter sollen 440 Bauern im Jahre 578 den Märtyrertod durch die Langobarden erlitten haben, wie in den angeblich nur 15 Jahre später erschienen Dialogen berichtet wird. Trotzdem gab es noch lange Zeit später kein allgemeines Wissen um diese Märtyrer, keine zu ihrer Ehre geweihte Kirche und kein Wissen um den Ort ihres Todes [C 669]. Überhaupt scheint die angebliche Grausamkeit der Langobarden vorwiegend den Dialogi zu entstammen [C 729]; denn ganz im Gegensatz dazu weiß man, daß in Rom trotz langobardisch-arianischer Eroberung viele Patrozinien überdauerten [C 738].
...Was war die Motivation für diesen Pseudo-Papst? Ihn muß der Wunsch getrieben haben, anderen großen Wundertätern wie dem Hl. Antonius von Ägypten oder dem Hl. Martin von Gallien ein italienisches Pendant an die Seite zu stellen [C 726]. Dementsprechend wichtig sind ihm möglichst aufsehenerregende Wunder. Hier unterscheiden sich Gregor und Pseudo-Gregor beträchtlich. Hatte Gregor es abgelehnt, Wundererzählungen für die moralische Belehrung und Erziehung einzusetzen, bildeten sie für Pseudo-Gregor den Prüfstein für das Heilige [C 641]. Dabei bevorzugt er bizarre, alberne und “subchristliche” Geschehnisse, wie es Gregor selbst nie getan hat [C 23]. Der hielt sich noch an das Gelasianische Dekret, das vor 550 klarstellte: Märtyrergeschichten werden in der Kirche nicht gelesen, weil ihre Verfasser nicht bekannt sind, vor allem aber, weil dem schlichten Volk dadurch widersinnige und sehr unrealistische Dinge nahegebracht würden [C 601].
...Für Th. Mommsen war Gregor der Große deshalb ein “recht kleiner großer Mann” [C 42], für v. Harnack “der Vater des (mittelalterlichen) Aberglaubens”. Während in Zukunft der hl. Gregor, um Pseudo-Gregor bereinigt, auch vor den Historikern bestehen könnte, werden wir aus diesem Vulgärkatholizismus Pseudo-Gregors eigentliche Datierung gewinnen.
...Clark hatte also klargestellt, daß Gregor und Pseudo-Gregor zwei separate Geister waren. Wer von beiden mag den größeren Einfluß auf die Christenheit ausgeübt haben? Zwar wurde Gregor heiliggesprochen, als der Große benannt, zum einzigen Kirchenvater auf dem Stuhl Petri erhoben und zusammen mit Leo d. Gr. als einziger Kirchenlehrer in dieser Position erachtet, doch ist er gegen Pseudo-Gregor und sein wundersüchtiges Christentum ins Hintertreffen geraten.
...Wir können damit zu jenem Heiligen zurückkehren, der – seltsame Vorstellung – ein Geschöpf, ein Homunkulus des Pseudo-Gregors zu sein scheint. Weil seine eigenen Mönche nichts über ihren Abt hinterlassen haben, stammt praktisch unser gesamtes Wissen über den hl. Benedikt von Nursia aus dem zweiten Band der Dialoge, der ihn zweifellos zum Patriarchen der Mönche im Westen gemacht hat [P. Battifol lt. C 186]. Wie steht es um den Gründer des Benediktinerordens, neben Karl dem Großen der zweite oder sogar erste “Vater des Abendlandes”?
...Dieser Benedikt schrieb nicht nur die Benediktinerregel samt dem berühmten “ora et labora”, sondern er war auch einer der ganz großen Wundertäter. Wie Moses läßt er für seine Brüder Wasser aus dem Felsen strömen, wie Elias spendet er Öl bei einer Hungersnot, wie Jesus erweckt er Menschen vom Tod und läßt einen Jünger, den hl. Maurus, auf dem Wasser wandeln. Er kann Dämonen austreiben, Gifttränke (seiner Mitbrüder) erkennen und hat die Gabe des Fernwissens und des Prophezeiens [Deschner 1990, 223].
...Die Gründung seines Hauptklosters Monte Cassino fiel in dasselbe Jahr 529, in dem der byzantinische Kaiser die athenische Akademie auflöste; ihr Datum steht also für den geistigen Übergang von der Antike zum Mittelalter. Von da an hat sich der Geist der Benediktiner über Europa ausgebreitet und in verschiedenen Reformen – Cluny, Gorze, Hirsau – das Christentum auf seinem dornenreichen Weg vorangebracht. Solches galt bis dato.
...Dem Tod des Heiligen, vorgeblich 547, folgen nicht nur keine Nachrufe und Erinnerungen von Seiten seiner Mönche, sondern überhaupt nur sehr wenige Hinweise auf ihn oder seine Nachfolger,
...In ganz Europa gibt es bis 700 keinen Festtag, keinen Jahrestag, keine ihm geweihte Kirche, keinen ihm geweihten Altar. Erst im frühen 8. Jh. wird Benedikt erstmals in einem liturgischen Dokument erwähnt [C 16]. Davor fehlt auch jeder Hinweis darauf, daß seine Regel irgendwo beachtet worden wäre (s.u.). Das benediktinische Mönchtum erlebt erst mit Papst Gregor II. und dem hl. Bonifaz im 8. Jh. eine erste Blüte [C 17].
...Das Fegefeuer, 1274 vom zweiten Konzil von Lyon als existent formuliert [Le Goff 287] und 1563 auf dem Trientiner Konzil dogmatisiert, hat vier viel ältere Väter: Die Begründer Clemens von Alexandria (+| 215) und Origenes (+| 254), den “wahren Vater” Augustinus (+| 430) und Gregor d. Gr. (+| 604) [Le Goff 72, 84, 110]. Doch diese Väter sprachen allenfalls vom ignis purgatorius, einem reinigenden Feuer, nicht von einem realen Ort, der wie Himmel und Hölle die Seele im Jenseits erwartet. Diese Wandlung vom ortslos brennenden Feuer zur realen Institution Fegefeuer, zum Purgatorium, erfolgte erst, “als sich zwischen 1150 und 1250 das Fegefeuer im Glauben der abendländischen Christenheit etablierte” [Le Goff 14]. (Im Deutschen werden beide Begriffe gleich übersetzt, ihre Unterschiede also verwischt).
C = Clark, Francis (1987): The Pseudo-gregorian Dialogues; 2 Bände in der Reihe Studies in the History of Christian Thought; Leiden
Skeptik- Anzahl der Beiträge : 1364
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Re: Papst Gregor - erster „typisch mittelalterlicher Papst“ - warum?
Kann man also sagen, dass das Mittelalter in Europa durch die Macht der Kirche geprägt ist und diese Macht dann mit der Reformation gebrochen wurde (cuius regio, eius religio)? Oder ist das dann doch zu vereinfacht?
Moschusochse- Anzahl der Beiträge : 267
Anmeldedatum : 20.04.15
Re: Papst Gregor - erster „typisch mittelalterlicher Papst“ - warum?
Ich denke es wurde grundsätzlich etwas neu und auf einer sehr breiten Basis in den Bevölkerungen. Bis anhin durfte die EINE Wahrheit bei Todes- und Höllenstrafe nicht in Zweifel gezogen werden. Welch eine Befreiung der Menschen als sie da durch waren. Das war auch ein innerer Kampf jedes Einzelnen mit dem ganz eigenen Gewissen. Da Kirche und weltliche Macht so eng zusammen gesehen wurden, war es nur ein weiterer Schritt zur Auflehnung gegen die Herrschenden. Selbst die Bauern ganz unten wollten nun nach oben.
Skeptik- Anzahl der Beiträge : 1364
Anmeldedatum : 01.10.15
Alter : 85
Re: Papst Gregor - erster „typisch mittelalterlicher Papst“ - warum?
Und ob die Macht der Kirche dann mit der Reformation gebrochen wurde?
Im Grundsätzlichen - was die Macht über Leib und Seele der Menschen betraf - hatte die Reformation nicht viel geändert. Als sich der erste Sturm gelegt hatte, sahen die Kirchen, das sie ganz gut miteinander leben konnten. Kann sein, daß Luther ein Leben lang ein katholischer Augustiner blieb. Ohne Melanchton an seiner Seite hätte die Reformation keinen großen Fortgang genommen. Und alle Reformatoren sind Kinder ihrer Zeit und denken ihr "Neues" aus dieser Zeit heraus und für sie.
Im Grundsätzlichen - was die Macht über Leib und Seele der Menschen betraf - hatte die Reformation nicht viel geändert. Als sich der erste Sturm gelegt hatte, sahen die Kirchen, das sie ganz gut miteinander leben konnten. Kann sein, daß Luther ein Leben lang ein katholischer Augustiner blieb. Ohne Melanchton an seiner Seite hätte die Reformation keinen großen Fortgang genommen. Und alle Reformatoren sind Kinder ihrer Zeit und denken ihr "Neues" aus dieser Zeit heraus und für sie.
Skeptik- Anzahl der Beiträge : 1364
Anmeldedatum : 01.10.15
Alter : 85
Re: Papst Gregor - erster „typisch mittelalterlicher Papst“ - warum?
Ich glaube, dass Marek den ersten Gregor, den Großen, meinte. Ich persönlich finde es auch nicht so interessant, ob es nun einen oder einen zweiten Pseudo-Gregor gab. Solche Mutmaßungen gibt es auch bei anderen historischen Personen. Wichtig ist meines Erachtens, das in dieser Zeit die Grundstrukturen der mittelalterlichen Kirche gelegt wurde, ob nun von einem „echten“ oder einem „falschen“ Gregor.
Wallenstein- Gründungsmitglied
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Re: Papst Gregor - erster „typisch mittelalterlicher Papst“ - warum?
Ich weiss selber nicht genau, welcher Gregor es war, aber es war in dieser Aufstellung über die Eckpunkte des MIttelalters, mit ziemlicher Sicherheit so, wie es Wallenstein vermutet. Die Grundstrukturen des Mittelalters.
Zu Skeptiks Einwand: Die Reformation brach die Macht vor allem langfristig, bis zum heutigen Tag, wo die Kirchen vor allem in den Industrienationen praktisch keinen Einfluss mehr haben. Von daher sehe ich einen Wendepunkt der Geschichte und deshalb auch sinnvolles Ende fürs Mittelalter.
Zu Skeptiks Einwand: Die Reformation brach die Macht vor allem langfristig, bis zum heutigen Tag, wo die Kirchen vor allem in den Industrienationen praktisch keinen Einfluss mehr haben. Von daher sehe ich einen Wendepunkt der Geschichte und deshalb auch sinnvolles Ende fürs Mittelalter.
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